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in Unordnung,« fuhr Weitenweber fort – »in der nächsten Stadt wurde mein Vater verhaftet« –

      »Blücher und Bomben!« schrie der Hauptmann.

      »Und auf die Festung gesetzt, wo er nach fünf Jahren gestorben ist! Ein ehrliches Soldatengrab in einer Festung, Hauptmann!«

      Der Hauptmann schritt, die Hände auf dem Rücken, hin und her im Zimmer, daß der Boden zitterte, und murmelte undeutliche Worte.

      Weitenweber trat mit einem vollen Glase zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Was ist Euch, Mann? Die Falten von der Stirn! Was? Ist das alte Geschlecht der Freiheitskämpfer so nervenschwach? Was? – Stehen wir Kinder von heute fester vor den Konsequenzen der Weltentwickelung? Hier – auf das Wohl aller freien Seelen!«

      Der Hauptmann wischte mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, nahm das Glas und hielt es hoch empor:

      »Auf dein Wohl, Franz Lindenschmidt!«

      Erschöpft sank er auf seinen Stuhl zurück; ich aber stieg abermals in die Katakomben des Hauses Bösenberg und schickte zugleich einen Boten nach dem Hause des Hauptmanns mit der Meldung, daß der Wackere fürs erste nicht heimkehren werde. Ein gewaltiges Gelächter erscholl um den Frühstückstisch, als ich wieder eintrat. Selbst Alexander Mietze lächelte, wie man in seiner Gemütsstimmung lächeln kann: der Doktor Gundermann erzählte, da er wie Scheheresade »nicht schlief«, der Gesellschaft eine sehr merkwürdige Geschichte.

      »Wahrhaftig, die Zukunft lag in dem rosenfarbigsten Lichte vor mir, wenn auch öfters gespensterhafte Schatten mit geisterhaft langen Rechnungen darin herum schwebten und heulten, wenn auch die Gegenwart etwas nebelig und dunkel war. Gute Aussichten! – Was kann man mehr verlangen? Hole der Teufel meine Gläubiger, die vor einem künftigen Wirklichen Geheimen Ober-Medizinalrat so wenig Respekt hatten, daß sie – – – na, wir wollen nicht weiter davon sprechen!

      ›Otto Gundermann, praktischer Arzt und Geburtshelfer, Sprechstunden: Morgens 9–11 Uhr, nachmittags 4–7 Uhr‹ hatte ich auf ein Porzellantäfelchen malen lassen, welches an der Haustür lockend der leidenden Menschheit zuwinkte und sie aufforderte, bei Tage vertrauungsvoll drei Treppen hinauf zu wandeln zu meiner Wohnung, und bei Nacht, ohne Scheu, zu stören, den nebenbei befestigten Glockenstrang zu ziehen. Himmel, Hölle und Hygieia, tat es wohl einer?! – – Ach, du lieber Gott, ich hatte viel Zeit über – statt im Doktortrab Patienten zu besuchen, bummelte ich langsamen Schrittes, die Hände in den Hosentaschen, durch die Gassen, oder sonnte mich auf irgendeiner beliebigen Bank draußen im Tiergarten; statt Pulsschläge zu zählen, zählte ich die Ziegel auf den Dächern. –

      Ich schlief den Schlaf des Gerechten. Eins! tönten die Glocken über die Stadt – da – plötzlich – ungeahndet – krampfhaft setzt sich meine Nachtglocke dicht über meinem Haupte in Bewegung. Man zieht nicht, man reißt daran; es ist, als habe sich ein Selbstmörder den Draht um den Hals gelegt und zapple nun ein verfehltes Leben daran aus – klinglingling kling – kling klinglingling. – Ich bin mit einem Satz aus den Federn: ›Wo brennt es? Wo brennt es denn?‹ – Dann mich besinnend: ›Alle Wetter, das ist ja ein Patient!‹ An das Fenster stürzen, es aufreißen und den Kopf in die kalte, regnichte Februarnacht hinausstrecken, ist die Sache eines Augenblickes. – ›Ich komme gleich! Ich hab’s gehört! Warten Sie eine Minute!‹ – Der Läutende aber läßt sich nicht stören, sondern verdoppelt nur seine Anstrengungen. ›Ich hab’s gehört! Hören Sie doch nur auf – ich komme schon!‹ schreie ich, die Unaussprechlichen in der Hand.

