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      Ich riß dem Lästerer den Handschuh aus der kalten, knöchernen Pfote, und zuckte zu einigen verwunderten Fragen und Glossen des Hauptmannes und seines Schwiegersohnes über meine plötzliche Erscheinung die Achseln. Damit erreichten wir den Friedhof von Finkenrode und die offene Grube, in welcher der Leib Günther Wallingers ruhen sollte.

      »Anna Ludewig« – war in verwitterten Goldbuchstaben auf dem schwarzen morschen Kreuze, an welchem ich lehnte, geschrieben Anna Ludewig – weiter nichts! –

      Der Sarg des alten Musikanten stand jetzt über der Höhe, die mit Mühe in die fest gefrorene Erde gegraben war, die Totgräber hielten fröstelnd die Seile, an welchen er herabgleiten sollte. Worauf warteten wir noch?

      Zu Häupten des Grabes richtete sich Weitenweber hoch und lang auf, ließ ein wenig Luft unter den Hut und begann:

      »Wenn ich in diesem Augenblick im Kreise der mich und den Toten Umgebenden umherblicke, so finde ich auf keinem Gesichte jenen Ausdruck der Trauer, welcher einem andern ein größeres Recht, die Leichenrede zu halten, geben könnte, als mir. Gleichgültige, Kopfschüttelnde, Mitsichselbstbeschäftigte, ich kannte diesen Mann hier zu meinen Füßen; ich war zugegen, als der Schlag niederfiel, welcher ihn bis zum letzten Tage seines Lebens in die Nacht des Irrsinns einhüllte. – – – Es war ein wilder Knabe, welcher damals in dein Dachstübchen drang, Günther Wallinger, und welchem du erzähltest von den Herrlichkeiten und der Schönheit der Welt und später auch von dem schönen Weibe, welches du nachher, als es finster in dir geworden war, so vergeblich suchtest in der herrlichen, schönen Welt. Günther Wallinger, damals dachtest du wohl nicht, daß ich es sein würde, der dir einstmals die ersten drei Hände voll Erde auf den alten müden Leib werfen würde? – Es richten sich jetzt viele neugierige Augen auf uns, Günther Wallinger; – aber schlafe ruhig weiter! Wer wollte wohl schwatzen und dem Schicksale seine Rätsel dem Menschenvolke ausplaudern?

      »Meine Herren, es ist wohl schön und verständig, an jedem Morgen, welchen Gott gibt, den Kopf mit der Zipfelmütze aus dem Fenster zu stecken und sich zu freuen, daß noch alles am alten Fleck sich befindet – der Schornstein des Nachbars und der Wetterhahn auf dem Kirchturme, der plätschernde Brunnen, und vor allem der Bäckerladen; aber, meine Herren, während dessen dreht sich der Erdball selbst im Universum, Sonnen und Sterne schlingen ihren ewigen Reigen, und es ist nur ein Unglück, nicht Schuld, wenn ein armes Menschenkind so hoch in die Höhe geschleudert wird, daß es nie wieder den Boden der anständigen Realität erreicht, und selbst mittaumeln muß in den Klängen der Sphärenmusik. Hört es, ihr Leute von Finkenrode, einen echten Menschen und zugleich einen großen Künstler scharrt ihr hier ein: ich danke euch im Namen der Menschheit, daß ihr ihm dieses Plätzchen neben diesem halb versunkenen Kreuz gönnt, unter dem das kleine staubgewordene Herz begraben ist, auf welches mein vortrefflicher Freund Max Bösenberg eben den Fuß setzt; ich danke euch im Namen der Kunst, daß ihr ihn nicht mehr verhöhntet, ihr Leute von Finkenrode! – Los, die Seile, ihr Männer! Ich habe gesprochen! Lebe wohl, Günther Wallinger!« –

      Langsam sank der kleine Sarg hinab in die Grube, und die drei Hände voll Erde polterten aus Weitenwebers Hand ihm nach. Dann griff ich in den gefrorenen Staub, und mit ihm flog der Handschuh Cäciliens auf den Sarg des Musikanten.

