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in seinem politischen Verhalten das Beispiel des Fürsten von Weißenburg nach, eines seiner vertrautesten Freunde. So wurde er einer der Schöpfer jener aus der Erde gestampften Armee, deren Niederlage bei Waterloo der Ära Napoleons ein Ende setzte. 1816 war er ein gefürchteter Gegner des Ministeriums Feltre. Erst im Jahre 1823, als man ihn im Spanischen Krieg brauchte, ließ er sich von neuem im Kriegsministerium anstellen. Im Jahre 1830, als Louis-Philippe unter den Bonapartisten Umschau hielt, gelangte er abermals zu einem der höchsten Posten der Heeresverwaltung. Als dann die jüngere Linie des Hauses Bourbon auf den Thron kam, ward er die erste Stütze des Kriegsministers. Den Marschallstab konnte er nicht erringen, aber noch Minister oder Pair werden.

      In seiner berufslosen Zeit, in den Jahren 1818 bis 1823, begann sich Hektor von Hulot von neuem eifrig dem Minnedienste zu widmen. Adeline nahm die erste Untreue ihres Mannes wie zum großen Finale der Kaiserzeit gehörig hin. Zwölf Jahre lang war sie Alleinherrscherin gewesen. Fortan erfreute sie sich jener gewohnheitsmäßigen Zuneigung, die Ehemänner für ihre Frauen hegen, wenn sie sich mit der Rolle der gütigen, ehrsamen Kameradin begnügen. Sie wusste, dass sie nur ein einziges Wort zu sagen brauchte, und keine ihrer Rivalinnen hätte sich auch nur noch zwei Stunden halten können; aber sie schloss Augen und Ohren. Sie wollte die Lebensweise ihres Mannes außerhalb des Hauses nicht kennen. Schließlich behandelte sie ihn wie eine Mutter ihr Lieblingssöhnchen. Drei Jahre vor der eben stattgehabten Unterredung hatte Hortense einmal im Varieté den Vater in der Gesellschaft von Jenny Cadine in einer der Orchesterlogen zu erkennen vermeint.

      »Da sitzt Papa!« hatte sie gerufen. »Du irrst dich, Herzchen!« hatte die Mutter abgewehrt. »Papa ist beim Onkel Marschall.«

      Gleichwohl war Jenny Cadine von der Baronin erkannt worden; aber anstatt dass Adeline angesichts dieser schönen Dirne einen Stich durchs Herz empfunden hätte, sagte sie sich: Was hat Hektor, dieser Schlingel, für ein Glück! Und doch litt sie. Heimlich unterlag sie den grässlichsten Wutanfällen; aber sobald sie ihren Hektor wiedersah, traten ihr immer zugleich die zwölf Jahre ihres ungetrübten Glückes vor Augen, und sie fand nicht die Kraft, sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen. Am liebsten hätte sie es gehabt, wenn ihr Mann sie zur Vertrauten gemacht hätte; aber sie besaß aus Achtung vor ihm nicht den Mut, ihm je zu verstehen zu geben, dass sie seine Abenteuer kannte. Diese übermäßige Rücksicht findet sich nur bei Frauen aus dem Volke, die Schläge hinnehmen, ohne sie zu erwidern. Es steckt noch ein Rest von Leibeigenschaft in ihrem Blute. Hochgeborene Frauen hingegen, die sich ihrem Manne gleichgestellt fühlen, sind instinktive Tyranninnen, und wo sie etwas nachsehen, markieren sie das doch, wie man beim Billardspiel die Pointe markiert. Etwas Teuflisches zwingt sie dazu, sich eine gewisse Überlegenheit, das Recht auf Rache, zu wahren.

      Einen leidenschaftlichen Verehrer hatte die Baronin in ihrem Schwager, dem Generalleutnant Grafen Hulot, dem berühmten Kommandeur der Kaiserlichen Gardegrenadiere zu Fuß, der in seinen alten Tagen Marschall geworden war. Nachdem er von 1830 bis 1834 Divisionär der bretonischen Regimenter – also auf dem Schauplatze seiner Heldentaten von 1799 bis 1800 – gewesen, hatte er sich in Paris zur Ruhe gesetzt und führte nur noch ein leichtes Amt im Landesverteidigungsrat. Sein altes Soldatenherz schlug mit dem seiner Schwägerin, die er als Ausbund ihres Geschlechts bewunderte. Er war unverheiratet geblieben, weil er eine zweite Adeline hatte finden wollen, aber während seiner Fahrten und Feldzüge in aller Herren Länder vergebens danach gesucht hatte. Napoleon hatte von ihm gesagt: »Der tapfere Hulot ist durch und durch Republikaner, aber verraten wird er mich niemals!« Um der Achtung dieses Ritters ohne Furcht und ohne Tadel nicht verlustig zu gehen, hätte Adeline noch viel grausamere Leiden ertragen als die, die soeben auf sie eingestürmt waren. Aber der Zweiundsiebzigjährige, der in dreißig Feldzügen ergraut und bei Waterloo zum siebenundzwanzigsten Male verwundet worden war, war ihr ein Abgott, jedoch kein Beschützer. Neben anderen Gebrechen musste er sich übrigens eines Hörrohres bedienen.

