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ist ja schlimmer als ne gottverdammte öffentliche Warnhinweistafel«, stänkerte Peter.

      Scott und ich lachten.

      Rachel griff in ihr Cape und zog einen Krackel-Riegel hervor. Sie lächelte mich von der Seite an, dann streckte sie Michael den Riegel hin, dem Einzigen von uns ohne Zigarette. »Hier. Fürs Nichtrauchen.«

      »Cool!« Michael schnappte sich gierig den Schokoriegel und packte ihn aus. »Danke.«

      »Wie auch immer, es sieht so aus, als würdet ihr nichts Gutes im Schilde führen. Ich dachte mir, ich sollte euch besser warnen, dass heute Nacht scharenweise Cops unterwegs sind. Wegen dieses Mädchens, das sie gefunden haben – und auch wegen der anderen Jugendlichen, nehme ich an. Den Vermissten. Die fackeln nicht lange. Uns haben sie schon zweimal aufgehalten.«

      »Wir führen zwar überhaupt nichts im Schilde«, wiegelte Peter ab, »aber trotzdem danke.«

      »Ja«, schloss ich mich an. »Danke, Rachel.«

      Rachels Freundinnen riefen von der anderen Straßenseite nach ihr.

      »Hört zu, ich muss los. Sasha Tamblin wirft eine kleine Party. Wollt ihr auch kommen?«

      Ich zuckte mit den Schultern. Meine Freunde auch. Michael grunzte irgendetwas Unverständliches hinter seinem Schokoriegel hervor. Wir hatten schon von der Party gehört, aber für diesen Abend eben wichtigere Pläne. Trotzdem ertappte ich mich dabei, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, mit Rachel auf einer Party zu sein …

      »Ihr Jungs …« Sie sah aus, als wollte sie wegen uns hoffnungsloser Fälle einfach nur noch den Kopf schütteln. »Es muss anstrengend sein, die ganze Zeit so tough aussehen zu wollen.«

      »Hör auf, mit uns zu flirten«, tadelte Michael scherzhaft.

      Sie lächelte. »Nun denn, was wollt ihr eigentlich darstellen?«

      »Wir sind Geister. Wir sind die Verschwundenen.« Michael wischte mit der Hand vor ihrem Gesicht vorbei wie ein Jedi. »Du hast uns nie gesehen.«

      »Schön wär’s«, lachte sie, machte auf dem Absatz kehrt und eilte über die Straße zu ihren Freundinnen zurück. Ein paar von ihnen riefen uns unsinniges Zeugs zu und machten Kussgeräusche, bevor sie um die dunkle Straßenbiegung verschwanden.

      ***

      In den Straßen war es verdächtig still. Abgesehen von einem gelegentlichen Streifenwagen, der in einer dunklen Gasse versteckt parkte, waren wir vollkommen allein. Selbst die älteren Jugendlichen, die normalerweise die Stadt durchstreiften, zu laut lachten und sich geräuschvoll unterhielten oder auf den Motorhauben ihrer Autos hockten und Bierflaschen reihum gehen ließen – meine Großmutter nannte diese Unruhestifter immer »Nachbarbaren« – waren heute offenkundig nicht da. Ich wusste nicht, ob es an der Polizeipräsenz im Viertel lag oder ob das Geflüster über den Piper dafür sorgte, dass die Menschen lieber zu Hause blieben.

      »Was sagt ein Elefant zu einem nackten Mann?«, legte Peter los, als wir die Tarmouth Road überquerten. Zu unserer Rechten erhob sich schwarz eine Hügelkette mit Ackerland, hier und da gespickt mit einigen wenigen heruntergekommenen Bauernhäusern, in deren Fenstern Talglichter brannten. Wir befanden uns im Randgebiet von Harting Farms.

      »Oh, bitte nicht …«, stöhnt Michael entnervt.

      »Wie kannst du mit diesem Ding bloß atmen?«, drängte uns Peter die Pointe auf.

      Wir drei anderen muhten wie gequälte Rinder.

      Plötzlich rief Scott: »Auto!«

      Wir hetzten an den Straßenrand und duckten uns hinter dem hochgewachsenen Gras der Böschung.

      Ein Kombi mit einem kaputten Scheinwerfer fuhr vorbei, und sein Auspuff klapperte, als würde er jeden Augenblick abfallen.

      Nachdem er außer Sichtweite war, standen wir wieder auf und klopften uns den Dreck von den Kleidern. Ich blickte zurück und sah all die Lichter der Stadt in der Ferne zusammengedrängt. Es sah aus, als könnte ich die ganze Stadt in meinen Händen hochheben und mit mir davontragen.

      »Kommt weiter«, drängte Michael und kletterte die Böschung wieder hinauf.

