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über den sadistischen Direktor, aber auch Wut über das eigene Versagen, über die Flucht. Benötige ich Ansporn, muss ich meinen Willen im Sport oder in einem Disput stärken, so dient mir der Gedanke an diese Zeit als Energiespender. Im Laufe der Zeit, im Laufe des Erwachsenwerdens habe ich mir einen Schutzpanzer zugelegt, um mich niemals mehr in eine so demütigende und erniedrigende Lage zu begeben. Besonders aktiviert wurde dieser Schutzpanzer Jahre später in meiner Zeit in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies. In keiner Lebenslage zuvor kam ich so nahe an den Zustand meiner damaligen Schulzeit. Während meiner Zeit in der Pöschwies kam ungewollt immer wieder etwas aus der Zeit der Erniedrigung, der Peinigung hervor. Der Direktor der JVA wandelte sich immer mehr zu meinem ehemaligen Schuldirektor.

      Daher mag es auch nicht erstaunen, dass man mir eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert hat. Dr. Elmar Habermeyer beschreibt dazu: Bei narzisstischen Persönlichkeiten kann es somit sein, dass sich schwerwiegende Probleme erst manifestieren wenn ihre, in gewisser Weise als Schutzschild dienende, Arroganz und Selbstsicherheit in Frage gestellt wird und ein Gesichtsverlust droht … Letztlich können dann aus einer Kränkung Wut- und Rachegefühle resultieren, welche eine Abwertung des Gegenübers bei gleichzeitiger Erhöhung der eigenen Position nach sich ziehen.

      Nach der Flucht in die Sekundarschule lernte ich eine weitere Lektion. Den Direktor war ich zwar los, aber der Teil meiner Familie, der gerne in der Gesellschaft besser dastehen wollte, war und blieb ja ein Teil meines Lebens. Holte mich meine Grossmutter für einen Ausflug ab, so wurde ich gemustert. Hatte ich zu enge Kleidung getragen, in der man Bauchspeck erkennen konnte, bestand sie darauf, dass ich mich umziehen gehe. Sie würde nicht mit einem dicken Enkel in die Öffentlichkeit gehen. Wohlbemerkt war ich von dick ein rechtes Stück entfernt. Adipös wäre wohl die passende Beschreibung gewesen. Ich erkannte also, dass ich zwar den sadistischen Direktor losgeworden bin, aber mein Körper scheinbar selbst den Ansprüchen gewisser Familienmitglieder nicht genügte. Während meine Eltern priesen, dass es egal sei wie man aussieht, wurde ich vom anderen Teil der Familie vor dem Eintreten in die Öffentlichkeit geprüft. Die Spuren dieser Zeit sind für mich auch heute noch erkennbar. Nehme ich nur zwei Kilos zu, oder spricht mich gar jemand darauf an, verfalle ich in einen massiven Drang zum Gewichtsverlust, zur Korrektur. Es erklärt sicher auch meine oft so übertriebene Eitelkeit, meine Vorliebe zu auffälliger und eleganter Kleidung.

      Im Grossen und Ganzen waren meine Jugendjahre trotz allem schön und mehrheitlich unkompliziert, meine Eltern schenkten mir Liebe und dazu besass ich oft mehr als ich eigentlich gebraucht hätte. Meine Eltern haben bis heute täglich hart gearbeitet, damit es der Familie an nichts fehlt. Meine Mutter, ehemals als gelernte Verkäuferin im Globus tätig, hat die meiste Zeit danach im Reinigungsdienst gearbeitet und mein Vater arbeitet seit rund zwanzig Jahren als Verkäufer für Whirlpools, mittlerweile steht seine Frühpensionierung an.

       Einstieg in die Halbwelt

      Was ich mit meinen Eltern seit jeher gemein habe, ist eine gewisse rebellische Ader, die unserer Familie im Blut liegt. Mit dem Strom schwimmen war noch nie die Art der Familie Campi. Meine Eltern sind sehr von den Achtzigern geprägt und blieben dem Lebensstil und den damaligen Werten bis heute treu. Obschon ich und meine Eltern sehr verschieden sind, so waren wir uns zumindest im Rebellischen umso ähnlicher. Bei mir zeigte sich diese Ader schon früh bei der Wahl meiner Vorbilder. Als Teenager nimmt man sich Vorbilder, denen man nacheifert, die man bewundert. Es ist eine Zeit, in der man noch weit von der Erkenntnis entfernt ist, dass jeder Mensch ein Individuum ist, das sich nur entfalten kann, wenn er sich gibt wie er ist, und sich nicht verstellt. Meine Idole in der Teenagerzeit waren der amerikanische Schauspieler Sylvester Stallone und der Schweizer Mundart Rocker Gölä. Zwei eigentlich massiv unterschiedliche Typen, einer aus der Internationalen Filmbranche und der andere aus der nationalen Musikszene, doch was beide gemein hatten, war ihre rebellische Ader. Sylvester Stallone wurden keine Chancen als Schauspieler zugesagt, da seine Teil-Gesichtslähmung ihm dies niemals erlauben würde, so seine damaligen Kritiker. Auch Gölä, ein Musiker vom Bau, der zum Teil in seinen Songs die Behörden verhöhnte, bezeichnete man als Eintagsfliege, so wie er gekommen sei, würde er wieder verschwinden. So täuschten sich die Medien und Kritiker und am Schluss wurden beide Stars, der Schweizer Musiker und der internationale Filmstar, durch Eifer, Biss und Ausdauer mit hohem Langzeiterfolg belohnt. Als Teenager findet man solche Geschichten cool und eifert seinen Idolen meist nach, ohne alles genau zu verstehen oder gar zu hinterfragen. Mit dem Alter habe ich für beide Stars immer noch grosse Sympathien, was wohl daher kommt, dass ich ihr Leben umso mehr verstehe. Man darf sich im Leben nicht in eine Richtung drängen lassen, sondern stets nur Wege beschreiten, die einen selbst interessieren und die man mit Herzblut gehen kann, denn nur so kann man den nötigen Eifer aufbringen und es auf seinem Weg, sprich, es in seiner Branche zu etwas bringen. Allerdings sind Theorie und Praxis oft unterschiedlich, denn es gibt viele Menschen, die über gewaltiges Potential verfügen, den nötigen Eifer investieren aber schlussendlich trotzdem nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Es kann an einem selbst liegen, aber es kann genauso gut an den Umständen, fehlendem Glück oder einem verzerrten Selbstbild liegen. Manchmal liegt es allerdings auch an Missgunst oder wirtschaftlichen Krisen, wenn nicht alles wie geplant läuft.

