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Ton gerührt, besonders aber von der sichtlichen Achtung, mit der er ihn wie seinesgleichen behandelte. Hulot der Jüngere war einer der jungen Männer, wie sie die Revolution von 1830 hervorgebracht hat: den Kopf voll Politik, erfüllt von seinen Plänen und Hoffnungen, die er hinter der Maske der Würde verbarg, und sehr eifersüchtig auf alle bereits Berühmten. Er warf mit Phrasen um sich, aber nicht mit den blitzenden Bonmonts, den Brillanten der französischen Plauderkunst. Seine Haltung war gut, aber von einer steifen Zurückhaltung, die Vornehmheit ausdrücken sollte. Solche Leute sind wie wandelnde Mumien, in denen ein Franzose der guten alten Zeit einbalsamiert liegt. Manchmal regt sich der alte Gallier wieder und möchte die englische Tünche abwerfen, aber die Eitelkeit duckt ihn immer wieder, bis er zu guter Letzt gottergeben seinen Geist aufgibt. Solche wandelnden Mumien stecken immer in tadellosen schwarzen Röcken.

      »Ah, da kommt mein Bruder!« sagte der Baron und eilte zur Tür des Salons, ihm entgegen.

      Nachdem Hektor den wahrscheinlichen Nachfolger des eben verstorbenen Marschalls Montcornet umarmt hatte, führte er ihn herein, wobei er ihm mit sichtlicher Liebe und Verehrung den Arm reichte. Dieser Pair von Frankreich, den die Taubheit vom Besuch der Sitzungen abhielt, hatte einen herrlichen Kopf mit vom Alter gebleichtem Haar, das aber immer noch voll genug war, um da, wo der Hut gesessen hatte, einen Eindruck zu zeigen. Klein, untersetzt und mager, trug der Graf ein frisches Greisentum fröhlich zur Schau. Im Besitz einer außergewöhnlichen geistigen Regsamkeit, die sich ungern zur Ruhe verurteilt sah, vertrieb er sich die Zeit mit Lesen und Spazierengehen. In seinem blassen Gesicht, seiner edlen Haltung, seiner Natürlichkeit beim Sprechen – wobei er sehr witzig sein konnte – spiegelte sich seine innere Feinheit. Nie erzählte er vom Krieg und den Feldzügen, die er mitgemacht hatte; er war zu sehr wirklicher Held, als dass er mit dem Heldentum paradiert hätte. Im Salon sah er seine ständige Aufgabe darin, die leisesten Wünsche der Frauen zu erfüllen.

      »Ihr seid alle so lustig!« meinte er, als er die gute Laune bemerkte, die der Baron in diesem kleinen Familienkreis hervorgerufen hatte, »... obgleich aus Hortenses Heirat nichts geworden ist«, setzte er hinzu, als er auf dem Gesicht der Schwägerin einen Schatten von Trauer wahrnahm.

      »Das kommt immer noch früh genug«, rief ihm Tante Lisbeth mit Donnerstimme ins Ohr.

      »Ach, da bist du ja auch, du Baum, der keine Früchte tragen wollte!« meinte er lachend.

      Der Held von Pforzheim mochte Lisbeth gern, weil sie sich beide in manchem ähnlich waren. Auch er war aus dem Volke hervorgegangen, hatte keine besondere Erziehung genossen und verdankte sein Soldatenglück einzig seinem persönlichen Mute, und der gesunde Menschenverstand ersetzte bei ihm den geistigen Drill. Mit reinen Händen und ruhmgekrönt feierte er den Abend eines schönen Lebens im Kreise einer Familie, der alle seine Liebe gehörte, ohne dass er seines Bruders Irrungen und Wirrungen ahnte. Keiner genoss wie er das schöne Schauspiel dieser Einigkeit, wo nie der geringste Streit ausbrach, wo sich alle wie Brüder und Schwestern liebten; auch Cölestine war sofort als zur Familie gehörig betrachtet worden. So erkundigte sich denn der biedere Graf mehrere Male, warum Vater Crevel nicht käme.

      »Mein Vater ist auf dem Lande«, rief ihm Cölestine zu. Man berichtete ihm, Crevel sei verreist.

      Diese schöne Familieneintracht stimmte Frau Hulot nachdenklich: Das ist doch mein sicherstes Glück! Wer könnte mir das rauben?

      Als der General sah, wie seinem Liebling Adeline von ihrem Manne der Hof gemacht wurde, neckte er den Baron, so dass dieser aus Furcht vor der Lächerlichkeit seine Galanterie von neuem seiner Schwiegertochter zuwandte, die bei diesen Familienmahlzeiten immer den Gegenstand seiner Schmeicheleien und Aufmerksamkeiten bildete. Durch sie hoffte er nämlich den Vater Crevel umzustimmen und ihn von seinem Hasse abzubringen.

      Schwerlich konnte man beim Anblick dieses Familienbildes glauben, dass der Vater vor dem Ruin stand, dass die Mutter in Verzweiflung war, dass der Sohn in größter Besorgnis um seines Vaters Zukunft schwebte und dass die Tochter im Begriffe war, ihrer Tante den Geliebten abspenstig zu machen.

