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mich an.»

      Wir mussten beide kurz lachen und begaben uns in das Schlafzimmer. Die Prostituierte warf ihre Jacke und den geöffneten Schlagstock auf den Sofasessel unmittelbar neben dem Bett. Dann begann sie sich rasant auszuziehen. Sie schien die fünfzehn Minuten ganz präzis gemeint zu haben und wollte keine Minute zu viel verbrauchen. Ich zog mich ebenfalls aus, wobei sie mich unterstützte. Der Kulturaustausch begann seinen Lauf zu nehmen, wobei das Ganze durch meinen Alkoholpegel etwas länger dauerte und wir die vereinbarten fünfzehn Minuten um ein Weniges überzogen.

      «Du schuldest mir nun hundert Franken und nicht fünfzig», fauchte mich die brasilianische Professionelle an.

       «Ich habe dir gesagt, dass ich nur noch fünfzig Franken in bar hier habe.»

      Was folgte war ein portugiesisches Fluchwort und die deutschen Worte: «Ein Schweizer mit Wohnung an der Langstrasse ohne Geld, willst du mich verarschen!»

      Ich versuchte nochmals meine Situation zu erklären und bot an, ihr am nächsten Tag das Geld in der Elite Bar auszuhändigen, aber dies schien sie nicht, oder eher – wollte sie nicht verstehen. Ich konnte meinen Satz kaum beenden, da erwischte mich eine Ohrfeige im Gesicht, worauf ich direkt, reflexartig retour konterte. Die Brasilianerin neigte sich durch meinen Klatscher auf die Seite zum Sofasessel mit Blick auf ihre Jacke und dummerweise auch auf den danebenliegenden Security Stock. Sie griff sich den Security Stock und schlug in Richtung meines Kopfes. Mit Glück konnte ich dank einem Schritt zurück, ihren Schlag auf meinen Kopf verhindern, und es gelang mir, ihr den Stock zu entreissen. Kaum war er in meinem Besitz, kam mir wieder ihre Hand entgegen, wodurch ich die Beherrschung verlor und meiner brasilianischen Widersacherin mit dem Stock zwei bis drei Schläge gegen den Kopf versetzte. Ich erkannte, sie am Kopf verletzt zu haben, da sie blutete. Ich erschrak, wobei mir der Stock aus der Hand fiel.

      Den Auslöser für meine Überreaktion vermutete Dr. Elmar Habermeyer darin, dass durch den Angriff der Prostituierten für mich eine wertschädigende Interaktion entstand und es dadurch die alkoholbedingte Enthemmung zum aggressiven Durchbruch kam, welche Interaktion jedoch damit im Zusammenspiel lag, liess er offen.

      Ich eilte nebenan ins Badezimmer, um ein Frottiertuch für die Wunde zu holen, während sich die Prostituierte auf Portugiesisch vor sich hin fluchend anzog. Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, lag sie auf dem Bett und zog sich hin und her wippend, schimpfend ihre Leggins an. Das Blut der Wunde geriet aufs Bett. Ich versuchte ihr das Frottiertuch auszuhändigen jedoch vergebens. Sie zog sich weiter an. Ich nahm meine Kleider ins Wohnzimmer und zog mich dort ebenfalls an. Als ich fertig war, begann ich nervös zu warten. Ich hoffte, das Drama nehme endlich ein Ende. Nach etwa zwei Minuten kam sie aus dem Schlafzimmer mit ihrer Hand an der Kopfwunde.

      «Schau was du angerichtet hast, du Arschloch», warf sie mir vor, streckte mir ihre blutverschmierte Hand entgegen und kam auf mich zu.

      Ich trat einige Schritte zurück bis ich an der Wohnwand ankam. Sie streckte mir die Hand vors Gesicht und noch bevor ich etwas sagen konnte, bekam ich ihre blutige Hand fadengerade ins Gesicht. Ich klatschte ihr nochmals mit der Handkante an den Kopf und schubste sie gegen das Sofa. Von da an begann sie sich zu beruhigen und stellte auch das portugiesische Gefluche ein.

      «Brauchst du einen Arzt, du brauchst doch Hilfe mit der Kopfwunde?», versuchte ich sie zu beruhigen.

