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900 MINUTEN. S. Johnathan Davis
Читать онлайн.Название 900 MINUTEN
Год выпуска 0
isbn 9783958350557
Автор произведения S. Johnathan Davis
Жанр Языкознание
Серия 900
Издательство Bookwire
Ich musste sie sterben lassen.
Dann fühlte ich, wie meine Knie zitterten, und ich fiel zu Boden, um Halt zu finden.
In diesem Moment fiel mir mein Ehering ins Auge. Ich werde es nicht Schicksal nennen. Es war nicht mehr als ein Sonnenstrahl, der über ihn hinweghuschte, aber ich fühlte mich dazu verpflichtet, hinunterzulangen und den Schmutz davon abzuwischen. Ich hielt inne. Dann hob ich ihn auf und schob das Gelübde zurück auf meinen Finger.
So leicht konnte ich mich nicht aus der Verantwortung stehlen.
Letztendlich hat es uns alle umgehauen. Manchmal trifft es uns härter und brutaler als andere. Die Frage ist immer, ob man die Kraft haben wird, wieder aufzustehen? An diesem Tag konnte ich graben und das finden, was ich brauchte, um den Kopf nicht hängenzulassen und weiterzumachen.
Egal wie schwer ich getroffen worden war und wie einfach es gewesen wäre, sich zusammenzurollen und zu sterben … am Ende durfte ich nicht nur an mich selbst denken. Immerhin hatte ich noch eine Sache, für die es sich zu leben lohnte. Meinen Sohn.
Ich wischte mit einem Ärmel über mein Gesicht, setzte mich auf, nahm meinen Fuß von dem Tisch vor uns und beugte mich nach vorne, um den Zerstäuber einzustellen. Dieses kleine, medizinische Gerät, das Flüssigkeit verdampfte, wurde dazu entwickelt, den feinen, lebensrettenden Nebel in Tylers Lungen zu pumpen. Ich rieb mit der Außenseite meines Fingers über seine weiche Wange und stieß einen tiefen Seufzer aus, als ich mich vergewisserte, dass seine Gesichtsmaske, die über Nase und Mund saß, immer noch fest an ihrem Platz war.
Die kostbare Medizin wurde ihm direkt in die Lungen verabreicht. Meine eigene Brust schnürte sich zu, als ich feststellte, dass dies hier im Zimmer das letzte Medikament war. Ich musste mich wieder zum MedCenter begeben, um vor der Dosis noch mehr zu holen.
Der Countdown lief jetzt für Tyler und ich hatte keine Ahnung, dass die Starttaste bereits gedrückt worden war. Wenn ich nur gewusst hätte, was den Flur hinunter passierte. Das Chaos, das bereits ausgebrochen war. Ich hätte ihn ein wenig fester gehalten, ihn mehr geküsst und ihn mit ein wenig mehr Liebe umarmt. Aber so funktionierte die neue Welt jetzt.
Im Nu konnte sich alles ändern.
Der Arzt hatte es bronchiale Entzündung der Atemwege genannt. Tyler hatte das Scheißglück, zu früh zur Welt gekommen zu sein. Darum waren seine Lungen eben unterentwickelt. Der Arzt erklärte, das würde dazu führen, dass Tylers Lungen anschwollen, sich zusammenzogen und sich eine Scheißtonne Schleim darin bildete. Etwas, das man mit einem einfachen Inhalator leicht in den Griff bekam.
Jetzt waren die Dinge anders.
Zwischen der Sauerstofftherapie, die seine Lungen in den ersten Monaten seines Lebens beweglich hielt und dem täglichen Medikamentenplan, den wir ihm auferlegt hatten, dachte ich, dass wir alles abgedeckt hatten. Immerhin hatten wir genug Vorräte. Die sollten eine Weile halten …
Ich schaute zum Spiegel hinüber und sah die Reflexion von uns beiden zurückstarren. Dann holte ich tief Luft und stieß diese mit einem weiteren Seufzer aus. Meine Augen landeten auf der Rasierklinge, die auf dem Waschbecken lag. Ich musste mich noch rasieren.
Ich trat vom Kinderbett zurück, in dem Tyler lag, und ging zum Wasserhahn rüber. Dort schmierte ich mir weißen Schaum auf die Wangen. Genau in diesem Augenblick klopfte es an der Stahltür, die zu unserem Zimmer führte. Ich rollte mit den Augen, ließ den Rasierer fallen und wischte mein Gesicht ab. Das Rasieren würde noch etwas warten und das würdevolle Äußere würde ich auf ein anderes Mal verschieben müssen.
