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fiel, hielten jetzt beide Schlitten dicht nebeneinander, und die beiden Jägerburschen standen mit ihren Waldhörnern in der geöffneten Tür und bliesen von neuem uns den Willkommengruß. Der Papa Manegold, aus der Schmiede zu Finkenrode, empfing uns mit kräftigem Hurraruf, faßte sein Käthchen und hob es mit Kind und Fußsack und Mantel und Kragen in die Höhe, herzte und küßte es und trug es dann in das festlich glänzende, warme Heimathaus. Der Forstmeister von Altenbach bemächtigte sich nicht minder eifrig der Cäcilie, dem Konrad ward die Frau Pastorin zuteil, und langsam folgte ich mit dem jungen Pfarrer von Rulingen. Schweigend gingen wir nebeneinander dem Hause zu. Arnolds Haupt war auf die Brust gesenkt, er atmete tief und schwer. Die heiße Hand, mit welcher er die meinige hielt, zitterte. »Ich liebe sie – ich liebe sie!« flüsterte er, stehen bleibend – »o ich liebe sie, und sie weiß es – wir gehören einander in alle Ewigkeiten!«

      Obgleich mir der Freund damit, seit einer Stunde, nichts Neues sagte, so griff ich doch mechanisch nieder in den Schnee und drückte eine Hand voll gegen die Stirn – alles Blut drängte sich mir gegen die Augen – ich sah nicht, hörte nicht in diesem Augenblick, schwindelnd lehnte ich gegen einen Baum: »Verspielt! verspielt! Rien ne va plus!« – – –

      Der erschrockene Freund ließ meine Hand los und trat einen Schritt zurück. »Was hast du, Max? Um Gottes willen« –

      »Nichts! nichts! – o ich freue mich über dein Glück. Es ist – wohl – eine – alte Liebe?«

      »Lange, lange Jahre haben wir gewußt, daß wir einander zu eigen seien; aber wir haben es uns nicht gesagt, wir« –

      Was der Pfarrer noch sagte, ging in dem fröhlichen Getümmel, welches das Försterhaus im Himmelreich, in das wir jetzt eingetreten waren, füllte, verloren. Weitenweber, rette!

      »O schau sie an!« flüsterte mit glänzenden Augen der Jugendfreund mir zu, und ich blickte hinüber zu dem schönen stillen Stern, der mir hinein in den größten Schmerz meines Lebens geleuchtet hatte. – – Wo war ich denn eigentlich? Hier! Hier? … was wollte ich hier? Was hatte ich in dem Kreise dieser glücklichen Menschen zu schaffen? Hinkelmann, Hinkelmann, fühle nach, was ich in diesem Augenblicke fühlte!«

      Hinkelmann seufzte und schüttelte das Haupt; der dritte Anwesende aber hielt in seinem Gange inne, blieb neben mir stehen, legte mir die Hand auf die Schulter:

      »Alles Genießliche

       Hab’ ich genossen;

       Alles Verdrießliche

       Hat mich verdrossen.

      Brauch’ es jetzt wacker

       Nur auszuschrei’n,

       Um ein gelesener

       Dichter zu sein!

      Ich würde diese höchst merkwürdige, noch nie dagewesene Geschichte in Reime bringen, oder sie wenigstens in einem Feuilleton-Roman verwerten, oder einem andern die Erlaubnis geben, es zu tun. Weiter, Bösenberg! Sie interessieren mich ungeheuer!«

      Ich schüttelte die Hand des Redenden ab und wandte mich wieder zu dem bedeutend zartsinnigeren Hinkelmann:

      »Sie hatten das Häuschen inwendig überall mit grünen Tannenzweigen geschmückt; in versteckten Käfigen sangen mancherlei aus dem Schlaf geweckte Vögel, und das zahme Reh, mit einem roten Bändchen geputzt, hüpfte zur Feier des Abends zwischen den Gästen umher und leckte mir vertrauungsvoll die Hand. Die junge Mutter war mit ihrem Kindlein verschwunden und brachte es oben in seinem Wieglein zur Ruhe; einen letzten Blick warf ich auf die Cäcilie, dann schlich ich dem Käthchen nach, die Treppe herauf und pochte leise an die Tür des oberen Stübleins. Ich bekam die Erlaubnis einzutreten, und über die grüne Wiege weg erzählte ich der jungen Frau, was mir begegnet war in Finkenrode und in dem Pfarrhause zu Rulingen und in dem Försterhaus zum Himmelreich. – Und Käthchen Rösener faltete mit Tränen in den hübschen fröhlichen Augen die Hände im Schoße und sagte dann: »O wie traurig ist das! Wie ist das zum Weinen! … Ich hab’ es wohl gewußt, daß sie sich lieb hatten, und lange, lange Zeit – aber es hat keiner wissen dürfen, und keiner hat es gewußt – – o bitte, bitte, lieber Herr Max, es ist eine Sünde, allzu traurig zu sein!«