      »Gebt mir doch die Geige herauf – sie ist mein!« rief Martin Nadra dem Totengräber zu, der jetzt in dem Grabe stand, um einen Strick zu lösen, welcher sich in den Bleiverzierungen des Sarges verwickelt hatte. Weitenweber hielt den Arm des Zigeuners: »Ich kaufe sie Euch ab, Kamerad und Vagabund – laßt sie dem armen Teufel da unten.«

      Die alte Janna nickte dem Beifall, und die Grube füllte sich allmählich. Ich nahm Weitenwebers Arm und schritt mit ihm durch die Menge, vorsichtig über die verschneieten Gräber weg, und erreichte, vom Fieberfrost geschüttelt, das Haus meines Oheims. Vierzehn Tage lang lag ich im Bett, ließ des Doktor Gundermanns Mixturen zwischen Wand und Bettrand zur Erde laufen, und ließ mir von Alexander Mietze Sidoniens Liebenswürdigkeiten und sein Glück preisen und von dem Hauptmann Fasterling Geschichten aus dem Feldzug in Frankreich erzählen.

      Jetzt aber – Floh, her die Korrespondenz – ah, Freunde, Freunde – mir ist recht weh und unheimlich zumute – o, diese feigen Burschen vom Halbmond – es ist keine Möglichkeit, sie auf fünfzehn Schritte nahe zu bringen!«

      »Und wo steckt denn Weitenweber noch?« fragte lachend der dritte im Redaktionsbureau des Kamäleons Anwesende.

      »Verwaltet die Erbschaft meines Oheims und inspiziert den Weinkeller mit dem Doktor Gundermann. Man sagt in Finkenrode, er werde Fräulein Mümmler heiraten; aber fürs erste begnügt er sich damit, ein gutes Verhältnis mit dem Raben Jakob zu unterhalten.«

      »Sind in Finkenrode außerdem noch hübsche Mädchen?« fragte Hinkelmann.

      Ich nickte seufzend; der Kleine aber zupfte den Hemdkragen in die Höhe und sagte: »Ich werde in deinem Hause meine Villeggiatur nehmen!«

      »Tue das, Hinkelmann; laß dich aber nicht von den Ratten aufressen.«

      »Und ich werde mir dann den Schauplatz des Trauer, und Lustspiels: ›Die Kinder von Finkenrode‹ ansehen.«

      »Tun Sie das, Corvinus! Viel Vergnügen!«

      »Gute Nacht, Max; ich gehe zum Tee zur Geheimrätin Weißvogel.«

      »Gute Nacht, Hinkelmann!«

      »Und ich gehe heim, über Ihre Geschichte mich zu wundern.«

      »Gute Nacht, Corvinus!« – – –

      Die beiden waren gegangen; ich saß allein in dem Redaktionszimmer des Kamäleons. Draußen rieselte der Regen, draußen drängte sich das Volk, rollten die Wagen, klangen schrille Stimmen auf im wirren Durcheinander des Verkehrs der großen Stadt. – Mir war wirklich weh, sehr weh ums Herz … mir war sehr übel zumute! –

       Inhaltsverzeichnis

       Auf den Wällen von Fort Liefkenhoek

       An Bord der Andrea Doria

       Jan und Myga

       Der Überfall

       Fieberträume

       Die schwarze Galeere

      Auf den Wällen von Fort Liefkenhoek

       Inhaltsverzeichnis

      Es war eine dunkle, stürmische Nacht in den ersten Tagen des Novembers, im Jahre 1599, als die spanische Schildwache auf dem Fort Liefkenhoek an dem flandrischen Ufer der Schelde das Lärmzeichen gab, die Trommel die schlafende Besatzung wach rief und ein jeder – Befehlshaber wie Soldat – seinen Posten auf den Wällen einnahm.

      Die Wellen der Schelde gingen hoch, und oft warfen sie ihre Schaumspitzen den fröstelnden Südländern über die Brüstungsmauern ins Gesicht. Scharf pfiff der Wind von Nordost von den »Provinzen« herüber, und die Spanier wußten schon lange, daß aus der Richtung ihnen selten etwas Gutes komme.

      Auch auf dem Fort Lillo auf der brabantischen Seite des Flusses wirbelte die Trommel, klang das Horn: deutlich vernahm man durch das Getöse des Sturmes, durch das Brausen der Wasser fernen Kanonendonner, welcher nur von einem Schiffskampf auf der Westerschelde herrühren konnte.

      Die

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