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Ottermann sagte – –‹

      Ein Krachen unterbrach mich; der Jurist hatte ebenfalls das Gleichgewicht verloren und verschwand unter dem Tisch. ›Luise heißt sie!‹ schrie er dabei mit der Stimme eines Ertrinkenden, Hinkelmann legte die Hand auf das Herz und machte ein Gesicht wie ein Kalb, das der Schlächterhund anbellt. Ich fiel auf den Stuhl, welchen der Rechtskundige soeben geräumt hatte. ›Ah! oh! ah! oh! o! o! o! Luise heißt sie?! Also, sie haben es herausgekriegt? Hinkelmann, Hinkelmann! Will sie dich denn?‹

      ›Laß uns hinaus in die freie Luft, in die heilige, reine Nacht! Ich ersticke!‹ schrie Hinkelmann, und wir verließen Arm in Arm die Rose und wandelten langsam durch die Gassen. Hinkelmann beichtete vollständig; er zeigte mir ihre Fenster und nannte mir ihre Hausnummer; – sie hieß wirklich Luise! – Luise Reimer –«

      »Donnerwetter, das ist ja Ihre Frau, Doktor?!« fiel hier der Hauptmann dem Erzählenden ins Wort.

      »Ganz richtig!« sagte gemütlich der Arzt. »Sie wollte ihn ja nicht!«

      »Aber, aber –«

      »Nun, Herr Hauptmann?«

      »Aber war denn Ihr Freund damit zufrieden?«

      Gundermann zuckte die Achseln: »Ach, wer will wohl solche Kleinigkeiten übel nehmen? Sie ist einen Kopf größer als der kleine Journalist – das paßt nicht, Herr Hauptmann: das Weib soll dem Mann bis ans Kinn reichen.«

      »Hat er Sie denn nicht gefordert – auf Tod und Leben?«

      »Bewahre! Er hat zwei Jahre später lustig auf meiner Hochzeit getanzt.«

      »Nun nehme mich aber einer hin!« sagte der Hauptmann, und ein klein, klein wenig war es nötig, daß einer von uns dieser Aufforderung nachkam. Die Augen des alten Herrn glänzten ziemlich verdächtig, seine Heiterkeit stieg von Minute zu Minute. Wie oft hatte Weitenweber aber auch die Gläser gefüllt! Jede Bemerkung, jede Anekdote des wackern Kriegers wurde mit einem feierlichen Hoch beschlossen. Wir tranken auf das Wohl des Oberpredigers Wachtel und auf das Wohl des Landrats von Tendler; wir weiheten dem alten Wallinger ein volles Glas und ein ebenso volles dem Forstmeister von Altenbach. Wir vergaßen auch die Damen nicht: ganz Finkenrode bekam seinen Teil. Wir begrüßten nicht nur die Lebenden, wir ließen auch die Toten leben und waren eben bei den Ungeborenen angelangt, als Alexander Mietze, Ex-Komödiant, und Friedrich Wilhelm Fasterling, Hauptmann außer Diensten, über den Tisch einander ewige Freundschaft schworen.

      »Wenn du nicht binnen fünf Minuten sein Schwiegersohn bist – verachte ich dich!« flüsterte Weitenweber dem Spiritusfabrikanten zu.

      Noch eine Geschichte begann der Hauptmann mit den Worten: »Als wir in Frankreich waren« – brachte sie aber nicht zu Ende; Alexander trank Brüderschaft mit ihm! …

      »Mein lieber alter Junge –«

      »Teuerster, teuerster Papa –«

      »Wo steckt denn – die Sidonie? Es – wäre – an der Zeit, daß sie den – Kaffee – fer–tig hätte!«

      »Soll ich es ihr sagen? Soll ich sie herbringen?« rief der Schauspieler mit leuchtenden Augen.

      »Hole sie, hol’ das Mädel, mein lieber Sohn!« nickte der Hauptmann, und Alexander stürzte ohne Hut fort, die Treppe hinunter und aus dem Hause. Der Hauptmann winkte ihm mit dem Ausdruck unsäglicher seligster Befriedigung nach: die halbgeschlossenen Augen, der in dem Lehnstuhl des Oheims Albrecht zurückgelegte Kopf, die beiden Daumen, die sich vor dem Magen langsam umeinander drehten, alles ließ ein glückliches Gelingen des Experimentes hoffen. Gundermann lachte leise vor sich hin, ich rieb mir die Hände, und Weitenweber legte die langen Beine über drei Stühle, schob die Daumen in die Armlöcher der Weste und – gähnte, als habe er die Absicht, vor Sonnenuntergang die Kinnbacken nicht wieder zusammenzuklappen. Es war so still im Hause geworden, daß man den Schnee leise an den Fenstern niederrieseln hören konnte. Jetzt bellte ein Hund draußen auf der Straße – die Glocke der Haustür klang – das Hundegekläff war im Hause – es kam die Treppe herauf – an der Tür kratzte und winselte etwas – der Hauptmann wandte langsam, schwerfällig wiegend das Haupt, lächelnd, wie man in seinem Zustande lächelt. Die Tür öffnete sich – Waddel stürzte ins Zimmer und sprang, außer sich vor Vergnügen, an den Knien seines Herrn empor und hinter ihm –

      Der Hauptmann stand mit einem Male schwankend auf den Füßen, nach der Stuhllehne hinter sich in die Luft greifend.

