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dass sie zu lange im Untergrund gelebt hatte, sah sie fast wie ein Engel aus.

      Ich steckte meinen Hammer zurück in den Gürtel und nickte Kyle zu. Dann griff ich nach unten und hob sie mit beiden Händen hoch. Ein kleiner Arm rollte über ihre Brust und sie hob ihren Kopf ein wenig, bevor sie wieder einschlief.

      Ich stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus. Obwohl es in diesem Raum so viel Tod gab, hatte es immerhin eine Person geschafft.

      Kapitel 4

       Der Koch hat gute Eier gemacht.

      

      Meine Augen registrierten eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Da war ein Klopfen an der zylindrischen Tür, gefolgt vom Geräusch einer Rauschsperre. Ein runder Knauf drehte sich nach rechts. Ich sah zu Kyle hinüber, der den Kopf schüttelte. Mr. Rodgers schaute auf, um mich anzusehen. Es konnten nicht die Kreaturen sein. Die Tür öffnete sich quietschend und schwang langsam auf. Unser furchtloser Anführer betrat den Raum. Es war Jarvis, der zum Anführer gewählt worden war, kurz nachdem Kyle und ich nach Avalon zurückgekehrt waren. Er trat durch den Türrahmen und damit genau in eine Blutlache, die den Boden bedeckte. Er sah nach unten, schüttelte seinen Stiefel und verteilte kleine Stücke Gehirnmasse auf dem Leichnam einer Frau, die ein Kopftuch trug. Als wir Jarvis zum ersten Mal begegnet waren, in den ersten Wochen der Apokalypse, war er sehr gepflegt gewesen. Anzug und Krawatte, kurzes, graues Haar und ein freundliches Lächeln. Man konnte nicht anders, als diesem Lächeln zu vertrauen.

      Es ist schon komisch, ihn gedanklich so zu sehen, denn in den vergangenen Monaten wurde sein geschliffenes Auftreten schnell durch schwarze Kleidung der Army und lange, zurückgekämmte Haare ersetzt. Er trug jetzt eine kleine Narbe am Hals. Eine Wunde, die ihm während eines Kampfes nach der Arenaschlacht zugefügt worden war. Außerdem hatte er nun einen grauen Stoppelbart. Der härtere Jarvis, der viel zäher aussah, war immer noch genauso selbstsicher wie eh und je. Er war jemand, bei dem wir alle wussten, dass wir ihm vertrauen konnten.

      Jarvis hatte sehr darum gekämpft, Avalon in einen Ort zu verwandeln, wo alle Menschen gleich waren. Er lehrte uns zu plündern, ohne zu stehlen, und zu leben, ohne unnötig zu töten. Während wir unsere kleinen Streitigkeiten in dieser Anlage hatten, half seine Führung, innerhalb der Mauern ein gewisses Maß an Vertrauen zu gewährleisten. Wir alle wussten, in welche Richtung wir ihm folgten … eine Gesellschaft, die sich an die neue Realität anpasste, aber an ihrer Menschlichkeit festhielt. Letztlich hatte er in einer Welt des Bösen einen positiven Ort geschaffen. Ich würde Jarvis in die Hölle und zurück folgen. Wir alle würden das.

      Richard, die Nummer zwei nach Jarvis, trat hinter ihm ein und wich der rötlich-schwarzen Pfütze aus. Beide sahen sich das Chaos an und versuchten abzuschätzen, wie hoch der Schaden im MedCenter war.

      »Ihr Jungs seid ein bisschen spät hergekommen, nicht wahr?«, fragte Jarvis schließlich.

      Keiner von uns antwortete. Er erwartete es auch nicht.

      Als sie in die Mitte des Raums traten, fiel ihr Blick schließlich auf das Mädchen in meinen Armen.

      »Eine Überlebende«, brachte ich heraus.

      Von ihnen kam keine Antwort. Ich erwartete auch keine.

      Schweigend schauten wir uns um. Unser Ende nahm langsam Fahrt auf. Wir hielten einfach unsere Daumen auf die Zeitlupentaste, bis das Unvermeidliche kommen würde.

      Ich wandte den Blick von dem kleinen Mädchen ab und schaute zu Jarvis hinüber. Dann fragte ich: »Haben wir etwas von unseren Freunden an der Westküste gehört?«

      Ich muss verzweifelt ausgesehen haben.

      Jarvis schob seine Schulter in meine Richtung, aber er stellte keinen Augenkontakt her, da er sich weiter im Raum umsah. »Nein, wir haben seit sechs Wochen nichts von ihnen gehört.«

      »Es sieht mehr und mehr danach aus, als wären wir auf uns allein gestellt«, fügte Richard mit einer leisen, fast feierlichen Stimme hinzu.

