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der schon erwähnten kleinen, weichen, warmen Hand.

      »Ich werde dem Herrn Vetter aus der Residenz Gesellschaft leisten, wenn er es erlaubt,« sagte sie, »und wenn ihm ein Gänschen wie ich (ein allerliebster Knicks) nicht zu unbedeutend erscheint.«

      Was könnt’ ich anders tun, als mit dem ernsthaftesten, regungslosesten Gesicht und einer tiefen Verbeugung der holden Spitzbübin den Arm zu bieten, und sie hinüberzuführen in die der Straße zu gelegenen Gemächer des Hauses Fasterling? – –

      Andern Kaffee trinkt man im Café de l’Univers, andern zu Finkenrode im Hause des Hauptmanns a. D. Fasterling. Ich ziehe den letztern vor; aber die Tasse muß in der Fensterbank, neben dem Nähtischchen meines Bäschens Sidonie stehen, und die holde Cousine selbst, das Blendwerk einer weiblichen Arbeit im Schoß, halb verborgen in dem grünen Blätterwerk der Efeulaube, ihren zierlichen Korbsessel einnehmen. – Das Kamäleon findet keinen Eingang im Hause des Hauptmanns; zwar hatte mir die Cousine, boshaft lächelnd, die neueste Nummer des Halbmonds zur Lektüre angeboten; aber trotz meiner Vorliebe für dieses wackere Blatt hatte ich dafür herzlich gedankt. Die Polemik gegen den Halbmond wollte Weitenweber schon tüchtig besorgen; ich hatte in diesen behaglichen Augenblicken mit einer lieblicheren Gegnerin als der Redaktion des eben erwähnten Blattes zu tun.

      Eine wonnige Lebensstunde!

      In dem Nebenzimmer hielt der Hauptmann seine Siesta und vergaß in süßen Träumen die Sorge um sein Töchterlein; am Ofen schlief Waddel, und draußen lag öde, menschenleer, in der frostigen Novembernachmittag-Beleuchtung der Marktplatz von Finkenrode, auf welchem einige Krähen langsam und gravitätisch einherschritten, die einzigen lebenden Wesen, welche zu erblicken waren. Halb geschlossenen Auges blickte ich durch die blauen Wölkchen der mir huldreich gestatteten Verdauungs-Zigarre nach meiner Cousine hinüber. Von Zeit zu Zeit strich sie eine Locke von der weißen, klugen Stirn zurück oder spielte mit einem Knäuel bunter Seide ein zierliches Spiel oder machte den vergeblichen Versuch, von ihrer Sticknadel Gebrauch zu machen–

      »Fräulein Sidonie!«

      Sie blickte schnell auf: »Herr Bösenberg?«

      »Sie sind doch dem unberufenen Eindringling nicht böse? Glauben Sie mir, es ist mir selbst wie ein hübscher Traum, daß ich in dieser Minute Ihnen hier in Finkenrode, in diesem Hause, gegenüber sitze! Ist es denn wahr? – Wird nicht der nächste Augenblick das Erwachen bringen, und der Druckerjunge mich zur Redaktion des Kamäleons rufen, weil eine Beschlagnahme des Blattes droht?«

      »Der Papa hat mir wohl öfters von Ihnen gesprochen – ich freue mich recht, daß Sie unser altes Haus nicht vergessen haben. Sie sind schon so lange aus Finkenrode fortgegangen.«

      »Es ist eine lange, lange Zeit. Wo sind die alten bekannten Gestalten! – Ob ich wohl noch einige meiner Jugendgespielen wiederfinden werde?«

      »Es muß in der Tat eigentümliche Gefühle erwecken, wenn man so urplötzlich aus einem bewegten Leben auf den Schauplatz einer lang versunkenen, stillen Vergangenheit zurückgeworfen wird! … und noch dazu im Herbst – im Winter, wenn die Bäume entblättert sind, und die Gegend tot ist! Ich glaube, ich käme lieber im Frühling in meine Heimat zurück!«

      Diesmal sperrte ich den Mund auf – mit welchem Tone sie das sprach! War das noch dieselbe Sidonie Fasterling?