Sanft entfernte ich die Maske von Tylers Gesicht und nahm ihn aus dem Kinderbettchen, während ich zur Tür ging und ihn an der empfindlichen Stelle unter den Armen kitzelte – genoss jeden Augenblick. Ich grinste, als sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, das von einem rauen, aber echten Kichern begleitet wurde. Er streckte sich über meine Schulter, versuchte zu entkommen. Leider hatte der kleine Mann kein Glück.
Es spielte keine Rolle, dass es keinen Spion in der Tür gab. Ich wusste bereits, wer geduldig auf der anderen Seite wartete. Mit einem Seufzer griff ich zum Türknauf. Ich bemerkte den Ring, der an meinem Finger steckte, bevor ich den Knauf nach links drehte.
Wenn ich gewusst hätte, was bereits auf der anderen Seite des Komplexes vor sich ging, wäre ich viel vorsichtiger gewesen …
Die Tür öffnete sich mit einem vernehmbaren Quietschen von Metall auf Metall. Ich ließ ein Lächeln aufblitzen, aber es war nicht sehr überzeugend.
»Oh, du musst es nicht vortäuschen«, sagte sie, als sie die Hände ausstreckte, um Tyler in ihre Arme zu nehmen. »Ich weiß, dass du letzte Nacht keinen Schlaf bekommen hast. Also gib mir jetzt den kleinen Mann.«
Ich nickte träge und wischte ein kleines bisschen Creme weg, die ich vergessen hatte. »Nun, dir auch einen guten Morgen, Deanna.«
Deanna sah so gut wie jeden Tag nach Tyler. Vor langer Zeit war sie Mutter gewesen, aber sie sprach nie davon. Zum Glück sagten mir die Falten in ihrem Gesicht, dass ihre Kinder schon erwachsen gewesen waren, als die Welt zu einem Scheißhaufen wurde. Ich wusste, dass sie nicht hier in Avalon waren, was allem Anschein nach bedeutete, dass sie womöglich nicht mehr unter den Lebenden weilten. Sie wusste das wahrscheinlich auch.
Tief unten in dieser Welt befürchteten wir das Schlimmste.
Ich legte eine Hand auf den Türrahmen und bemerkte das Hinken, das mit dem Alter kam, als sie in den Raum trat. Ihr graues Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden und sie trug ein buntes Kleid, das locker über ihren Körper fiel.
Deanna liebte Tyler und ich machte mir nie Sorgen, wenn ich ihn bei ihr ließ. Sie war dieser perfekte Typ von Großmutter und ich habe mich oft gefragt, wie sie es überhaupt geschafft hatte, die ersten Tage zu überleben. Schließlich vermutete ich einfach, dass sie fest entschlossen war, zu leben, weil sie zu viel Angst vorm Sterben hatte … genau wie der Rest von uns.
Ich nahm die Flasche hoch, die ich zuvor gemacht hatte, und musste feststellen, dass sie leer war. Sie sah mich mit einem Blick an, der sagte: »Danke für deine Hilfe, du Depp!«
Ich streckte meine Hand vor mir aus und deutete auf mein Gesicht. »Ich habe noch nicht mal Zeit, um mich zu rasieren.«
Sie schüttelte den Kopf, während sie rüberging, um eine neue Flasche zu machen. Aus dem Augenwinkel sah sie mich an und fragte: »Was habt ihr Jungs heute vor?«
In Avalon suchte sie immer nach Staubkörnchen.
»Äußere Verteidigung.«
Verständnislos sah sie sich im Zimmer um und dachte gründlich darüber nach, bevor sie antwortete: »Außerhalb der Mauer?«
»Das ist es zumindest, was sie mir erzählt haben. Ich schätze, wir werden die Zis in den Stall der Toten treiben.«
»Ich hasse diesen Ort. Er scheint so gefährlich zu sein … Was ist, wenn sich die Dinger losreißen?«
Vor Monaten hatten wir eine bewusste Entscheidung getroffen. Wir beschlossen, außerhalb der Betonmauern von Avalon ein kleines Gehege zu bauen. Das Gehege, das zum Großteil aus stabilen Holzplanken gemacht war, sah aus wie ein alter, übergroßer Schuppen. Ein potenzieller Angreifer würde kaum wissen, dass dieser bis zum Rand mit Zis gefüllt war, die wir seit Monaten dort sammelten. Wenn irgendjemand, mit dem wir es nicht aufnehmen konnten, jemals beschloss, unsere Mauern zu stürmen, war dies die beste Verteidigung.
»Das ist der Punkt, Deanna. Sie sollen sich losreißen … wenn wir es wollen«, sagte ich und versuchte, ein wenig Zuversicht vorzutäuschen.
»Trotzdem