      Sie drückte mir die Hand über ihrem schlummernden Kinde, und ich sagte: »Viel Glück wünsche ich Ihnen in Ihrem ferneren Leben, liebes Käthchen; sagen Sie dem Konrad, weshalb ich heute abend verschwunden sei aus seinem fröhlichen Feste, sagen Sie, ich hätte Kopfweh bekommen.«

      »O Sie wollen doch jetzt nicht gehen? Jetzt in der kalten Winternacht? O bitte! bitte!«

      »Doch, doch, Käthchen, ich muß! Bitten Sie mich nicht zu bleiben – ich kann nicht, ich kann nicht.«

      »Es ist nicht möglich, Sie können uns jetzt nicht verlassen!«

      »Der Nachtgang wird mir gut tun; – noch weiß ich Weg und Steg in meinem Heimatswalde. Leben Sie wohl, leben Sie wohl, Käthchen! Gruß allen glücklichen Herzen in diesem Hause – –«

      »Lassen Sie mich es jetzt Konrad sagen! Lassen Sie mich Konrad rufen!«

      »Nein, nein, nein!« rief ich, Käthchen bedeckte die Augen mit beiden Händen – ich war draußen, ich war auf der Treppe, lauschte noch einen Augenblick schwindelnd drunten auf der Flur dem Festjubel; dann eilte ich aus dem Hause und im vollen Lauf hinein in den Wald, den Hut mit beiden Händen auf dem Kopfe festhaltend. Ich glaubte einen Ruf hinter mir zu hören, aber es mag wohl nur Täuschung gewesen sein – immer zu! immer zu! Galopp! Galopp! Weitenweber würde schön gegrinst haben, wenn er mich gesehen hätte. Nach zehn Minuten gab ich es auf, mir selbst vermöge der Schnelligkeit meiner Füße zu entfliehen; außer Atem, betäubt, lehnte ich an dem Stamme einer Buche, die Hand fest auf das klopfende Herz gedrückt. Ich horchte – alles still – totenstill! Rings umher der Wald leuchtend und funkelnd im magischen Glanz! Dort, dort – war das nicht ein roter Flimmer in der Ferne? Noch einmal das Licht aus dem Försterhaus im Himmelreich – zum letzen Male! …

      Lebe wohl, Cäcilie! Lebe wohl, Cäcilie! Ich dachte in diesem Augenblick an das Erwachen des alten Wallinger aus seinem langen Wahnsinn – die reine, kalte Lust der Winternacht verdichtete sich zu der erstickenden Atmosphäre, welche jenes Sterbebett in der Zigeunerwohnung umgab. Der Ohnmacht nahe, rang ich nach Luft. Gute Nacht, gute Nacht, – liebe – liebe Cäcilie! – – – –

      In Rot gekleidet, gleich der Stiefmutter im Märchen, ging die Sonne über den Bergen auf, als ich mich aus dem Frauenholze hervorwand und die beiden spitzen Türme der Martinskirche von Finkenrode aus dem wogenden, wallenden Nebel zu meinen Füßen ragen sah. – Zwei dumpfe Glocken lösten sich in langsamen Schlägen wechselnd ab, und ein Bauer, welcher die Landstraße hinan mir entgegenstieg, sagte mir, das sei das Totengeläute der Stadt, und ein Zeichen, daß ein Bürgerkind da unten begraben werde.

      »Und wen bringen sie da zur Ruh?«

      »Vor vierzehn Tagen hat er noch auf meiner Tochter Hochzeit zum Tanze aufgespielt. Er war nicht recht bei sich selbst; aber fiedeln konnte er noch, das war eine Pracht!«

      Des Christen irdischer Leib muß, ehe man ihn der Erde wiedergibt, um die Kirche getragen werden, welcher der Verstorbene angehörte. Daher kam es, daß man in diesem Augenblick den alten Wallinger, welcher den Kirchhof von Finkenrode so nahe vor der Tür hatte, mir entgegen durch die Stadt aus dem Flußtor führte. Die Stadtmusik, einen Leichenmarsch blasend, schritt dem Zuge voraus: dicht hinter dem ärmlichen kleinen Sarge folgte Weitenweber mit dem Exschauspieler Mietze, an sie schloß sich in seiner Feiertagsuniform der Hauptmann Fasterling; den Schwanz des Zuges bildeten einige ehrsame Bürger, das Volk der Zigeuner und ein Haufen Kinder und Neugieriger. Ein grüner Kranz und die Geige des Toten lagen auf dem Sarge.

      Weitenweber erblickte mich zuerst, winkte mir, und ich trat ein in den Zug, an seine Seite.

      »Nun?!«

      »Es ist vorbei – es ist aus! Ich bin verloren!«

      »Ah! Wirklich? Hast du sie durchs Schlüsselloch belauscht?«

      »Sie liebt den Arnold Rohwold aus Rulingen – es ist eine alte Geschichte –

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