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Über den Autor

      Kapitel 1

      Eine Woche zuvor

       10:03 Uhr Ortszeit, Carlisle, im Nordosten Englands

      »Ich bin noch nicht fertig, Junge.« Der Ire kaute auf einem Zahnstocher herum und grinste dabei schief. Beim Höhepunkt eines gründlich geplanten Anschlags musste er immer schmunzeln. Mit dem Gefühl, deine Gegner zum Kampf zu nötigen und sie dann fallen zu sehen, ließ sich kaum etwas auf dieser Welt vergleichen.

      Der Barkeeper legte jetzt die Rechnung für das Pint des Iren, das noch halbvoll war, auf den Tisch. »Die Kerle da hinten in der Ecke hauen dir gleich die Hucke voll, Sportsfreund. Seit du hier bist, hast du nichts anderes getan, als dir das Maul über sie zu zerreißen. Verlass dich lieber auf mich. Wenn du weißt, was gut für dich ist, machst du jetzt 'nen Abgang.«

      Der Ire schaute über die Schulter zurück und lachte. »Aye, in Ordnung.« Er zog einen Zehn-Pfund-Schein aus der Tasche. »Der Rest ist Trinkgeld.«

      Nachdem der Barkeeper den Schein grunzend eingesteckt hatte, ging er wieder. Keine Frage, er war genauso ungehalten wegen der Bemerkungen des Iren wie seine Stammkundschaft. Der Mann grinste weiterhin, während er aufstand und seine Jacke glattstrich, wobei er den Blick durch das größtenteils leere Lokal schweifen ließ. Er konnte sich das Lachen kaum verkneifen, als er in die hintere Ecke schaute, wo die sechs Männer mit hochgezogenen Schultern vor ihren Bierkrügen hockten. »Schönen Abend noch, ihr Fatzkes. Ich mach mich dann wohl mal auf die Socken nach Middlesbrough. Hab gehört, deren Mannschaft soll nicht nur aus Nulpen bestehen.«

      »Mir reicht dieser Linkswichser jetzt langsam.« Der größte Mann verschüttete Bier aus seinem Krug, weil er diesen so abrupt auf den Tisch knallte, und stand auf. Die Gemüter in Carlisle waren nach einer brutalen Fußballsaison, in welcher das städtische Team nur knapp gegen die Hauptrivalen verloren hatte, weshalb es jetzt abstieg, sowieso schon erhitzt genug.

      Der Barkeeper fluchte leise vor sich hin. »Mensch, Clem, hört auf, Jungs. Lasst ihn einfach gehen. Ich erlaube keine Schlägereien hier drin.«

      »Halt den Rand, Rodney.«

      Der Ire strahlte erfreut und ging rückwärts zur Tür. Das war er! Der berühmte Moment, in dem es kein Zurück mehr gab. Beim Verlassen der Kneipe setzte er automatisch eine Kette von Ereignissen in Gang, die sich seinem Einflussbereich entzogen, und diese Vorstellung erregte ihn. Er drehte sich um und stieß die Tür mit einem Arm auf, ohne die Männer dabei aus den Augen zu lassen, die alle nacheinander aufstanden und ihm folgten.

      Draußen zog er eine Skimaske unter seiner Jacke hervor, setzte sie auf seinen Kopf und zog sie sich über das Gesicht wie eine Damenstrumpfhose. Nachdem er den von einem Eisenzaun umgebenen Hof verlassen hatte, überquerte er die Straße und versteckte sich in einer schmalen Einfahrt zwischen zwei Reihenhäusern aus Ziegelsteinen.

      »Hast du ihnen ordentlich ans Bein gepisst?«

      »Aber hallo, war echt kinderleicht. Die sind doch alle hohl wie Brot da drin.« Er wandte sich dem Mann zu, der mit einer grünen Skimaske und einer Kalaschnikow hinter ihm stand. »Da kommen sie.«

      Der Mann lud durch und legte auf die Kneipe an. »Wunderbar.«

      Die sechs Gäste traten jetzt einer nach dem anderen aus dem Hof und schauten sich auf der Straße in beiden Richtungen nach dem vermeintlich flüchtigen Iren um.

      »Hier drüben, ihr Wichser« Er ließ jetzt von der Seite des einen Hauses ab und zeigte sich. Als der Anführer der Männer losstürmte, bemerkte er die Maske im Gesicht seines Gegners aber noch nicht. Mit einem Mal veränderte sich die bis dahin ruhige Geräuschkulisse, und Schüsse aus dem Automatikgewehr ertönten auf der Straße, auf der sich überwiegend Wohngebäude befanden.