      ›Gu – u – undermann! – Gu – u – undermann!‹ brüllte es jetzt von unten herauf. ›Herrr–aus – herr–unter kommen!‹

      Meine schönsten Hoffnungen sind vernichtet, ich erkenne die Stimme. ›Teufel, das ist Ottermann! Himmel, was hat der Kerl? Fängt der Mensch schon wieder an zu läuten!‹ – Ich lege mich so weit als möglich aus dem Fenster und schreie hinunter: ›Ottermann, sind Sie es? So lassen Sie doch den heillosen Lärm, die Nachbarn werden ja wach!‹

      ›Rrrrrunterkommen, Hip–hippo–popo–potamus! – augenblicklichst – sehrrr eilig!‹

      ›Der Mensch ist betrunken,‹ sage ich mir und krieche allmählich in die Kleider. ›Gehen Sie nach Hause, Auditor, und nehmen Sie Brausepulver.‹

      ›Gu–undermann – Hinkelmann krank! sehr krank! Schnell – rrraus, Gunder–mann!‹

      ›Alle Wetter, Hinkelmann krank?!‹ rufe ich oben betroffen. ›Was ist das? – Ich komme – lassen Sie das wahnsinnige Sturmgeläut, Ottermann!‹

      Rasch beendige ich meine Toilette und eile die Treppen hinunter, wobei mir aus mehreren Türen die ärgerlichen Bemerkungen der Leute nachschallen, welche der Jurist aus ihren besten Träumen geweckt hat. Das Schlüsselloch ist endlich gefunden, der Riegel weggeschoben, ich trete hinaus in die unbehagliche Nacht. Es regnet, und wässerige Schneeflocken schlagen mir ins Gesicht; eine Straßenlaterne wirft ein ungenügendes Licht umher, aber von dem Juristen ist nirgends eine Spur zu sehen.

      ›Ottermann, Ottermann! Wo stecken Sie? Treiben Sie keinen Unsinn, Ottermann!‹

      Ein zweifelhafter Laut, halb Seufzer, halb Grunzen, ertönt dicht neben mir. Der Rechtsgelehrte sitzt regungslos an die Hausmauer gelehnt da, den Griff des abgerissenen Glockenzuges in der Hand. Ich habe den Burschen auf dem Halse!

      ›Ah–u–uf! Seid Ihr da – Schatz? Famoooos!‹

      ›Sind Sie noch fähig anzugeben, woher Sie kommen, Ottermann?‹ fragte ich ärgerlich.

      › Paterrr est qu–quem nuptiae de–monstrant!

      ›Unsinn! Woher Sie kommen, will ich wissen!‹

      ›Vortrefflicher Rhein–wein–punsch in der Rrrrose –‹ Mir geht ein Licht auf. ›Gerettet!‹ rufe ich. Ich fasse den Rechtskundigen unter die Arme, und es gelingt mir, ihn auf die Beine zu bringen. Zu irgendeiner vernünftigen Antwort auf meine Fragen nach dem kranken Hinkelmann ist er jedoch unfähig; dagegen bemüht er sich unablässig, nach der Melodie: Das Schiff streicht durch die Wellen usw. den schönen Vers zu singen:

      Der Tugend Pfad ist anfangs steil,

       Läßt nichts als Mühe blicken.

      Von Gasse zu Gasse, von Eckstein zu Eckstein gelangen wir mit Mühe und Not auf den Dönhofsplatz. Hier gelingt es mir, einen Nachtwächter aufzutreiben, welcher den Auditor auf der andern Seite unterstützt und mir die Fortschaffung des Menschen erleichtert.

      ›Gottlob, es ist noch Licht in der Rose! Hier hinein, Nachtwächter – danke Ihnen für Ihre Hilfe!‹

      ›Hat nichts zu sagen, Herr!‹ lacht dieser. ›Wenn Sie mich mal wieder brauchen, stehe gern zu Diensten, nachts zwischen zwei und vier hier an dem Meilenzeiger!‹

      Es war in jenen schönen vergangenen Tagen (hier fuhr der Kreisphysikus seufzend durch seinen etwas mangelhaften Haarwuchs) allnächtlich ein tolles, fideles Treiben in dieser Rose, und die Gattung der Rosenkäfer, welche sich jeden Abend mit einbrechender Dämmerung hier versammelte, suchte ihresgleichen in der Hervorbringung unsäglichen Blödsinnes jeglicher Art. Hier versammelte sich alles, was die Stadt en gros und en détail an Geist, Witz und Albernheit besaß. Der Austausch der Ideen war riesenhaft – kolossal, gigantisch, apokalyptisch! Die Wärme des niedrigen Zimmers, der undurchdringliche Tabaksqualm betäubten den Juristen bei unserm Eintritt dermaßen, daß er kaum noch den nächsten Stuhl erreichte, wo er niedersinkend stammelte: »Daaa – da – sitzt errr!« und den Kopf auf beide Arme legte, wie Alexander Mietze dort mir gegenüber.

      Ja, da saß er, der unglückselige Hinkelmann, Doktor der Philosophie, sehr jugendlicher Literat damals und – so weiter! Der einzige Nüchterne zwischen den geistig und körperlich in diesem Augenblick verloren gegangenen Genossen. Verschiedene waren bereits von den Stühlen gerutscht, verschiedene hielten sich nur noch mit Mühe darauf, kein einziger konnte noch ein vernünftiges Wort hervorbringen.

      ›Guten Abend, Gundermann!‹ sagte Hinkelmann mit kläglicher Miene, mir die Hand über den

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