      »Wa – as – da ist ja … tausend Schwadronen – Sidonie!« – Sie sah reizend aus! Einige mutwillige Schneeflocken hatten sich in ihren Locken gefangen; rosiger, glühender als die glühendste Rose, wand sie sich aus dem Arm Alexanders los. Sie hing an dem Halse des Alten –

      »Papa, lieber, lieber, alter Papa – Dank! Dank! O wie glücklich hast du mich – uns gemacht! Dank! Dank!«

      Der Schauspieler hatte sich der geballten Faust des Hauptmanns bemächtigt –

      »Bin ich denn betrunken!« schrie dieser, mit beiden Händen nach dem Kopf greifend. »Himmel und Hölle – o, die Verräter! O, das Satansnest! – Sidonie –«

      »Papa, lieber Papa – du hast es ja gesagt! Wir haben dein Wort–«

      »Ja, wir haben dein Wort, Papa!« rief der Schauspieler.

      »Nichts habt ihr – o Gott, das ist ja zum Verrücktwerden – o ich Narr, ich alter Narr! Laßt mich frei, Gesindel – mein Lebtag finde ich meine fünf Sinne nicht mehr zusammen!«

      Atemlos sank der Hauptmann in des Oheims Albrecht Lehnstuhl zurück, vor welchem Sidonie, durch ihre Tränen lächelnd, niederkniete, dem Alten das Kinn streichelnd. »O Papa, ich will von nun an auch immer so artig sein – vergib uns, Papa!«

      »Vergib uns, Papa!« rief Alexander, ebenfalls neben seinem Schatz auf die Knie niederfallend. »O, wir wollen so artig – so artig sein!«

      »Was habt ihr beiden Narren eigentlich hier zu stehen und zu gaffen?« schrie Weitenweber plötzlich den Doktor Gundermann und mich an. »Packt euch gefälligst und nehmt mich mit! – Herr Hauptmann,« flüsterte er dann dem alten Krieger ins Ohr, »geben Sie nach, sperren Sie sich nicht – am hellen lichten Tage hat er sie auf Ihren Befehl durch ganz Finkenrode geführt!«

      »Es ist wahr! Es ist wahr! O, der heillose Satan!« jammerte der Hauptmann, und wir ließen die – Familie allein in dem wüsten Studierzimmer des Oheims Bösenberg. Jakob der Rabe saß draußen dicht an der Schwelle, als ob er schon lange dem, was drinnen vorging, gehorcht habe. Ich schickte die Renate mit der Meldung des Vorgefallenen nach der Frau Agnes, Gundermann trabte fort, seiner Gemahlin und dem Forstmeister von Altenbach Nachricht zu geben; ich lief, die Stadtmusik herbeizuholen; Weitenweber aber zündete eine frische Zigarre an und schritt als Schildwacht in dem Hausflur storchartig auf und ab. – – –

      Das Volk versammelte sich: Mit Trompeten, Pauken und Posaunen zog ich heran durch das wirbelnde Schneegestöber; der riesige Forstmeister stapfte aufgeregt daher, um die Ecke der Marktstraße trabte eiligst der Kreisphysikus und die Frau Luise, gefolgt von ihrer Kinderschar. Die Frau Agnes kam; es kam Cäcilie – – – Ah! …

      Weitenweber war den Leuten von Finkenrode schon bekannter, als er sich vorstellte, hatte übrigens auch in diesen Augenblicken durchaus nicht das Recht, Interesse zu erregen. Seit Menschengedenken hatte solch ein lustiges Getümmel das Haus Bösenberg nicht erfüllt. Renate schlug mehr als zwanzig Mal die Hände über dem Kopfe zusammen. Das wirrte und schwirrte durcheinander und lauschte die Treppe hinauf, welche Jakob der Rabe langsam verdrießlich herunterhüpfte. Alle Wände, Ecken und Winkel sangen und klangen!

      »Wie weit sind sie da oben, Weitenweber?« Weitenweber, welcher von einer dunkeln Ecke ans Cäcilien nicht aus dem Auge ließ, wußte nichts davon. Die ganze Gesellschaft schritt auf den Fußspitzen die Treppe hinauf, und nur die Musik blieb in der Hausflur zurück und wartete auf das Signal zum Losspektakeln. Mit leisem Finger klopfte Cäcilie an die Tür des Studierzimmers, diese öffnete sich – ein allgemeines jubelndes Hoch brach los, die Hörner und Posaunen erschallten drunten, der Paukenschläger

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