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Blocks erwiderte eine andere Gruppe Jugendlicher das Heulen, gefolgt von einigen abfälligen Buhrufen. Sie schleuderten uns kleine, weiße, zusammengedrehte Papiertütchen vor die Füße, die mit kleinen Explosionen losknallten, sobald sie auf dem Asphalt auftrafen.

      Scott, der immer noch ein Ei in der Hand hielt, kam schlitternd zum Stehen. Er holte weit aus und katapultierte das Ei in Richtung der anderen Gruppe, wo es auf dem Shirt des uns am nächsten stehenden Jungen explodierte.

      »Volltreffer!«, krähte Peter triumphierend, dann sprinteten wir zwischen die Bäume davon, bevor die anderen Kids die Verfolgung aufnehmen konnten.

      ***

      Mit rasenden Herzen brachen wir auf der McKinsey Street hervor. Unser Lachen ebbte in abgehakten Schaudern allmählich ab, während wir hinüber zum Randstein taumelten und uns niedersetzten. Ein kleines Nurdachhaus, das zwischen mächtigen Schwarzfichten eingebettet lag und etwa so dunkel war wie das Innere eines Sargs, befand sich direkt hinter uns. Der Name auf dem Briefkasten erregte meine Aufmerksamkeit.

      »Scheiße«, fluchte ich. »Das ist das Haus von Langhalsnik.«

      Immer noch etwas außer Atem breitete Michael die Karte auf seinem Schoß aus und warf einen Blick darauf. »He, ich hab vergessen, den alten Langhalsnik mit auf die Karte zu setzen.«

      »Warum?«, fragte Scott. »Er hat dir doch nichts getan?«

      »Mir nicht«, entgegnete Michael und zeigte mit dem Daumen in meine Richtung. »Aber Angie.«

      »Oh«, meinte Scott nur und sah mich an.

      Ich winkte ab. »Vergesst es. Ist doch egal.«

      »Keine Chance, Alter.« Michael bedeutete Scott, ihm den Rucksack herüberzuschieben. »Wegen dieses Kerls hattest du Schwierigkeiten mit deinem Paps. Ihm hast du deinen Hausarrest zu verdanken. Er muss dafür bezahlen, wie alle anderen auch.«

      »Niemand muss hier für irgendwas bezahlen«, widersprach ich.

      Michael ignorierte mich einfach und warf einen prüfenden Blick in den Rucksack. »Wir haben noch genau vier Eier übrig.«

      »Wenn das keine Fügung ist«, tönte Scott voller Schalk und seine Augen funkelten spitzbübisch aus seiner Maske schwarzer Schuhcreme hervor.

      Michael holte die Eier aus dem Rucksack und stattete jeden von uns mit einem aus. Dann stand er auf und rollte sein Ei erwartungsvoll ungeduldig zwischen seinen Handflächen vor und zurück, während er Mr. Naczalniks Haus musterte.

      »Shit«, fluchte Scott erschrocken. »Ich glaube, ich habe jemanden am Fenster gesehen.«

      Peter blickte zum Haus hinüber. »An welchem?«

      Scott deutete auf eines der Erdgeschossfenster. Das ganze Haus war stockfinster und es war unmöglich, irgendetwas zu erkennen. »Genau da. Jemand hat aus den Vorhängen gesehen.«

      »Alles Einbildung«, tat Michael ab. »Da ist niemand zu Hause. Steht ja nicht mal ein Auto in der Einfahrt.«

      Das Ei in meiner Hand fühlte sich kalt und schwer an, seltsamerweise wesentlich gegenständlicher und gewichtiger als die anderen, die ich den ganzen Abend über geworfen hatte. Vom nächsten Block aus hallten die Rufe und das Geschrei anderer Jugendlicher geisterhaft zu uns herüber.

      »Feuer frei!«, eröffnete Michael das Bombardement und knallte sein Ei gegen Naczalniks Haus. Mit dem Geräusch eines kleinen Silvesterkrachers zerplatzte es an der Verkleidung der vorderen Veranda.

      Als Nächstes warf Scott sein Ei und zielte dabei genauer als Michael: Es traf die Haustür genau in der Mitte, zerbarst und das zäh-klebrige Innere schien im Mondlicht zu glänzen. Dann katapultierte Peter sein Ei in hohem, trägem Bogen; das Ei zerschellte an einer der Verandabalustraden mit einem Laut, der wie Froschquaken klang.

      Licht ging in einem der Erdgeschossfenster an.

      »Ich hab euch doch gesagt, da ist jemand«, unterstrich Scott nachdrücklich.

      »Lasst uns abhauen.« Michael duckte sich vom Rand des Grundstücks zurück.

      Ich rührte mich keinen Zentimeter. Ich spürte, wie Peter an mir vorbeirauschte und sich einen Zipfel meines Sweatshirts schnappte, doch ich riss mich von ihm los. Gerade als sich Naczalniks Haustür öffnete und einen Streifen fahlgelben Lichts auf die Veranda warf, schleuderte ich mein Ei. Allerdings nicht nur auf das Haus – auf ihn!

