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drehte mich um und stürmte aus dem Wald.

      ***

      Als ich zu Hause ankam, brannten keine Lichter mehr und der Wagen meines Vaters war aus der Einfahrt verschwunden. Mucksmäuschenstill entledigte ich mich im oberen Badezimmer meiner Kleider. Angesichts meiner verdreckten, nun ruinierten Jeans, überkam mich kalte Resignation. Ich knüllte die Jeans zusammen und vergrub sie ganz unten auf dem Boden des Wäschekorbes.

      Dann untersuchte ich mein Gesicht im Badezimmerspiegel. Meine Lippe war aufgeplatzt und getrocknetes Blut über mein gesamtes Gesicht verschmiert. Es sah auch gefährlich danach aus, als würde ich wohl in der Früh mit einem gewaltigen Veilchen aufwachen. Ich versuchte mir zwar einzureden, dass ein Großteil der Blutergüsse in Wirklichkeit einfach nur Schuhcreme wäre, doch insgeheim wusste ich es besser. Ich wusch mich am Waschbecken, dann betupfte ich mit einem alkoholgetränkten Wattebäuschchen den Riss in meiner Lippe.

      Der Zorn und die Demütigung übermannten mich erst später, als ich in meinem Bett lag und mich verzweifelt um das Einschlafen bemühte. Mein Gesicht brannte, doch nur teilweise wegen des Reinigungsalkohols und meiner Verletzungen. Ich befürchtete, ich würde wohl die ganze Nacht wachbleiben – im Morgengrauen das Geräusch des zivilen Dienstwagens meines Vaters in der Einfahrt hören, wenn er den Motor abstellte, den Kaffee riechen, der auf dem Herd kochen würde …

      Mit all diesen kreisenden Gedanken im Kopf schlief ich dennoch rasch ein.

      KAPITEL VIER

      Der Neue

      Als ich am nächsten Morgen, einem Sonntag, aufwachte, fühlte ich mich völlig durch die Mangel gedreht und hatte Schmerzen am ganzen Körper. Meine Rippen taten weh, mein Gesicht schmerzte und aggressive Kopfschmerzen bohrten sich mitten durch mein Gehirn. Leuchtend orangefarbene Blätter tanzten an meinem Schlafzimmerfenster vorbei und ich erinnerte mich wieder, dass heute Halloween war.

      Ich stieg aus dem Bett, ging ins Badezimmer und verbrachte die nächsten Minuten damit, starr in den Spiegel zu schauen und mich davon zu überzeugen, dass die Wunden in meinem Gesicht, die ich mir in der vergangenen Nacht bei meinem Zusammenstoß mit der Keener-Gang eingehandelt hatte, gar nicht so schlimm aussahen, wie ich befürchtet hatte. Aber ich irrte mich. Meine Lippe war geschwollen und der Riss in der Mitte war zu einer bräunlich-violetten Kruste verschorft. Mein linkes Auge war geschwollen und von einem sauberen Bluterguss umgeben.

      Zum Glück war es früh am Morgen und alle anderen im Haus schliefen noch, also zog ich mich an und schlüpfte zur Hintertür hinaus, bevor irgendjemand mich bemerken und mein Gesicht sehen konnte.

       Ich trottete über die Straße zum Waldrand hinter dem Haus der Mathersons. Mir fielen schwarze Reifenspuren auf dem Asphalt auf, wo Keener die Räder seines Pick-ups hatte durchdrehen lassen, bis sie quietschten. Ich huschte über den Rasen der Mathersons und steuerte auf die Kiefern zu, zwischen denen ich mich vor Keener und seiner Gang versteckt hatte. Mich überkam noch einmal ein mulmiges Bauchgefühl bei der Vorstellung, dass sich hier außer mir noch jemand letzte Nacht zwischen diesen Bäumen versteckt hatte. Von Keeners Kameraden konnte es keiner gewesen sein – sie hätten mich geschnappt und aus meinem Versteck gezerrt – aber irgendjemand war hier gewesen.

      Nun versuchte ich, die genaue Stelle ausfindig zu machen, wo ich die Nacht zuvor gekauert und mich versteckt hatte. Mein Blick fiel auf abgeknickte Zweige und zertretene Kiefernzapfen, also vermutete ich, dass ich mich ganz in der Nähe befand. Ich war mir nicht sicher, wonach ich überhaupt suchte, aber ich hatte diesen inneren Drang, nachzusehen, ob trotzdem irgendein Hinweis zu finden war. Ein Schuhabdruck vielleicht.

      Aber ich fand keinen Schuhabdruck, noch fand ich irgendeinen anderen Beweis jeglicher Art. Ein paar Minuten schlängelte ich mich noch weiter zwischen den Bäumen hindurch, schlug nadlige Äste beiseite und knisterte über braune Kiefernnadeln, doch die einzigen Schuhabdrücke, die ich entdeckte, waren die großen, ausgetretenen Abdrücke, welche die Bauerntrampel-Stiefel der Keener-Gang hinterlassen hatten. Hatte ich mir die andere Person nur eingebildet? Hatte sich das alles nur meine Fantasie zusammengesponnen? Ich gestand mir schließlich ein, dass es ein Reinfall war und gab auf.

