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noch viel heller und glänzender aus den Augen aller Anwesenden. Was hatten wir uns alles zu sagen; bis endlich die Frauenzimmer mit dem Säugling zu geheimeren Verhandlungen abzogen und uns Männer allein ließen. Der rote Konrad lief wie im Rausch umher, unfähig, drei zusammenhängende Worte zu sprechen; der Forstmeister von Altenbach hatte bereits wieder seine Pfeife und seinen Tabaksbeutel hervorgesucht und sammelte stillvergnügt immer dichtere Wolken um sich her; ich suchte alle meine Jugenderinnerungen zusammen und verließ heimlich durch die Hintertür das Pfarrhaus zu Rulingen. Durch den verschneieten Garten mit den vielen Hasenspuren um alle Büsche und Kohlstrünke gelangte ich zu dem Kirchhofe des Dorfes und über ihn weg zu einem kleinen Seitentürchen der Kirche selbst. Ich kannte diese Pforte sehr gut und wußte noch, zu welchem dunkeln Winkelchen sie führte. Vorsichtig trat ich ein und fand mich im nächsten Augenblick, ein Glied der andächtig horchenden Gemeinde, auf jenem Bänkchen, von welchem aus man die Kirche ihrer Länge nach bis zur Kanzel hin übersieht. Einige Frauen, die Kinder des Dorfes mit dem Schulmeister und ein halbes Dutzend ältere Männer bildeten die Versammlung, und über ihre Köpfe weg faßte ich meinen Jugendfreund auf seiner kleinen Kanzel fest ins Auge. Das war noch derselbe treue, stille, sinnig-träumerische Mensch, wie er sich schon im Knaben vorgebildet hatte, eine jener Naturen, welche die geringste rauhe Berührung von außen immer tiefer in sich selbst zurücktreibt, welche, wie man zu sagen pflegt, eine Vorsehung für sich allein haben. Das sind die Naturen, die Tage, Wochen gebrauchen, um das geringste außergewöhnliche Ereignis in sich zurechtzulegen, es ihrem Wesen einzuordnen, denen entweder alles Ruhe und seligster Friede, oder aber alles Unruhe und vernichtendster Zweifel ist. Wir, die wir aus dem Getriebe des Lebens kommen, wir, umhergeworfen zwischen Freude und Leid, Qual und Glück, wir, die wir in jedem Augenblick mit Schwert und Schild jeden Schritt auf unserm Lebenswege decken müssen, wir begreifen diese Menschen selten. Schöne Rätsel oder Objekte des Spottes und Hohns sind sie uns, und doch ist es sehr zweifelhaft, wer im Kampf um die Humanität schwerer in die Wagschale fällt – wir oder sie! –

      Gott zum Gruß, Arnold Rohwold! Rede weiter – weiter! Zwar ist ärmlich das Brettergerüst, von dem du sprichst, armen und einfältigen Herzens sind deine Zuhörer – Kinder und Weiblein – deutsche Bauern. Was schadet das? Dein Auge ist klar und leuchtend. Schön ist’s, zu den Armen und Einfältigen zu sprechen! Schön ist’s, die Palmen von Bethlehem und Ägypten in den kalten germanischen Winter rauschen und säuseln zu lassen: in dem kalten germanischen Winter, der um die kleine Dorfkirche liegt, zu demselben Volk zu sprechen, welches zuerst die frohe Botschaft und das – Kreuz Christi auf sich nahm – Deo devota, patiens et submissa natio Germanorum!

      Welch eine Reihe stiller Sonntage meiner Jugendzeit, hingebracht in diesem Walddorf, zog langsam vor meiner Seele vorüber, während der Freund auf der Kanzel den alten und jungen Kindern die Flucht nach Ägypten erzählte. Damals saßen wir selbst beide unter jenen Kindern auf den ersten Bänken und sahen ehrfurchtsvoll hinauf zu dem Greise mit den weißen Locken, dem wir einige Stunden später im kleinen Pfarrhaus auf den Knieen saßen. Sinnend dachte ich an den stillen, ungestörten Lebensgang, welcher meinem Jugendfreund im Gegensatz zu dem meinigen beschieden war. Während ich hinausgeschleudert wurde in die Welt, haftete er an der Scholle und träumte sich – man kann es sagen – allgemach hinein in die Gelehrsamkeit seines Vaters. Wenn er ein Examen zu machen hatte, so legte ihm die Mutter jedesmal als glückbringendes Zeichen ein vierblättrig Kleeblatt in jedes Buch, und getrost ging er, um wie Gold aus jeder Probe hervorzukommen. Der alte Rohwold erlebte noch die Freude, das einzige Kind von seiner eigenen Kanzel predigen zu hören. Er war alt und schwach geworden, und der Sohn ward dem Vater Gehilfe im Amt, und als der letztere starb, ward Arnold Rohwold an seiner Stelle Prediger in dem abgelegenen, von der Welt und dem Konsistorium fast vergessenen Dorfe Rulingen, und die Mutter konnte weiter schalten in ihrer schwarzen Witwentracht, in dem kleinen Pfarrhause mit der Aussicht auf den Kirchhof und den Grabhügel des heimgegangenen Gatten. In dem kleinen Pfarrhause stand noch jedes Gerät an demselben Platze, an welchem es vor zwanzig Jahren gestanden hatte, an welchen es vor vierzig Jahren zum erstenmal niedergesetzt war; die Kirchhofslinde trieb jedes Jahr im Wechsel der Zeit ihre Blüten und welken Blätter in die offenen Fenster des Pfarrhauses, und die Schmetterlinge flatterten jeden Frühling über den offenen Büchern und Papieren des jungen Pfarrers, wie sie den toten Vater umflattert hatten.