      Ich hatte erbärmlich gezielt: Das Ei detonierte an einem der vorderen Fenster, woraufhin sich Mr. Naczalniks Silhouette mit zusammengekniffenem Gesicht mit Schwung in dieselbe Richtung wandte. Zu beiden Seiten der Tür gingen gusseiserne Wandlaternen an. Dann donnerte seine Stimme wie ein lautstarkes Fagott los, doch ich floh bereits mit meinen Freunden die Straße entlang und mein Herz hämmerte so laut in meinen Ohren, dass ich nichts von dem verstehen konnte, was Mr. Naczalnik noch von sich gab.

      ***

      Auf unserem Rückweg durch die Stadt näherten wir uns allmählich der Endstation des Abends – was Michael uns feierlich als den krönenden Abschluss versprochen hatte. In der Luft lagen eine gewisse Kühle und der Rauchgeruch entfernter Lagerfeuer. Wir ließen uns lässig Zigaretten zwischen den Lippen baumeln, während wir durch die Schatten schlichen, und pfiffen frivol ein paar Mädchen hinterher, die wir aus der Schule kannten.

      Als sich plötzlich eines der Mädchen von ihrer Gruppe löste und zu uns herüberkam, wunderte ich mich nicht schlecht über ihre Verwegenheit. Doch als sie unter dem Lichtkegel einer Straßenlaterne hindurchging, erkannte ich sie.

      Rachel Lowrey war das erste Mädchen, das ich jemals geküsst hatte. Wir waren elf oder zwölf gewesen, also war es kein richtiges Kussszenario mit offenem Mund und kämpfenden Zungen, obwohl es sich zu jener Zeit schon ziemlich intensiv angefühlt hatte. Sie hatte mir den Kuss nicht gegeben, weil sie mich mochte; der Grund war die Kussschlacht gewesen.

      Die Kussschlacht hatte ihren Anfang genommen, als eine Gruppe Mädchen aus der Nachbarschaft Michael eines Sommers aufgelauert hatte, über ihn hergefallen war und ihn mit Küssen bombardiert hatte. Noch ehe der Sommer zu Ende ging, waren wir alle in der Schlacht gefallen. Rachel Lowrey war meine Angreiferin gewesen. Sie hatte mich zu Boden gerungen, als ich gerade auf einen Dünenkamm in den Shallows gestiegen war, wo ich den Nachmittag mit meinen Freunden beim Schwimmen verbracht hatte. Erschrocken und mit solcher Wucht getroffen, dass ich keine Luft mehr bekam, hatte ich versucht, mich zur Seite zu rollen und auf die Füße zu stemmen, doch es hatte nur damit geendet, dass ich mich mit Sand panierte wie ein Schnitzel. Ohne zu zögern, hatte sie sich auf mich geworfen und sich über meine Taille gegrätscht, sodass ihre Knie zu beiden Seiten meiner Hüften tiefe Abdrücke im Sand hinterließen. Dann war ihr Gesicht über meinem und ihre Lippen auf meinen gewesen. Zu meiner Überraschung hatte ich sie nicht weggeschoben, was vielleicht auch der Grund war, weshalb sie aufhörte.

      Als sie wieder von mir abließ, hatte sie einen fragenden Ausdruck im Gesicht. Um zu vermeiden, dass es zu peinlich wurde, hatte ich meine Hüften ruckartig aufgebäumt und sie so in den Sand geschubst. Lachend hatte sie sich aufgerappelt, aber da pflügte ich bereits über die Dünen davon, wobei meine nackten Füße bumerangförmige Spuren im Sand hinterließen.

      »Ich hätte wissen müssen, dass ihr das seid.« Rachel materialisierte sich aus der Dunkelheit heraus wie ein Geist, der Gestalt annahm. Ihre Verkleidung bestand nur aus einem roten Cape und einem weiß gepuderten Gesicht. Die dunklen Locken waren zu je einem Zopf auf jeder Seite geflochten. An die linke Seite ihres Halses hatte sie sich mit Kunstblut eine klaffende Wunde geschminkt. Sie sah jeden Einzelnen von uns an, dann traf ihr Blick schließlich mich. »Wieso gibst du dich mit solchen Vollpfosten ab?«

      Michael kicherte. »Was sollst du denn überhaupt darstellen?«

      »Ich bin Rotkäppchen. Nur hatte ich nicht das Glück, dem Großen Bösen Wolf zu entkommen. Seht ihr?« Sie neigte den Kopf zur Seite, um uns stolz ihre glänzende Halswunde darzubieten.

      »Klasse«, lobte Scott.

      »Ihr Typen haltet euch für so cool, wenn ihr rumsteht und raucht«, lästerte

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