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Mann!«

      Ich fuhr bestürzt in die Höhe; richtig, da kam er langbeinig, bedächtig langsam durch den Schnee, die Nase hoch im Winde; Theobul Weitenweber, Doktor der Philosophie, Hauptredakteur des Kamäleons! … Er näherte sich der Gartentür –

      »Er wird Sie suchen!« rief die Frau Agnes. »Ich werde« –

      »Um Gottes willen!« rief ich, entsetzt ihre Hand fassend, »bleiben Sie, bleiben Sie, beste, liebste Frau! Lassen Sie mich die Haustür verriegeln, bitte, bitte!«

      »Aber –?«

      Ein Augenblick aufgeregtester Spannung erfolgte jetzt für mich. Das Ungeheuer hatte die Gartentür erreicht, legte beide Pfoten auf das Gitter und hob sich auf den Zehen, über den Zaun grinsend. Aufmerksam betrachtete es die Fußstapfen im Schnee, den Gartenweg entlang, welche sich in der Haustür des kleinen grünen Hauses verloren. Jetzt! … Nein, er schnitt eine Fratze, die Hände schoben sich wieder in die Taschen; er machte linksum kehrt, der Herrliche, und langsam schritt er zurück, wie er gekommen war. Er begnügte sich mit dem Schreck, welchen er mir eingejagt hatte.

      Ich sollte nun angeben, weshalb ich meinen Freund fürchte, und murmelte etwas von »Tavernenhumor«, »absoluter Negation«; aber die Frauen wollten sich nicht damit begnügen. Was sollte ich sagen?

      »Ein echter Zeitungsschreiber geht ins Wasser wie ein Pudel, ins Feuer wie ein Salamander, erhebt sich in die Luft wie ein Luftballon, genießt Gift wie Mithridates; ein echter Zeitungsschreiber fürchtet nichts als – seinen Kollegen, haßt nichts als seinen Nachbar in der Tinte!« sagte ich endlich. – »Ich fürchte und verabscheue meinen Freund Weitenweber!«

      »Das ist schlimm, sehr schlimm!« sagte Cäcilie traurig. »Aber ich glaube es nicht!« rief sie im folgenden Augenblick heiter. »Er ist ja Ihr Freund!«

      Ich besitze die glückliche Gabe, erforderlichenfalls so naiv aussehen zu können, wie ein neugeborenes Kind; das hat mich schon über manche Fährlichkeiten hinweggehoben und hob mich auch über diese hinweg. Ich hob nur die Schultern ein wenig und seufzte. – Durch Seufzen verdirbt man im Leben weit weniger, als durch Lächeln: eine wohl zu berücksichtigende Anmerkung!

      Die Sonne hob jetzt vorsichtig den Wolkenschleier ein wenig von ihrem schönen Antlitz und lugte hervor über die Welt und über das Städtchen Finkenrode – zum ersten Male in diesem jungen Jahre. Die beiden Resedabüsche in dem Fenster öffneten jetzt ihre bescheidenen kleinen Blüten, die weiße Wlnterrose entfaltete ihre schönste Knospe zu voller Pracht; das Geranium fing an zu duften, und dem Spatzenvolke draußen gingen die zugefrorenen Schnäbel auf, und wacker holte es zwischen den kahlen Baumzweigen, von denen es glänzend niedertropfte, mit Zwitschern, Zirpen, Pfeifen, Flattern und Fluttern das Versäumte nach. Ich saß und trank Kaffee und aß Festkuchen und dachte nach, wie die Welt so schön und behaglich sei, und wie Cäcilie Willbrand doch das Herrlichste und Schönste in dieser schönen, behaglichen Welt sei. Jetzt schritt durch das alte Burgtor der Pastor Primarius Wachtel in seinem ehrwürdigen lutherischen Chorrock stattlich aus der Nachmittagskirche zurück, und seine drei Töchter folgten ihm ehrfurchtsvoll in einiger Entfernung, Arm in Arm, die Gesangbücher und das weiße Taschentuch in den Händen. Das war alles so hübsch, so festtäglich heiter, daß ich jetzt mit wahrer Wehmut an den finstern Schatten Weitenweber dachte, der nun wieder – Gott weiß wo – einsam umherstrich und seine unheimlichen Gedanken zerkauete, ohne daß ihm jemand im Himmel und auf Erden helfen und ihn trösten konnte. Ich sagte das auch der Cäcilie, und ihre Augen begannen im feuchten Glanz zu leuchten.

      »Weshalb wollten Sie nicht, daß wir ihn hereinriefen?« sagte sie. »Wir hätten es ihm gewiß behaglich machen wollen; wir hätten ihm gesagt, daß die Welt nicht ganz Nacht sei!« Ich neigte beschämt das Haupt und dachte vernichtet, daß ich nie ihrer würdig sein würde; die Mama aber schaute unwillkürlich durch das Fenster nach dem Redakteur des Kamäleons aus, um ihn durch das vortrefflichste Stück ihres Festtagsgebäcks gutmütig über den Schmerz des Lebens zu trösten.