      Durch mein damaliges Vorbild Gölä, der vor seinem musikalischen Durchbruch auf dem Bau gearbeitet hat, wie auch mein Vater kurzzeitig, kam mir zu Schulzeiten der Gedanke, selbst auf dem Bau zu arbeiten. Im Nachhinein kann ich mir selbst nur an den Kopf greifen, denn eine so falsche Wahl hatte ich wohl noch selten getroffen. Im Übrigen verstanden nicht einmal meine Eltern meine Wahl, da sie mich eher im Verkauf sahen, sprich weit weg von Schraubenzieher und Hammer. Nicht, dass der Bau etwas Schlechtes wäre. Nein, im Gegenteil, ich war schlecht für den Bau. Die Arbeit auf der Baustelle lag mir wahrlich nicht. Trotzdem startete ich ein Praktikum als Plattenleger. In dieser Sklavenzeit, wie ich sie heute gerne nenne, wurde ich ausgenutzt und diente lediglich als Plattenschlepper und billige Hilfskraft für gerade mal vier Schweizer Franken die Stunde. So schleppte ich also täglich Platten von A nach B, dazu den Kopfhörer im Ohr mit dem Sound von Gölä: «Wiu ig ä Büezer bi». (Weil ich ein Arbeiter bin). Der Vorteil dieser körperlichen Arbeit war, den Kopf zum Nachdenken freizuhaben.

      «Soll dies wirklich für den Rest meines Lebens so weitergehen?», war die Frage, die mich immer und immer wieder beschäftigte.

      Dann ein Blick auf die Arbeiter der Plattenleger Firma, auf die Schmerztabletten, welche die Arbeiter täglich schluckten, um das schmerzende Knie oder den kaputten Rücken zu besänftigen. Dann ein Blick auf den Alkohol, den sie während der Pause konsumierten, um ihren Frust abzubauen. Je länger der Tag, desto höher die Promille, desto öfter der Satz:

       «Wieso Sascha willst du nur freiwillig diesen Job lernen? Willst du dies für den Rest deines Lebens machen?»

      Wieso eigentlich? Die Frage verankerte sich in meinem Kopf und ich erkannte nur langsam, wie falsch meine Wahl eigentlich war. Ich entschloss mich, mein Praktikum abzubrechen und mich einer anderen Branche zu widmen – nur welcher? Die Ferien standen bevor und ich hatte mir einen coolen Nebenjob ergattert. Ich konnte beim Bau eines neuen Nachtclubs in Schönenwerd mithelfen. Das dauerte allerdings länger als meine Ferien, weshalb ich mich entschied, mein Praktikum umgehend zu beenden, den Nachtclub fertig zu bauen und danach dort im Gastgewerbe zu arbeiten. Meine Idee freute mich. Die Begeisterung meiner Eltern hielt sich verständlicherweise in Grenzen. Da meine Eltern, was nachvollziehbar ist, mich nicht um eine Ausbildung herumkommen liessen, absolvierte ich ein Studium zum Fitnesstrainer in der SAFS Schule in Zürich. Ich besuchte diverse Kurse, arbeitete ansonsten auf der Baustelle des Nachtclubs und bestand meine Prüfungen, bis auf eine theoretische, die ich seit Jahren nachholen wollte. Die Nacht der Eröffnung rückte näher und die Aufgaben für uns wurden verteilt. Ich wurde als Türsteher eingeteilt und sollte für die Eintrittsgelder verantwortlich sein. Das Ganze begeisterte mich wenig, aber ich akzeptierte die Zuweisung. Der Abend der Eröffnung war ein Erfolg und der Club füllte sich rasant. Das Ambiente liess einem an die Nautilus erinnern, das bekannte U-Boot von Kapitän Nemo. Da stand ich nun in einem damals noch billigen schwarzen Anzug, als siebzehn Jähriger gestylt, als wäre ich einiges über zwanzig Jahre alt. Der Job langweilte mich. Das Ambiente gefiel mir. An

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