      »Warten Sie einmal, wen könnten Sie noch kennen von den Bewohnern Finkenrodes? Die Männer sind wohl alle zerstreut, und von den Frauen und Mädchen – warten Sie – Elise Walter ist tot – ah, da ist Cäcilie Willbrand – meine Cäcilie! Haben Sie Cäcilie Willbrand gekannt?« »Cäcilie Willbrand?!« ich legte die Hand an die Stirn. »Wahrlich – ihr Vater war oder ist ein Schreiber, ein Registrator am Stadtgericht, – da muß ein kleines Haus sein, ganz im Grün versteckt – und ein Garten, aus dem man sogleich ins Freie tritt« –

      »Richtig, richtig, da wohnt Cäcilie mit ihrer Mutter – ihr Vater ist tot! O, das ist prächtig, daß Sie meine Cäcilie noch kennen.«

      »Hinten im Garten steht ein großer Kastanienbaum, und unter ihm ist ein steinerner Tisch und eine Bank von Stein« –

      »Jawohl, jawohl! Und der Hurlebach plätschert daran vorbei! O, die Cäcilie müssen Sie wieder aufsuchen. Sie ist eine Künstlerin – wir sind die besten Freundinnen!«

      »Und nun – warten Sie – unter der Kastanie spielte ich noch mit einem Kinde – o ja! o ja! Käthchen Manegold, das kleine Käthchen aus der Schmiede!«

      »O das ist brav – daß Sie die Leute aus unserm Städtlein nicht ganz vergessen haben. Das kleine Käthchen ist eine niedliche Förstersfrau geworden. Kennen Sie auch noch das romantische Jägerhaus unter dem Wartenberg, das Haus ›im Himmelreich‹?«

      »Jawohl! Jawohl! Da hauste der riesige Förster von Altenbach, mein guter Freund, mit seinen Söhnen und seinem Töchterlein Hedwig. Ich könnte in diesem Augenblick alles dort an die Wand malen: die hohen Fichten und Buchen rings um das alte, niedrige Gebäude, das Gärtchen, das zahme Reh, welches darin ging, das lustige Volk der Hunde – alles, alles!«

      »Da wohnt jetzt das Käthchen – Käthchen Rösener, die kleine Waldfrau! Rösener heißt jetzt der Förster im Himmelreich.«

      »Sehen Sie, den habe ich auch gekannt, und da geht einer, den ich auch kenne!« sagte ich. »Ich bin ihm schon begegnet.« »Das ist der Pastor Rohwold aus Ruhlingen. Der besucht uns sehr oft – der Vater mag ihn gern leiden und spielt Schach mit ihm. Ei, wenn Sie den kennen, müssen Sie auch unsern Doktor Gundermann kennen – das ist ein lustiges Haus – er hat viele prächtige, dicke Kinder.«

      »Ich werde ihn aufsuchen; hab’ ihn auf der Universität wieder getroffen! Er ist höchst wahrscheinlich der einzige von uns, der es bis jetzt zu etwas gebracht hat in der Welt – ein gemütlicher Bursch!«

      »Seine Frau hat er von der Universität mitgebracht. Die ist auch prächtig!«

      Jetzt war die Zeit gekommen –

      »Ich kenne noch einen Jugendfreund in Finkenrode!« sagte ich.

      »Nun?!«

      Ich sah mich vorsichtig um; aber der Alte schnarchte im Seitenzimmer lustig fort; es schien ungefährlich, den Namen »Alexander Mietze« auszusprechen, und ich tat es.

      »Ich darf Ihnen wohl noch eine Tasse Kaffee einschenken, Herr Vetter?« fragte das Bäschen. Die melodischen Töne im Nebenzimmer waren plötzlich zu Ende gekommen – der Alte stieß erwachend einen tiefen Seufzer aus.

      »Woher mag es doch kommen, daß das Gähnen so ansteckend wirkt?« sagte Sidonie und hielt das Händchen vor den Mund. Was dahinter vorging, kann ich nicht sagen; aber es stand mir frei, Vermutungen darüber anzustellen, bis zur Dämmerung.

      7

       Inhaltsverzeichnis

      »Hast du sie gesehen? Was hat sie gesagt? was hat er gesagt?« schrie der Schauspieler und Spiritusfabrikant Alexander Mietze, fünf Minuten nach meiner Rückkehr in mein Zimmer im goldenen Weinfaß stürzend.

      Ich nahm ein möglichst ernstes Gesicht an, warf einen langen, prüfenden Blick auf meinen Freund, schritt langsam um ihn herum, ihn von allen Seiten, von Kopf bis zu den Füßen musternd, und sagte dann mit einer Grabesstimme:

      » Ich begreife nicht, wie sie bei der Nennung deines verehrten Namens durch mich hat gähnen können!«

      »Sei kein Narr, Max!«

      »Durchaus nicht. Er hat mich ersucht, bei der nächsten Gelegenheit einen Zank mit dir anzufangen und dir auf die sanfteste Weise von der Welt eine Kugel in deinen liebesiechen Busen zu plazieren.«

      »Du bist verrückt!«

      »Keineswegs, o du dämonischer Jüngling – totus mundus exercet histrioniam, du und ich wissen etwas davon: glaube mir, Alexander

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