      Ich dachte an das alles und an noch viel mehr. Ich dachte auch an Cäcilie – und Weitenweber glitt durch meinen Traum, und die Predigt nahm ihren Fortgang: Im Schatten der Riesensphinx saß die Mutter mit dem durstigen Kindlein an der Brust, und der Vater lehnte an dem Eselein, und die Pyramiden und die Obelisken schauten stolz herüber; die Priester sangen in dem Tempel der Sonne, und Griechen und Römer und Ägypter und alle Völker des Erdkreises drängten sich in Pracht und Herrlichkeit in den Gassen und auf den Plätzen von Heliopolis. Schöne Götterbilder wurden in den Werkstätten großer Künstler gemeißelt; in den Säulenhallen redeten die Weisen; die Tuba erschallte auf den waffenblitzenden Triremen, welche den Nil herauffuhren, die Grenze zu schützen gegen die Äthioper. Wer achtete auf die kleine Gruppe neben der geheimnisvollen Sphinx? Wer vernahm das Schlummerlied, welches die Mutter dem Kindlein auf ihrem Schoß sang, nachdem es sich sattgetrunken hatte?

      Ich fuhr empor! – Unter dem Klange der Orgel war der Taufzug in das Kirchlein getreten, und der junge Weltbürger sang lustig im Chor der Gemeinde von Rulingen mit. Fein geschmückt lag er in den Armen Cäciliens. Der gewaltige Forstmeister schritt in seiner Staatsuniform feierlich hinterher, die Frau Pastorin Rohwold führend. Ihnen folgte Konrad mit seinem glücklichen Weiblein, deren Arm ich in dem nächsten Augenblick in den meinigen genommen hatte.

      »Wo steckst du denn?« flüsterte der Rotkopf. »Wir haben dich überall gesucht und mancherlei Vermutungen über dem Verschwinden angestellt.«

      »Bst!« sagte ich, den Finger auf den Mund legend. »Ich habe eine Vorfeier gehalten. Seien Sie gütig, Käthchen, und verzeihen Sie mir!«

      »O ich bin so glücklich!« sagte die kleine Frau. »Ist er nicht prächtig? O, ich hoffe, er wird gut werden – er wird wie sein Vater werden!«

      »Aber Ihr hübsches Haar soll er bekommen, Frau Käthchen, und fröhlich wie Sie soll er werden, und Ihre Augen hat er schon!«

      »Ach schweigen Sie doch, wie können Sie so in der Kirche sprechen!« rief Käthchen glückselig lächelnd. »Da kommt Arnold – ich wollte sagen, der Herr Pastor.«

      In pontificalibus trat Arnold, der Pastor, jetzt wirklich unter uns, und er sah auch in der Nähe recht ehrwürdig und hübsch in seinem schwarzen Predigergewande ans. Eine herzliche stumme Begrüßung fand statt, und dann schritten wir sogleich zu dem großen Werke, welches uns um den lichterglänzenden, aufgeputzten Altar der kleinen Dorfkirche versammelt hatte. –

      »So gehe denn zu Freud und Leid hinein in das Leben, du liebes Kind,« – beschloß der junge Pfarrer von Rulingen seine Taufrede – »und laß dich nicht irren auf deinem Pfad! Nimm die Blumen und Früchte, welche dir zu beiden Seiten in die Hände wachsen; aber das Auge schlage auf zu dem ewigen Blau über dir, daß dein Herz nicht eng und dunkel werde in Erdenlust und Erdenschmerz. Laß dich nicht irren, du liebes kleines Kind! Gehe deinen Weg und schürze fröhlich dein Gewand, sammle jubelnd alle bunten Schätze, welche du auf deinem Pfade findest, hinein, und Gottes schöne Engel – Liebe und Freundschaft – mögen dir zur Seite gehen und dir sammeln helfen, bis der Abend, die Nacht hereindämmert, dein Auge trübe, dein Schritt langsam wird. Und wenn der Abend, die dunkle Nacht hereingebrochen ist, der Vater ruft, dann laß still und willig dein gesammelt bunt Spielzeug zur Erde fallen, von der es genommen, falte die Hände und sprich dein Nachtgebet und träume dich sanft hinüber in den großen Auferstehungsmorgen mit seinen unbekannten Sonnen, seinen unbekannten Lerchen und Nachtigallen, all seiner unbekannten Herrlichkeit und Seligkeit – – Amen!«

      21

       Inhaltsverzeichnis

      Den christlichen Gebräuchen war ihr Recht geschehen; jetzt berührte Margarethe dreimal mit der Stirn des jüngeren Lebrechts einen der mit grünen Tannenzweigen umwundenen Holzpfeiler des Kirchleins, um den Neugetauften

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