      Dieser Teil der Stadt war nahezu karg. Der verfrühte Wintereinbruch hatte die Bäume entlaubt und der starke, unerbittliche Wind fegte von der Bucht landeinwärts zu uns. Der Himmel war klar und unendlich, gesprenkelt mit tausenden von Sternen unterschiedlicher Leuchtkraft, und die Luft so dünn, dass das Echo unserer Schritte auf dem Asphalt an jeder Kreuzung durch die Straßen widerhallte. Auch war die Luft kontinuierlich elektrisch aufgeladen, was im Sommer für gewöhnlich immer ein Gewitter ankündigte und um uns herum ein Gewahrwerden drohenden Unheils aufbaute. Während wir weitergingen, fiel mir die instinktgelenkte Art meiner Freunde auf, wie sie unabhängig voneinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten gen Himmel blickten, als erwarteten sie, Zeuge irgendeines seltenen himmlischen Ereignisses zu werden.

      Peter fing an, einen Song von John Mellencamp zum Besten zu geben, wobei sein Gesang hohl und völlig schief klang. Einer nach dem anderen stimmten wir mit ein – selbst Scott, der eigentlich nichts für Mellencamps bodenständige Rockabilly-Hymnen übrig hatte.

      Ein schwarzer Cadillac rollte lässig an uns vorbei und seine Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit. Er schien langsamer zu werden, als er uns erreicht hatte, doch fuhr weiter und bog am nächsten Stoppschild ab.

      Wir überquerten die Straße und hielten uns in Richtung Norden, wo die Lichtpunkte der Straßenlaternen die Point Lane vor uns wie Lampions säumten. In diesem Teil der Stadt waren die Häuser mit größerem Abstand zueinander gebaut worden. Wir nahmen die Point nach Counterpoint und begaben uns in Richtung Stadtrand.

      Zu unserer Rechten erhob sich der dunkle Umriss des Waldes über der Böschung wie ein schwarzer Schleier, der uns vom nach unten abfallenden, im Mondschein erleuchteten Feld des December Parks trennte. Dieser breite Landstrich wurde flankiert vom Satan’s Forest, der fast so weitläufig wie ein richtiger Wald war, und von den imposanten Überresten der Patapsco School für Mädchen.

      Damals in den 1890ern ließ L. John Stanton, ein illustrer Unternehmer, zwei Schulen an entgegengesetzten Enden der Stadt errichten – die Patapsco School für Mädchen, benannt nach dem Fluss, den sie von ihrer erhöhten Lage auf einer bewaldeten Klippe aus überblicken konnte, und die Stanton School für Jungen, mit Stanton selbst als Namensgeber. Dies war seinerseits ein Akt schierer Großtuerei von Stanton, da die damals gemeindefreien, unerschlossenen Gebiete von Harting Farms nicht mit genügend Einwohnern aufwarten konnten, um zwei monströse, schlossähnliche Highschools zu rechtfertigen, geschweige denn die Bevölkerung nach Geschlecht zu trennen. Dazu kam noch, dass es zu jener Zeit die Hälfte des jugendlichen Bevölkerungsanteils der Stadt nicht über die neunte Klasse hinaus schaffte.

      So wurde also die Stanton School für Jungen zur Stanton School und übernahm schließlich die verbleibende Schülerschaft der Patapsco. Die Mädchenschule wurde geschlossen und erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg als Genesungsheim für heimkehrende Soldaten mit schweren mentalen und physischen Beeinträchtigungen eröffnet. Trotz des wachsenden Unmutes in der Stadt darüber, dass psychisch labile Kriegsveteranen gleich neben einem Park untergebracht worden waren, blieb die zu einem Krankenhaus umgebaute Schule für mehrere Jahre geöffnet und in Betrieb, bis aufgrund fehlerhafter Elektroinstallationen im Jahre 1958 ein zerstörerischer Brand ausbrach. Das Inferno ließ nichts bis auf das nackte, hohle Steinskelett zurück, das bis heute wie eine Miniaturversion des Colosseums erhalten geblieben ist.

      Zahlreiche Menschen waren bei dem Brand ums Leben gekommen, so die Geschichte, und deren Geister spukten nicht nur durch die Überreste der ehemaligen Mädchenschule, sondern auch im Park und den umliegenden Wäldern.

      Man erzählte auch noch von weiteren vermeintlichen Geistern, die angeblich durch den Park spukten – jene von Kindern, die durch unglückliche Unfälle starben, weil sie von Bäumen gefallen oder in einem der zahlreichen Flüsse und Nebenflüsse ertrunken waren, die sich wie Adern durch die Außenbezirke der Stadt zogen. (Doch diese Geschichten erschienen mir eher nur erstunken und erlogen.)

      Selbst

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