      Solange der Baron Hulot von Ervy ein schöner Mann war, kosteten ihn seine Liebschaften nichts; aber mit fünfzig Jahren verlassen einen die Grazien, und bei alternden Männern wird Lieben ein Laster. Sie werden dabei sinnlos eitel. Auch Adeline beobachtete an ihrem Manne, dass er in seiner Toilette unglaublich umständlich wurde. Er färbte sich Haare und Bart, trug Gürtel und Korsett; kurzum, er wollte um jeden Preis »der schöne Mann« bleiben. Diese Pflege seines Äußern, die er ehedem an andern verhöhnt hätte, trieb er, bis ins Kleinlichste. Dazu machte die Baronin die Wahrnehmung, dass der Geldstrom, der seinen Kurtisanen zufloss, seine Quelle schließlich gar bei ihr suchte. Seit acht Jahren war ein beträchtliches Vermögen verschwendet worden, und zwar so gründlich, dass ihr der Baron vor nunmehr zwei Jahren gelegentlich der Niederlassung seines Sohnes als Rechtsanwalt notgedrungen das Geständnis gemacht hatte, seine Mittel beständen nur noch aus seinem Gehalt.

      »Wohin soll das führen?« hatte Adeline gefragt. »Mache dir keine Sorgen«, war seine Antwort gewesen. »Ich lasse euch die Einkünfte meiner hohen Stellung. Hortenses Ausstattung und unsere Zukunft werde ich durch Spekulationen sichern.«

      Der feste Glaube dieser Frau an die Macht und die starke Kraft, an die Fähigkeiten und den Charakter ihres Gatten hatte ihre flüchtige Unruhe wieder verscheucht. Seit zwei Jahren sah sich die arme Frau vor einem tiefen Abgrunde, doch glaubte sie, nur sie allein sähe ihn. Sie wusste nicht, wie die Heirat ihres Sohnes zustande gekommen war; sie ahnte nichts von dem Verhältnisse Hektors mit der habsüchtigen Josepha. Kurzum, sie hoffte, dass kein Mensch auf Erden ihr Leid kenne. Wenn nun Crevel allerorts so rücksichtslos vom Leichtsinn ihres Mannes redete, so musste Hektor ja sein öffentliches Ansehen verlieren. Aus den hässlichen Reden dieses aufgebrachten ehemaligen Parfümerienhändlers trat ihr die abscheuliche Kumpanei entgegen, der die Heirat des jungen Advokaten zu verdanken war. Zwei Dirnen waren die Schutzgöttinnen dieser Ehe gewesen, die bei irgendeinem Bacchanal zwischen würdelosen Intimitäten von zwei angetrunkenen alten Lebemännern abgekartet worden war!

      Er kümmert sich somit auch nicht um Hortense, sagte sie sich, obwohl er sie alle Tage sieht. Er wird ihr eines Tages einen Gatten im Kreise seiner liederlichen Frauenzimmer suchen!

      Das sagte sie lediglich als Mutter, und die regte sich jetzt stärker in ihr als die Gattin; denn sie hörte grade das Lachen von Hortense und Tante Lisbeth, das närrische Lachen der sorglosen Jugend. Es kam ihr vor, als sei dieses nervöse Lachen ein ebenso bedenkliches Anzeichen wie das verträumte einsame Wandeln durch den Garten mit Tränen in den Augen.

      Hortense glich ihrer Mutter, nur hatte sie goldnes, natürlich gelocktes und erstaunlich volles Haar. Etwas wie Perlmutterglanz leuchtete darauf. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr das Kind einer ehrsamen Ehe und einer durch und durch edlen und reinen Liebe. Im Gesicht des jungen Mädchens lagen Temperament und Frohsinn. Ihre jugendliche Lebhaftigkeit, ihre volle Frische und die strotzende Gesundheit wirkten wie von ihr ausgehende elektrische Ströme. Hortense zog aller Blicke an. Wenn ihre unschuldigen Augen, blau wie das Meer, im Vorübergleiten auf jemandem haftenblieben, so erzitterte der Betreffende unwillkürlich. Ihren reinen Teint entstellten keine Sommersprossen, mit denen die Goldblondinen doch sonst meist ihre helle weiße Gesichtsfarbe bezahlen müssen. Sie verdiente die Bezeichnung »Göttin«, mit der altmodische Dichter so verschwenderisch umgehen. Denn sie war groß und üppig, ohne stark zu sein, und von demselben rassigen Wuchs wie ihre Mutter. So konnte sich denn auf der Straße keiner, der ihr begegnete, des Ausrufes enthalten: »Gott, was für ein Prachtmädel!« Dabei war sie so unverdorben, dass sie, zu Hause angekommen, sagte: »Mutter, was haben sie nur alle, wenn du mit mir gehst, zu schreien: ›Das Prachtmädel!‹ Bist du denn nicht viel schöner als ich?«

      Und in der Tat konnte die Baronin, obwohl sie das siebenundvierzigste Jahr hinter sich hatte, von Verehrern der untergehenden Sonne sehr wohl ihrer Tochter vorgezogen werden, denn sie hatte, wie man sagt, noch nichts von ihren Reizen eingebüßt. Eine wunderbare Ausnahme, zumal in Paris, wo die Ninon de Lenclos Aufsehen erregt hat, die dem 17. Jahrhundert seinen Ruf rauben wollte, an hässlichen Frauen reich zu sein.

      Die Gedanken der Baronin sprangen von ihrer Tochter auf den Vater zurück. Sie sah im Geiste, wie er von Tag zu Tag, von Stufe zu Stufe bis in den Schmutz der Gesellschaft hinabsank, um vielleicht eines Tages seines Amtes im Kriegsministerium enthoben zu werden. Der armen Frau war der Gedanke an den Sturz ihres vergötterten Mannes und die unklare Vorahnung des Unglücks, das Crevel prophezeit hatte, eine

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