      Immer mehr schwanden die Wolken am Himmelsgewölbe, immer ungetrübter strahlte die Sonne; aber es ward kalt, sehr kalt. Das Getröpfel des Daches und der Baumzweige erstarrte und verwandelte sich wieder in glitzernde Eiszapfen; bald genug überleuchtete den Westen das schöne Rot des winterlichen Sonnenunterganges. Wir hatten es nicht bemerkt, daß es Abend wurde; von Weitenweber war das Gespräch auf die ewige Sehnsucht des Menschen nach dem Schönen, auf das dunkel-traurige Schicksal und Ende des alten Kindes von Finkenrode, Günther Wallinger, gekommen.

      Cäcllie hatte sich plötzlich erhoben. »O, lassen Sie uns jetzt noch zu ihm gehen! Mein Gott, wie ist mir denn – es war mir eben, als ob ich deutlich – dicht neben mir seine klagende Stimme hörte –«

      »Cäcilie?!« … rief die Mama, ängstlich die Hände faltend.

      »Gewiß, gewiß, er bedarf meiner! Ich fühls, er verlangt nach mir – erlaube mir, daß ich gehe, liebe, liebe Mutter – er hat mich gewiß gerufen!«

      Einige Minuten später war ich mit Cäcilie auf dem Wege zu dem kranken Musikanten. Die Jungfrau beflügelte ihre Schritte so viel als möglich. »Spotten Sie meiner nicht,« sagte sie, »ich vermag es selbst nicht, mir Rechenschaft von dem Gefühl zu geben, welches mich so urplötzlich durchzuckte; aber es ist etwas mit ihm vorgegangen. Ist er tot? Ist er genesen? – ich weiß es nicht; aber er hat mich gerufen – kommen Sie, kommen Sie!«

      Er hatte gerufen, und wir kamen gerade zu rechter Zeit.

      Auf der Flur der Zigeunerwohnung kauerten die Kinder verschüchtert auf den Treppenstufen. Martin und seine Frau empfingen uns mit den Gebärden tiefster Bekümmernis.

      »Ist er tot? – ist er gestorben?« rief Cäcilie.

      »Es wird nun gut mit ihm, schönstes Fräulein, sagt die Großmutter Janna. Sie ist oben bei ihm und der fremde Herr auch. Er hat mit dem fremden Herrn noch lange gesprochen. Die Großmutter sagt, es ist klar mit ihm geworden in voriger Nacht.« Der Zigeuner wies auf die Stirn. »Horch, horch!«

      Geigentöne, wie von einer allgemach ersterbenden Hand dem Instrument entlockt, drangen wunderlich schaurig von oben herab.

      »Er spielt sein Totenlied!« flüsterte die Frau Lena. – »Still, ihr Krabben, still, im Namen der Jungfrau –«

      Ich hatte die Hand Cäciliens ergriffen und führte sie die Treppe hinauf; die schwarze Henne der Zigeunermutter kratzte an der Tür, durch welche die Geigentöne hervordrangen; die Schleiereule in ihrem Käfige kreischte unheimlich über unseren Köpfen, als ich die Tür öffnete.

      »Weltenweber!?« sagte ich verwundert, als mein erster Blick auf den Genannten fiel, der mit der alten Janna am Bett des Sterbenden saß. Wallinger, durch Kissen unterstützt, saß aufrecht auf seinem Lager und ließ die Geige bei unserm Eintritt sinken.

      »Da ist sie! Dank! Dank! Ich kenne dich! ich kenne dich! Dich allein kenne ich, du Holde, Schöne, Gute! – Erlöst! erlöst! – – O gib mir deine Hand – die Hand, welche mich geschützt hat, welche über mir gewesen ist in der langen, langen Nacht – gib! gib!«

      Zitternd legte Cäcilie ihre Hand in die des Musikanten.

      »Das war in vergangener Nacht,« fuhr dieser fort, »da hab’ ich mich wiedergefunden! Ihr habt die Neujahrsglocken um Mitternacht und den Choral, welchen sie vom Turme bliesen, auch gehört, wie ich! – Ich erwachte aufschreiend aus einem wirren Traume voll unheimlicher, nebelhafter, wirbelnder Gestalten – es war Licht um mich, in mir! Wie soll ich das sagen? Wie soll ich das schildern? Ich wußte nicht, wo ich war, und ich wußte doch, daß ich in der Heimat war, und ich wußte, daß alles gut sei! … O die Glocken, die Glocken! – Die Lampe war erloschen, und ich lag still in der Finsternis auf dem Rücken, die Hände auf der Brust gekreuzt, in tiefster innerster Seligkeit und Befriedigung!… Die Glocken! die Glocken! die Glocken der Heimat!… Und jetzt die Hörner und Trompeten in der stillen Nacht – dieselbe Weise, in welche ich einst selbst mit eingestimmt hatte, an der Seite des Vaters, hoch über der dunkeln Erde –

      »Laß dies sein ein Jahr der Gnaden, –

      sang meine ganze Seele mit,

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