      Um sieben Uhr, als er seinen Bruder, seinen Sohn, die Baronin und Hortense am Whisttische sah, ging der Baron fort, um seine Geliebte in der Oper zu bewundern, und nahm Tante Lisbeth, die in der Rue du Doyenné wohnte, mit in seine Droschke. Unter dem Vorwande, dass es in ihrer Gegend so einsam sei, pflegte sich Lisbeth stets sofort nach dem Essen zu empfehlen. Diese Maßregel des alten Fräuleins war sehr vernünftig.

      dass das alte Häuserviertel längs des Louvre noch immer besteht, ist einer der Widersprüche gegen den gesunden Menschenverstand, die sich die Franzosen so gerne leisten, damit sich Europa zu seiner Beruhigung überzeugen kann, dass der Fortschritt nicht so schlimm ist, wie er aussieht. Vielleicht verfolgt man damit unbewusst eine große politische Idee. Sicherlich ist es aber keine überflüssige Arbeit, diesen Winkel des modernen Paris zu beschreiben; denn später wird man sich so etwas gar nicht mehr vorstellen können. Unsere Enkel, die zweifellos das Louvre vollendet sehen, werden nicht glauben wollen, dass es so lange in der schändlichsten Umgebung gestanden hat, im Herzen von Paris, dieser Palast, in dem drei Dynastien in einem Zeiträume von sechsunddreißig Jahren die Blüte Frankreichs und Europas empfangen haben.

      Von dem Portal aus, das nach dem Pont du Carrousel und der Rue de Musée führt, fällt einem ein Dutzend Häuser mit zerfallenen Vorderseiten auf, die von den unbekümmerten Besitzern nicht mehr ausgebessert werden. Man steht vor den Überbleibseln eines alten Viertels, das zerstört wurde, als Napoleon den Plan fasste, das Louvre zu vollenden. Die Rue du Doyenné mit ihrer Sackgasse dringt einzig und allein in dieses düstere und einsame Häuserviertel ein, dessen Bewohner einem wie Gespenster vorkommen; denn eigentlich sieht man dort keinen Menschen. Das Pflaster, viel tiefer als das der Rue du Musée, liegt ungefähr in einer Höhe mit dem der Rue Froidmanteau. Schon durch die Erhöhung des Platzes erscheinen diese Häuser wie verschüttet; dazu kommt noch, dass sie von dem undurchdringlichen Schatten umhüllt sind, den die hohen, an dieser Seite vom Nordwind geschwärzten Galerien des Louvre werfen. Dunkelheit, Stille, eiskalte Luft und die Kellertiefe machen diese Häuser gewissermaßen zu Grüften, zu lebendigen Gräbern. Wenn man im Wagen an diesem toten Viertel entlangfährt, gruselt es einen, und man fragt sich, wer wohl da wohnen könne und wer am Abend hier zu gehen wage, zu der Zeit, wo sich dies Gässchen in eine Räuberhöhle verwandelt, wo alle Laster von Paris unter dem Deckmantel der Nacht aufwachen. Dieser an sich schon beunruhigende Gedanke beängstigt einen geradezu, wenn man sieht, dass diese sogenannten Häuser nach der Rue de Richelieu hin an lange Moräste grenzen, nach der Tuilerienstraße an ein wahres Meer von Pflastersteinhaufen, nach den Galerien an kleine Gärten und unheimliche Baracken und nach der Seite des alten Louvre an Felder von Abbruchsteinen. Heinrich III. und seine Lieblinge, die ihre Hosen, und Königin Margaretes Liebhaber, die ihre Köpfe suchen, mögen bei Mondenschein ihre Menuetts tanzen in diesen Wüsteneien, die überragt werden von der Kuppel einer alten Kapelle, die noch dort steht, als wolle sie beweisen, dass der in Frankreich nimmermüde Katholizismus alles überdauert. Seit fast vierzig Jahren schreit das Louvre aus all den aufgerissenen Mäulern dieser geborstenen Mauern, aus all diesen gähnenden Fensterhöhlen: »Entfernt diese Schandflecke aus meinem Gesichtskreis!« Zweifellos sieht man aber in dieser Mördergrube eine Art Symbol und hält es für nützlich, damit im Herzen von Paris die nahe Verwandtschaft von Elend und Glanz, die Merkmale dieser Königin der Weltstädte, zu zeigen. Und wer weiß, ob diese kahlen Ruinen, diese verruchten Baracken der Rue du Musée mit ihren Reihen von Holzbuden nicht ein längeres und glücklicheres Dasein haben als die drei Herrscherhäuser.

      Seit 1823 war der Mietzins in diesen dem Verfall geweihten Häusern sehr niedrig, was Tante Lisbeth bewogen hatte, dort zu mieten, obwohl sie sich beim Anblick des Viertels sofort sagte, dass man hier nach Einbruch der Nacht nicht mehr außer dem Hause weilen dürfe. Diese Notwendigkeit passte übrigens zu ihrer ländlichen Gewohnheit, der sie treu geblieben war: mit der Sonne aufzustehen und mit den Hühnern schlafen zu gehen; man spart damit beträchtlich an Licht und Heizung. Lisbeth bewohnte also eins jener Häuser, denen die Niederlegung des berühmten Hauses, in dem Cambacérès gewohnt, die freie Aussicht über den Platz verschaffte.

      In dem Augenblick, als sich der Baron an der Tür dieses Hauses von Lisbeth mit den Worten verabschiedete: »Auf Wiedersehen, Tante Lisbeth!«, ging eine junge Frau an der Droschke vorbei,

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