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schlang sich ein Band, auf dem man in den drei Zwischenräumen zwischen den Köpfen ein W, einen Steinbock und das Wort fecit las.

      »Wer hat das geschaffen?« fragte Hortense.

      »Mein Verehrer«, erwiderte Tante Lisbeth. »In dem Ding stecken sechs Monate Arbeit. Ich mit meiner Goldstickerei verdiene mehr. Er hat mir erklärt, Steinbock sei ein deutsches Wort und bedeute »Gemse« oder so was. Von nun an will er alle seine Werke so signieren. Genug! Jetzt bekomme ich deinen Schal!«

      »Wieso?«

      »Kann ich mir ein solches Kleinod kaufen oder machen lassen? Das ist doch ausgeschlossen. Also habe ich es geschenkt bekommen. Und wer macht einem solche Geschenke? Ein Verehrer!«

      Mit einer Verstellung, die Lisbeth Fischer entsetzt haben würde, wenn sie sie erkannt hätte, hütete sich Hortense, ihre große Bewunderung merken zu lassen, obwohl ihre Seele im Innersten ergriffen war, wie das allen für Schönheit empfänglichen Menschen so geht, wenn sie unverhofft vor einem vollendeten Meisterwerke stehen.

      »Gewiss«, sagte sie, »das ist recht hübsch.«

      »Ja, ja, es ist hübsch«, wiederholte die alte Jungfer, »aber ein gelber Kaschmirschal ist mir lieber. Siehst du, Kindchen, damit verbringt mein Verehrer seine Zeit. Seit seiner Ankunft in Paris hat er drei oder vier solche Sächelchen verfertigt, und das ist nun die Frucht von vier Studien- und Arbeitsjahren. Er hat bei Formern, Gießern und Goldschmieden gelernt. Was weiß ich? Hunderte und Tausende sind dabei draufgegangen. Nun bildet sich das Kerlchen ein, in ein paar Monaten berühmt und reich zu werden.«

      »Aber du siehst ihn doch?«

      »Glaubst du denn immer noch, es sei Fabel? Ich habe dir lachend die Wahrheit gesagt!«

      »Und er liebt dich?« fragte Hortense lebhaft.

      »Er betet mich an!« antwortete die Tante und setzte eine ernsthafte Miene auf. »Siehst du, Kindchen, bis jetzt hat er nur blasse und fade Frauen gekannt, wie sie da oben im Norden alle sind. Ich, braun, schlank, jung, ich habe ihm das Herz entflammt. Aber schweigen! Ich habe dein Wort.«

      »Dem Ärmsten wird es wohl nicht anders ergehen als den fünf andern!« neckte das junge Mädchen die Tante, indem sie das Petschaft weiter betrachtete.

      »Sechs, bitte! Du vergisst den, der in Lothringen auf mich wartet, und der noch heute für mich den Mond vom Himmel holen würde.«

      »Der hier tut etwas Besseres«, erwiderte Hortense, »er bringt dir die Sonne!«

      »Leider kann man Sonnengold nicht prägen lassen«, meinte Tante Lisbeth. »Man braucht Erde, ehe man sich sonnen kann!«

      Diese Scherzreden folgten sich Schlag auf Schlag und erregten jenes übermütige Lachen, das die Baronin so ängstigte, weil es sie zwang, die voraussichtliche Zukunft ihrer Tochter mit dem frohen Heute zu vergleichen, wo sie sich all der Fröhlichkeit ihrer Jugend noch hingeben durfte.

      »Er muss dir gegenüber doch große Verpflichtungen haben, wenn er dir ein Werk schenkt, an dem er sechs Monate lang gearbeitet hat?« fragte Hortense, die das Petschaft sehr nachdenklich gestimmt hatte.

      »Du willst aber auch gar zu viel auf einmal wissen«, wehrte Tante Lisbeth ab. »Pass mal auf! Ich will dich in eine Verschwörung einweihen.«

      »Handelt es sich um deinen Verehrer?«

      »Du möchtest ihn sehen! Aber du wirst doch billigen, dass eine alte Jungfer wie eure Tante Lisbeth, die ihren Liebsten viele Jahre lang so fein verheimlicht hat, ihn nun nicht gleich zeigt. Lass mich damit also in Frieden! Siehst du, ich habe keinen Kater, keinen Kanarienvogel, keinen Hund, auch keinen Papagei; aber etwas fürs Herz muss doch auch eine alte Wildkatze wie ich haben, und darum halte ich mir einen Polen.«

      »Hat er einen Schnurrbart?«

      »So lang!« machte Lisbeth, indem sie ein langes Stück Goldfaden von der Rolle abwickelte.

      Sie brachte sich stets Arbeit mit und beschäftigte sich damit, bis man zu Tisch ging.