      Wie der Wind radelte ich durch die verschlafenen Straßen der Stadt, wobei ich nur hier und da einzelne Nachbarn zu Gesicht bekam, die zum Ende ihrer Einfahrt schlurften, um die Morgenzeitung ins Haus zu holen. Einige blickten verdrießlich wegen der getrockneten Eigelbe drein, die wie hässliche Lackflecken an den Seiten ihrer Autos klebten, die der Teufelsnacht zum Opfer gefallen waren. Später würden die Straßen von umherziehenden Kindern wimmeln, die auf Halloween-Süßigkeiten aus waren, und noch vor Ende der Nacht würden weitere Autos eine Wäsche brauchen und haufenweise herumgeworfene Candy Corns wie ausgeschlagene Zähne im Rinnstein liegen.

      Von der Bucht peitschte kalte Luft zu uns herein, die stark nach Holzrauch, Zedern und bevorstehendem Schnee roch. Alle stellten sich dieses Jahr auf einen recht harten Winter ein. Der Generous Superstore hatte bereits seine Regale für die vorhergesagten Schneestürme aufgefüllt.

      Ich radelte parallel zum Highway und bog schließlich auf den Hauptplatz ein, wo ich mein Rad vor dem Quickman festkettete. Im Lokal rieb ich mir erst einmal die Hände wieder warm und bestellte Pancakes, gebratene Würstchen, Bacon und Rührei. Im Quickman gab es die besten Rühreier – nicht zu flüssig-weich, aber trotzdem schön saftig, mit ordentlich Cheddar-Käse und Speckwürfelchen vermengt.

      Ich ging hinüber zu einer Reihe Münztelefone am hinteren Ende des Lokals und wählte Peters Nummer.

      »Hallo?«

      »Hi, Mrs. Blum. Ist Peter schon auf?«

      »Ich glaube schon. Bleib dran, Angie.« Sie wandte sich vom Hörer ab und rief nach Peter. Im Hintergrund konnte ich einen Fernseher oder ein Radio laufen hören. Als sie wieder ans Telefon kam, sagte sie: »Er nimmt oben ab.«

      »Danke.«

      »Wie geht’s deinem Dad?«

      »Oh, ganz okay. In letzter Zeit habe ich ihn nicht viel gesehen. Die Arbeit nimmt ihn ziemlich in Anspruch.«

      Sie seufzte. »Kann ich mir gut vorstellen, dass es momentan eine hektische Zeit für ihn ist. Also dann …«, meinte sie und klang froh, mich wieder los zu sein, als Peter seinen Hörer abnahm.

      »Hey«, grüßte ich. »Schwing deinen Allerwertesten runter zum Quickman.«

      »Was machst du so früh schon auf Achse?«

      »Ich musste abhauen, bevor mein Dad aufsteht.«

      »Alter, was hast du jetzt wieder angestellt? Steckst du schon wieder in Schwierigkeiten?«

      »Komm einfach vorbei, ok?«

      Er stöhnte resignierend. »Gib mir ne Viertelstunde«, bat er und legte auf.

      Ich hängte den Hörer wieder ein und setzte mich dann an einen Fensterplatz, wo ich auf mein Essen wartete. Ich war der Einzige im Lokal und gab mich damit zufrieden, die Zeit totzuschlagen, indem ich den Lichtern der Geschäfte entlang des Platzes dabei zusah, wie sie eins nach dem anderen angingen, während sich das Licht des aufkommenden Tages über den Himmel ausbreitete. In den Schaufenstern klebten Halloween-Kürbisse aus Papier. An der Tür von Mr. Pastores Lebensmittelladen hing das Ausschneidebild einer schwarzen Katze, die einen Buckel machte und deren Nackenfell sich sträubte, als hätte sie einen Stromschlag abbekommen. Schaurige Dekorationen hingen von den altmodischen Straßenlaternen, die den Gehsteig säumten. Der gesamte Parkplatz sah aus wie eine Kohlezeichnung.

      Als mein Essen serviert wurde, schnitt ich meine Pancakes klein und tränkte sie ordentlich in Heidelbeersirup. Ich knabberte an meinen Bacon-Streifen, vermied aber die wie Ohrläppchen aussehenden, wabbelnden Fettränder und aß eine Gabel Ei, bevor ich das Besteck wieder niederlegte und einfach nur aus dem Fenster starrte. So lächerlich es von Keener war, mich für das zu hassen, was ihm widerfahren war, so in gleichem Maße lächerlich war es, dass ich meinen Vater für das hasste, was Keener mir angetan hatte. Aber ich tat es. Mir war bewusst, wie blödsinnig das war. Plötzlich brannten meine Augen. Im gleichen Moment machten sich meine geschwollene Unterlippe und mein blaues Auge

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