      Sie verneinte und begab sich in den kleinen Korridor um sich die Schuhe anzuziehen. Ich begab mich ebenfalls dorthin und zog mir die Schuhe an. Wir liefen gemeinsam die Haustreppe hinunter, wobei sie etwas auf Portugiesisch fluchte und mehrmals den Satz «Scheiss Zürich» auf Deutsch erwähnte. Vor dem Gebäude angekommen lief sie links davon Richtung Taxistand. Ich versuchte durchzuatmen und mich zu beruhigen. Ich musste zuerst realisieren, was gerade geschehen war. Mein erster Gedanke war, retour in die Wohnung zu gehen. Ich entschied mich jedoch dafür ins Auto zu steigen. Es war mein vertrautester Ort in Zürich. Draussen schneite es mittlerweile stark und der Boden war mit Eis bedeckt. Der Wind wehte kalt und die Temperatur war in den Minusbereich gefallen. Im Auto angekommen, kamen mir die Tränen. Ich war nervös und dennoch fing ich langsam an wieder etwas ruhiger zu werden. Ich zündete mir eine Zigarette an und überlegte was ich nun machen sollte. Ich verspürte den Drang mit jemand Vertrauten zu Reden. Mir kam der Gedanke, dass mein Freund Bajram sicher in einem benachbarten Spielsalon sein müsse, wo sein Vater arbeitet. Ich entschloss mich dorthin zu fahren. Die Distanz bis zum Spielsalon betrug um die dreihundert Meter. Ich startete meinen Chrysler M 300 und fuhr los. Ich entschied mich kurz in verbotener Weise auf der Busspur zu fahren und dann in der Querstrasse rechts, rückwärts hinein zu fahren, um dort zu parkieren. Gesetzlich nicht korrekt, doch von so manchem gemacht. Wer die Zürcher Strassenlabyrinths kennt, versteht es wahrscheinlich am besten. Dummerweise rechnete ich nicht damit, dass die Querstrasse versperrt war und somit konnte ich meinen Plan vergessen, worauf ich mich kurzfristig entschloss, nach Hause, also in den Kanton Solothurn zu fahren. Da ich mich schon auf der Busspur befand, wo mir auch kein Auto entgegenkommen konnte, entschied ich mich, die Strasse ganz hoch zu fahren, um dann rechts in die Badenerstrasse einzubiegen. Während dem Fahren begann ich nach meinem Handy zu suchen. Mein Drang zu Reden war gross. Ich wollte telefonieren, sei es mit meiner Familie oder mit meinem Kumpel Bajram. Hauptsache mit jemandem reden. Ich griff auf den Beifahrersitz nach dem Handy. Es schien vom Sitz gefallen zu sein. Ich begann nach dem Handy zu tasten. Ich blickte kurz neben den Beifahrersitz, sah das Handy und begann danach zu greifen.

      Dann … schwarz …

      Ich wachte auf und erblickte eine defekte Frontscheibe, mein Gesicht schmerzte, ein Piepsgeräusch dröhnte in meinem Ohr und ich hörte viele Stimmen.

       «Herr Campi, der Notfallpsychiater ist hier.»

      Meine Erinnerung wurde gestoppt und ich erhob mich aus dem Kasernenbett.

       «Ja, ich komme.»

      Ein kurzer Blick auf die Uhr. Es war bereits kurz vor Mitternacht. Ich begab mich zum Notfallpsychiater, dessen Besuch ich mir auch gerne hätte sparen können, denn das Interesse der Helfer war minim. Nach einer Stunde war ich zurück in der Kasernenzelle und noch wacher als zuvor. Die Fragen; wie geht es den Verletzten, wie geht es der Familie des Verstorbenen, wie geht es meiner Familie, kreisten wie wild in meinem Kopf. Ich musste mich dringend ablenken und versuchte in Gedanken zu schweben. Wie bin ich überhaupt ins Milieu gekommen, wie bin ich in diese Welt eingetaucht? Ich versuchte mich abzulenken, mich zu beruhigen, indem ich über meine Kindheit und über meine Anfänge im Milieu nachdachte …

       Meine Kindheit

      Geboren bin ich am 26. Juni 1986 in der Stadt Aarau, mein Heimatort ist der Kanton Bern und in meinen Adern fliesst Schweizer- und Italiener-Blut. Aufgewachsen bin ich in Schönenwerd, einem kleinen, modernen Dorf im Kanton Solothurn, direkt an der aargauischen Grenze. Schönenwerd verfügt über eine grosse Geschichte und war vor Jahrzehnten durch die Schuhproduktion der Firma Bally noch weltbekannt. Heute ist davon nicht mehr viel zu spüren. Was jedoch geblieben ist, ist ein wunderschöner Park, der von Herr Bally damals für seine Mitarbeiter zur Pausenbeschäftigung erbaut wurde. Heute dient der Park sowohl den Touristen, wie für Hochzeitsgesellschaften oder als optimale Kulisse für Foto-Shootings, sowie den Familien und Sporttreibenden für ihre Freizeitbeschäftigungen. Ich lebte bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr im Haus meiner Eltern am Rande des Dorfes, nicht unweit vom Bally Park entfernt.

      Die Kindheitstage sind bekanntlich die Jahre der Prägung. Unser Umfeld und unsere Erlebnisse haben zu keinem anderen Zeitpunkt in unserem Leben einen so starken Einfluss mit prägender Langzeitwirkung wie in diesem Lebensabschnitt. Wir kopieren aus unserem Umfeld, besonders aus dem engsten, der Familie, verschiedenste Verhaltensweisen. Weitere entwickeln wir selbst, insbesondere dann, wenn sie sich als besonders wirkungsvoll herausgestellt haben. Wir wiederholen also quasi das Verhalten, das sich für ein Problem bewährt hat, immer wieder dann, wenn dasselbe Problem auftaucht. Mit der Zeit zeigen sich solche Verhaltensmuster immer mehr und immer mehr werden sie zu einem Teil von uns, einem Teil, der uns gegenüber von Mitmenschen je nach deren Manifestationen im Positiven aber auch mal negativ

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