      Es gab einen fernen Hoffnungsschimmer da draußen, nur Wochen, nachdem die Welt auseinandergefallen war. Avalons Kommunikationssystem war auf dem neusten Stand der Technik und so waren wir in der Lage gewesen, Kontakt zu einer Gruppe aufzunehmen, die sich selbst New America nannte. Den Funkübertragungen zufolge waren sie an der Westküste und lebten in den Rocky Mountains. Offensichtlich hatte das, was von der Regierung übrig war, dort seine Zelte aufgeschlagen, während sie darüber nachdachten, was sie mit der kleinen Verseuchung des besetzten Amerika machen sollten. Wenn man den Funkübertragungen Glauben schenkte, dann war das besetzte Amerika alles östlich vom Mississippi River.

      »Ich habe eh nie daran geglaubt, dass die Jungs überhaupt real waren«, sprach Rodgers schließlich von hinten. »Alles schien ein bisschen zu vorteilhaft … Sicherheit in den Bergen, neue Regierung. Bla, bla, bla«, sagte er, als er sich vornüberbeugte und die Blutspritzer an seiner Blende am blutgetränkten Kittel des gefallenen Kochs abwischte. »Weißt du, ich mochte diesen Kerl. Er ließ die Trockeneier fast passabel aussehen. Schade eigentlich. Ich muss herausfinden, wie er das gemacht hat.«

      Er hatte recht. Earl hat gute Eier gemacht.

      »Wenn du mich fragst, dieses sogenannte New America sind nur ein paar Jungs, die sich irgendwo in einem Bunker verkriechen, und sie haben nichts anderes zu tun, als Leuten falsche Hoffnungen zu machen«, fuhr er fort.

      Niemand antwortete. Wer könnte das bestreiten? Dieser Gedanke war uns allen bereits gekommen. Darüber wurde in den ersten Wochen heftig diskutiert, nachdem ihre Funkübertragungen angefangen hatten. Am Ende haben wir sie nie gesehen. Sie waren alle nur ein Haufen Schwätzer am Funk. Das sogenannte New America könnten ein oder zwei Jungs gewesen sein, die ihren Kick dadurch bekamen, dass sie sich mit jedem maßen, der ein Funkgerät anhatte.

      Unsere apokalyptische Version der Greatest Hits.

      Anfänglich hatte es einen guten Unterhaltungswert. Es war immer jemand da. Es klang schon wie die gleichen ein oder zwei Jungs, aber durch das Rauschen des Funkgeräts konnte man das nicht genau sagen.

      Sie verbreiteten, dass Lebensmittel und medizinische Versorgungsgüter kommen würden. Permanent sagten sie, dass wir uns an einem Ort in Sicherheit bringen sollten, bis sie uns rausholen konnten. Unterstützung würde zu den Gebieten kommen, die befestigt waren und wo sich Menschen befanden. Sie ermutigten uns, in der besetzten Zone ihre Augen und Ohren zu sein und über alles Bericht zu erstatten, was wir sahen und hörten. Die Funkübertragungen waren stark verrauscht. Wir waren immer darauf bedacht, unseren Standort nicht zu verraten, aber wir hofften, zumindest irgendeine Art von Antwort zu bekommen. Nun, vielleicht war das alles einfach nur Bullshit.

      Hauptsächlich hatten sie alle in der besetzten Zone um Geduld gebeten. Etwas, das auf einen knappen Vorrat hindeutete.

      Avalon hingegen hatte Mittel. Wir besaßen eine ganze Armada Flugzeuge und Helikopter, die sich außerhalb der Mauern befanden. Benzin war ein Problem, aber kurz nachdem wir von New America erfahren hatten, beschlossen wir, alles zusammenzukratzen, um eines unserer Langstreckenflugzeuge aufzutanken. Drei Männer hatten sich mit dem Flugzeug in Richtung Westen aufgemacht – ohne bestimmtes Ziel oder Adresse. Sie flogen einfach dahin, wo die Sonne unterging.

      Einer von ihnen war der Asiat, mit dem Kyle und ich in der Arena Seite an Seite gekämpft hatten. Ich hatte den Typen immer noch kein Wort sagen hören. Nicht einmal, als er zu uns zurückblickte, bevor er ins Cockpit stieg. Allerdings war da eine Entschlossenheit in seinen Augen, die mir das Gefühl gab, dass er es schaffen würde.

      In diesem Augenblick lag unsere Hoffnung auf ihm. Eine gute Gelegenheit, dem Wahnsinn zu entfliehen. Wir nahmen an, dass es in der Welt noch eine Gegend gab, die ohne diese Kreaturen existierte. Zur Hölle, das war die einzige Möglichkeit, wie wir überhaupt weitermachen konnten. Am Ende hofften wir, dass die Übertragungen nicht voller Scheiße waren.

      Manchmal braucht man etwas Hoffnung.

      Nach drei

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