      Die bisher dicht gedrängte Gruppe fiel sofort. Der Ire grinste, während sein Landsmann nachlud und weiter feuerte, zunächst noch einmal auf die Toten und dann auf die Backsteinmauer und die Fenster der Kneipe, wobei die Scheiben zerbrachen und Ziegelsplitter von der Fassade spritzten. Einige Schüsse prallten auch von dem verschnörkelten Eisenzaun vor dem Eingang ab, Querschläger gingen ins Dunkel der Nacht. Als schließlich auch sein zweites Magazin leer war, klinkte der Schütze es aus und nahm ein neues aus einer seiner Taschen. Nachdem er es eingesetzt hatte, lud er abermals durch und schwenkte den Lauf vor sich hin und her, während aufgebrachte Stimmen aus den Häusern in der Umgebung laut wurden.

      »Ist sie scharf?«, blaffte er jetzt.

      »Aye, sie liegt im Kofferraum.« Er wies mit einem Nicken auf das Heck eines Kompaktwagens, der am Straßenrand vor dem Lokal geparkt war.

      »Dann mal los!« Der Schütze hob seine Waffe erneut und gab eine willkürliche Salve über die Fahrbahn ab, sodass sich die wenigen Anlieger, die einen Blick nach draußen gewagt hatten, schnell wieder verzogen.

      Der Ire befolgte die Aufforderung und lief los, während er den nächsten Feuerstoß seines Komplizen vernahm. In der Ferne heulten Sirenen. Die Polizei war bereits unterwegs.

      »Beeilung!«, rief der Schütze. Er holte seinen Mitstreiter ein, als sich dieser gerade der schulterhohen Backsteinmauer näherte, die das Wohngebiet vom Gelände des örtlichen Fußballstadions Brunton Park trennte.

      Der schmächtige Ire zog sich mit den Händen an der Mauer hoch und sprang dann ins nasse Gras auf der anderen Seite. Anschließend drehte er sich um und wartete auf seinen Gefährten, der ihm zuerst die Kalaschnikow hinüberwarf, bevor er selbst hochkletterte. Er grinste beim Blick über die Mauer, da er sah, wie sich ein paar Mutige aus ihren Häusern trauten und zaghaft auf die Kneipe zugingen.

      »Verschwinden wir von hier, schnell!« Der Schütze landete neben ihm im Gras, und sie eilten weiter.

      Der Ire folgte ihm wieder und hängte sich dabei das Gewehr über die Schulter. Ein Stück weiter voraus auf dem Parkplatz neben dem Stadion sahen sie das Fluchtauto stehen. Seit ihrer letzten Beteiligung bei einem Anschlag auf der britischen Hauptinsel war schon viel zu viel Zeit vergangen. Ihre Geschicke in anderen Teilen der Welt liefen zwar großartig, doch zu Hause zu sein, vermittelte ihnen ein gutes Gefühl. Mit dem Schießen sollte es laut Plan nun vorbei sein, zumal die Polizeisirenen immer lauter wurden, weshalb es nicht mehr lange dauern würde, bis es im gesamten Gebäudeblock hoch hergehen würde. Jetzt war es an der Zeit für seine Spezialität: Die Bombe!

      Kapitel 2

      Vor zwei Tagen

       21:16 Uhr Ortszeit, Friedhof Dryfesdale – Lockerbie, Schottland

      Shane O'Reilly musste seine Augen anstrengen und einen Gang herunterschalten, während die Scheibenwischer seines olivgrünen Range Rover schon auf die schnellste Stufe eingestellt waren. Vor dem Wagen konnte er gerade noch so eben das Ende einer hohen Hecke erkennen, wo der Eisenzaun anfing, der den Friedhof umgab. Er kam sechzehn Minuten zu spät. Das notorisch stürmische Wetter Schottlands hatte die Fahrt auf den Schnell- und Nebenstraßen im Süden zu einem richtigen Krampf gemacht.

      Als Sicherheitsbeamter des britischen Innengeheimdiensts oder landläufig MI5 genannt, bestand seine Aufgabe im Erkennen und Rekrutieren potenzieller Informanten mit Kontakten zu Einzelpersonen und Körperschaften, welche die Regierung des Vereinigten Königreichs auf dem Schirm behalten wollte.

      Dieser Tage konnte er als Mitglied des irischen und inländischen Terrorismusschutzes von seinem Schreibtisch im sechsten Stock des Londoner Thames House aus, arbeiten. Wie ein altgedienter Kaufmann, der sich auf seine Rotationskartei verließ, machte sich Shane gerne im Laufe zweier Jahrzehnte geknüpfte Beziehungen zunutze, die ihm pflichtbewusst alles über die Geschehnisse in Nordirland und dessen Schwester, der Republik Irland, respektive die Umtriebe der wenigen übrigen Dissidenten auf der Hauptinsel berichteten.

      Nur selten reiste er noch selbst, um Informationsgeber aufzusuchen,

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