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Hierbei handelte es sich um einen solchen Anlass. Ein langjähriger Helfer mit Verbindungen zu mehreren Gruppen von Aufrührern hatte einen Mann gefunden, der angeblich etwas über zwei erst kürzlich erfolgten Bombenattentate im Nordosten Englands wusste. Deshalb wollte dieser sich gemeinsam mit Shane kurzschließen.

      Da hier so spät abends gar kein Verkehr herrschte, hielt er mitten auf der Straße an und schaute durch die beschlagene Scheibe seiner Tür auf das einstöckige Ziegelhaus gleich hinter dem Friedhofstor. Drinnen brannte kein Licht, und nur eine Seite des Tors, das auf das Gelände führte, stand offen. Zum Durchfahren war es allerdings zu eng.

      Er blieb mehrere Sekunden lang sitzen und starrte in diese Richtung, während sein warmer Atem das Hartglas wenige Zoll vor seinem Gesicht beschlug. Ihm ging es dabei darum, etwaige Zeichen dafür zu erkennen, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Gar nichts zu sehen, war aber vielleicht auch genau so seltsam.

      Obwohl es nur einen Zeugen gab, der die beiden Explosionen miterlebt hatte, war das Wort »Ire« in seiner qualvollen Aussage trotz schrecklicher Verletzungen immer wieder gefallen. Außerdem hatten beide Sprengsätze auf das Werk irischer Radikaler anstatt wie momentan eher üblich islamischer Terroristen hingedeutet. Dies machte Shane in den Augen seiner Vorgesetzten zum Fachmann für den Umgang mit dem neuen Informanten und die Beschaffung jeglicher Fakten, die dieser ihnen bieten konnte.

      Als ehemaliger Angehöriger der Irisch-Republikanischen Armee, der selbst zu einem mitteilsamen Überläufer geworden war, hatte Shane eine Vereinbarung mit der britischen Regierung getroffen, die ihm ungeachtet seiner früheren Fehltritte stets sichere Arbeit gewährleistete. Es gab falls überhaupt nur Wenige, die so viel über den irischen Republikanismus und dessen unterschiedliche terroristische Fraktionen wussten wie er. An dieser Situation jetzt störte ihn jedoch etwas Entscheidendes. Dies war seit einem Jahrzehnt der erste Übergriff irischer Aufwiegler gegen das Königreich. Dass eine solche Gruppe auf einmal gleich zwei Städte angegriffen haben sollte, deren Bevölkerung vorwiegend der Arbeiterschicht angehörte und die international nur wenig geläufig bis nahezu vollkommen unbekannt waren, geschweige denn historische Bezüge zum Konflikt zwischen Großbritannien und Irland hatten, passte überhaupt nicht ins Bild, denn ideologische Motive waren damit auszuschließen.

      Shane schaltete wieder in den ersten Gang und lenkte hart ein, um sich auf den engen Platz zwischen Fahrbahnrand und Zaun stellen zu können. Nachdem er ausgestiegen war, zog er die Schultern unter seinem Trenchcoat so hoch wie nur möglich und trat dann von der Geländelimousine weg, die ihm mehr oder weniger sicheren Schutz bieten würde. Seine ergrauenden roten Haare wurden im Regen schnell nass, und er fluchte leise, weil ihm Wasser ins Gesicht tropfte. Sich an einem solchen Ort treffen zu wollen, sah Rory Blaney ähnlich. Shane bezweifelte sehr, dass der Mann je einem Stubenhocker-Job nachgegangen war.

      Er näherte sich dem Tor mit Bedacht. Das dunkle Gebäude dahinter war das Haus des Friedhofswärters, und daran vorbei führte eine lange, gepflasterte Einfahrt zwischen den Grabsteinreihen. Einige davon hatten mit der Zeit Risse bekommen, wohingegen die neueren noch vom harten schottischen Wetter unberührt geblieben waren.

      Er hatte bald zehn Yard auf dem Gelände zurückgelegt und immer noch niemanden gesehen. War sein Informant wegen seiner Verspätung verschwunden? Rory sollte doch Verständnis dafür haben, wie lange die Fahrt von London aus hierher dauerte, dieses Mal sogar noch länger in Anbetracht der Witterung. Shane ging zur Hintertür des Hauses und stellte sich unter einen Säulenvorbau, wo es trocken war. Dann hob er den Arm, um anzuklopfen.