      »Wenn du immer nur fragst, erfährst du gar nichts mehr!« fuhr sie fort. »Du bist erst zweiundzwanzig Jahre alt und dabei geschwätziger als ich mit meinen zweiundvierzig oder vielmehr dreiundvierzig.«

      »Ich will mucksmäuschenstill zuhören!«

      »Mein Verehrer hat eine zehn Zoll hohe Bronzegruppe gemacht«, begann Tante Lisbeth. »Simson, wie er einen Löwen erwürgt. Er hat sie eingegraben, damit sie Rost ansetzt. Sie soll so antik aussehen wie Simson selber. Dies Meisterwerk ist nun bei einem Raritätenhändler ausgestellt, der seinen Laden auf der Place du Carrousel hat, nahe meinem Hause. Dein Vater, der mit Popinot, dem Minister des Handels und der Landwirtschaft, und mit dem Grafen Rastignac bekannt ist, sollte die beiden gelegentlich auf die Gruppe aufmerksam machen: sie sei ein schönes antikes Werk, das er zufällig im Vorbeigehen gesehen habe. Die großen Herren von heute scheinen mehr Interesse für solche Artikel zu haben als für unsere schönen Goldstickereien. Mein Schatz könnte sein Glück machen, wenn einer dies alte Kupferding kaufen oder auch nur mal ansehen möchte. Der arme Kerl meint, man könne das Zeug für wirklich alt halten und teuer bezahlen. Wenn einer der Minister die Gruppe kaufte, würde er sich ihm dann vorstellen und ihm beweisen, dass er sie gemacht hat. Dann wird er angestaunt werden. Ja, er bildet sich wahrhaftig ein, er sei schon auf dem Gipfel seines Künstlertums. Das Kerlchen ist eingebildet wie ein neubackener Kommerzienrat.«

      »Also ein neuer Michelangelo! Für einen Verliebten hat er seine sieben Gedanken noch ganz leidlich beisammen«, meinte Hortense. »Und wieviel verlangt er dafür?«

      »Fünfzehnhundert Francs! Der Händler soll die Bronze nicht billiger hergeben.«

      »Augenblicklich ist Papa Beauftragter von Majestät«, sagte Hortense. »Er trifft die beiden Minister täglich in der Kammer. Er muss sich der Sache annehmen. Lass mich es nur machen! Sie werden reich sein, Frau Gräfin Steinbock!«

      »Nein, dazu ist mein Mann zu gemächlich. Wochenlang tut er nichts als rotes Wachs kneten – und nichts wird fertig. Was sag ich? Ganze Tage verträumt er im Louvre und in der Bibliothek, wo er alte Stiche anguckt und abzeichnet. Er ist ein Tagedieb.«

      Die beiden fuhren fort zu scherzen. Hortense lachte aber nicht mehr natürlich, denn sie stand mit einem Male im Banne einer Liebe, wie sie alle jungen Mädchen einmal erleben: der Liebe zu dem Unbekannten, einer vagen Liebe, bei der sich die Gedanken um eine vom Zufall heraufbeschworene Gestalt kristallisieren wie die Blumen des Raureifs um den Halm, den der Wind zufällig an ein Fenster gedrückt hat. Seit zehn Monaten ahnte sie etwas vom Vorhandensein dieses phantastischen Liebhabers der Tante Lisbeth, an deren ewige Ehelosigkeit sie ebenso fest wie ihre Mutter glaubte, und vor acht Tagen hatte sich ihnen diese imaginäre Gestalt zu einem Grafen Stanislaus Steinbock verkörpert. Der Traum war damit zur Wirklichkeit geworden, und der nebelhafte Schatten hatte die leibhafte Gestalt eines jungen dreißigjährigen Mannes angenommen. Das Petschaft, das Hortense in der Hand hielt, wirkte zauberkräftig wie eine Verkündigung, in der sich ihr ein Genie offenbarte, wie ein Talisman. Hortense fühlte sich so glücklich, dass sie beinahe an der Wahrheit dieses wunderschönen Märchens zweifeln mochte. Ihr Blut fieberte; sie lachte wie närrisch.

      »Die Tür zum Salon ist offen, wie mir scheint«, bemerkte Tante Lisbeth. »Lass uns nachsehen, ob Herr Crevel wieder fort ist!«

      »Mutter ist seit zwei Tagen so traurig. Sicherlich hat sich die Partie, um die es sich handelte, zerschlagen.«

      »Unsinn! Das wird sich schon wieder einrenken. Es handelt sich – soviel kann ich dir sagen – um einen Königlichen Regierungsrat. Möchtest du gern Frau Regierungsrätin werden? Wenn es von Herrn Crevel abhängt, dann erzählt er mir gewiss etwas davon. Morgen werde ich wissen, ob Aussicht ...«

      »Tantchen, lass mir das Petschaft!« bat Hortense. »Ich zeig es niemandem! In vier Wochen ist Mutters Geburtstag; an dem Tage gebe ich es dir früh zurück.«

      »Nein, gib es mir gleich wieder! Es fehlt das Kästchen dazu.«

      »Ich möchte es nämlich gern Papa zeigen, damit er dem

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