      »Der Garten der Erinnerung«, sprach ein Mann mit heiserer Stimme, während er an der Seite des Gebäudes vortrat. Shane drehte sich zu ihm um. »Angelegt zum Gedenken an die Opfer des Lockerbie-Anschlags 1988«, fuhr er fort, während er zum hinteren Ende der Anlage schaute. »In Hinblick auf den Grund für unser Treffen fand ich dieses Fleckchen irgendwie angemessen.«

      Shane starrte ihn an. Ihm war diese Sache ganz und gar nicht geheuer. Er ließ sich nur sehr ungern überraschen, doch ausgerechnet dies hatte der Mann soeben getan. Er war ungefähr so groß wie er, sein braunes Haar war kurz geschnitten. Außerdem hatte er einen Dreitagebart und kaute auf einem Zahnstocher herum, während seine Hände in den Taschen eines grünen Kolanis steckten. Shane wunderte sich allerdings weniger über dessen Äußeres als über seinen Akzent. Unabhängig von seiner Heiserkeit, die gewiss von jahrelangem Tabakkonsum herrührte, würde er diesen speziellen Zungenschlag West Belfast zuordnen, ein stark katholisch geprägtes Viertel in Nordirlands größter Stadt, wo es bekanntermaßen vor Sympathisanten der Republikaner nur so strotzte.

      »Wer sind Sie? Und wo ist Frankie?«, fragte Shane, während er bewusst einen falschen Namen für seinen Agenten benutzte.

      »Ich kenne keinen Frankie, aber Rory kommt gleich.«

      Nun entspannte sich Shane ein wenig. »Sie sind also derjenige, der sich darüber unterhalten will, was in Penrith und Carlisle geschehen ist?«

      »Darüber will sich niemand unterhalten, Kumpel. Genauso wenig, wie man sich um all die armen Schweine schert, denen man da hinten die Ehre erwiesen hat. Aber jemand muss es tun, und ich bin offenbar der einzige Pechvogel, der alles darüber weiß.«

      Shane blieb weiterhin misstrauisch. Denn nichts an dem Kerl entsprach einem gewöhnlichen Informanten. Wer so etwas zum ersten Mal tat, war meistens extrem nervös und im übertriebenen Maße paranoid. Denn bei denjenigen, die sie verraten wollten, handelte es sich niemals um wohlgesonnene Menschen, die Kätzchen kraulten und mit Kindern spielten, sondern um grausame Typen, deren Taten noch gemeiner waren und die eine äußerst kurze Geduldspanne hatten – solche, die es nicht gut aufnahmen, wenn jemand bei den Bullen vorstellig wurde, um Geschichten über sie auszuplaudern.

      »Sie kommen aus West Belfast, oder? Haben Sie auch einen Namen?«

      »Aidan, und jawohl ich stamme aus West Belfast.«

      Shane kannte diese Gegend hinlänglich, denn er war dort aufgewachsen und während der ersten siebzehn Jahre seines Lebens oft in den verschiedenen Pubs entlang der Falls Road aufgeschlagen. »Dann kann man wohl davon ausgehen, dass Sie eine ganze Weile für die Spezialeinheit der Royal Ulster Constabulary gearbeitet haben, richtig?«

      Aidan verzog sein Gesicht. »Aye. Damals war ich ein paar Jahre lang ihr Tippgeber. Woher wissen Sie das denn?« Wegen seiner eigenen Frage rümpfte er abfällig die Nase. »Ich war ein elender Spion, ja das stimmt.«

      »Nun da wir das Eis gebrochen haben, würde ich vorschlagen, wir warten auf Rory und halten anschließend irgendwo ein Schwätzchen, wo wir nicht komplett durchweichen; dieses Wetter ist echt furchtbar.« Shane gefielen die Umstände immer noch nicht. Falls dieses Gespräch wirklich zustande kommen sollte, musste er Aidan an einen Ort bringen, wo er ihn besser unter Kontrolle hatte.

      »Oh nein, ich gehe nicht von hier weg, nicht mit Ihnen. Ausgeschlossen! Nicht, wenn ich dabei an die Sorte Mensch denke, mit der ich es zu tun habe.«

      »Und welche Sorte ist das? Jemand von den Reals? Den Contos?«

      »Weder noch«, antwortete eine schroffe Stimme, kurz bevor Shane die Tür des Wohnhauses aufgehen hörte. Prompt spürte er den Lauf einer Waffe in seinem Kreuz.

      Er hob die Hände mit gespreizten Fingern bis zu seinen Schultern hoch und trat dann unter dem Säulenvorbau hervor. Sofort rann Regen an seinen Armen hinunter und tränkte die Ärmel des Hemdes, das er unter seinem Mantel trug.

      »Hände hoch und mit dem Gesicht an die Wand!«, knurrte der Mann, während er aus dem Gebäude trat.

      Shane gehorchte sofort, drehte sich aber so, dass er einen kurzen Blick auf ihn werfen konnte. Der Kerl trug eine schwarze Jacke mit Kapuze, die seinen Kopf komplett bedeckte, doch sein Gesicht konnte man trotzdem erkennen – Falten, ein kantiges Kinn und graumelierte Bartstoppeln. Die Waffe war eine Kalaschnikow.

      Shane verfluchte sich selbst, weil er nicht auf seinen Instinkt gehört hatte. Wenn ihm mal etwas nicht koscher vorkam, lag er in der Regel richtig damit. Er schaute zwischen den zwei Männern hin und her. Sich mit allen beiden anzulegen würde er garantiert nicht überleben. In seinen jüngeren Jahren hätte er es eventuell geschafft, doch selbst dann wäre es eher

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