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Ölfarbe gemalt sind. Der runde Klapptisch von Eichenholz steht in der Mitte, und heute wie vor zwanzig Jahren steht der nach Südosten und dem Ofen zu gelegene Fuß desselben auf einem Stückchen zusammengewickelten Papieres; denn der Fußboden hat sich, nach dieser Richtung hin, etwas gesenkt. Der Ofen ist ein altertümliches Bauwerk von weißen und grünen Kacheln und trägt auf seiner pyramidenförmigen Spitze die Gipsbüste Ihrer Majestät der Königin Luise von Preußen. Neben dem Ofen, im Winkel, befindet sich seit undenklichen Zeiten der riesenhafte, dunkelgebeizte Eckschrank, welcher bei feierlichen Gelegenheiten zugleich als Buffet dient. Hinter den blankgescheuerten Glastüren desselben prangen die verschiedenartigen Gegenstände in Glas und Porzellan, welche das Herz einer Hausfrau mit Wonne erfüllen. Da sind Tassen von allen Größen und Formen, Geschenke, aufbewahrt lange Generationen hindurch, gemalt, vergoldet, mit Schriftzügen – dem guten Hausvater – Lohn der Tugend – der Hausmutter – zur Erinnerung – und so weiter, und so weiter. Ferner gibt es da allerhand Weingläser – eine interessante Sammlung für den Kenner! Da steht der grüne, ehrenfeste, echtdeutsch-gemütliche Römer neben dem spitzfindigen Likörgläschen, dem windigen Champagnerglase; da steht das fein und zierlich geschliffene Wasserglas neben dem gewaltigen, wunderbaren, silbergehenkelten Bierkruge. Ganze Pfeiler von Tellern, Schüsseln wechseln mit buntgemalten Punschbowlen, Suppennäpfen und so weiter ab; und zwischendurch wimmeln Mißgeburten aller Art, Chinesen, Schäfer und Schäferinnen, Tiere, wie die Naturgeschichte sie kennt und nicht kennt! Stundenlang könnt’ ich in der Beschreibung dieses Schrankes und seines Inhaltes fortfahren, wie ich einst Stunden in vergnüglicher Betrachtung vor ihm zugebracht habe. Ich bescheide mich aber, und sage nur noch, daß an der Seite dieses Eckschrankes der Wedel von Hahnenfedern hängt, und daß oben auf ihm ein ungeheuerer, gelbgrüner Kürbis, der Stolz meines alten Hauptmanns, das Erzeugnis des letzten Sommers, liegt.

      Zwischen den beiden Fenstern des Zimmers, die mit gelben Vorhängen geziert sind, hängt ein großer Spiegel im vergoldeten Rahmen und wirft dem Hineinschauenden ein etwas geisterhaftes, verzerrtes Abbild seines verehrlichen Ichs entgegen. Unter diesem Spiegel trägt ein aus Holz geschnitzter, rotgemalter, pausbackiger Engel eine Marmorplatte, auf welcher zwei Vasen mit Federbinsen stehen. Zwischen ihnen kauert ein feister Chinese, welcher höchst wahrscheinlich in einem unbewachten Augenblick aus dem Eckschrank entwischt ist, und glotzt grinsend, unverwandt auf Fräulein Sidonie Fasterling, die ihren Platz ihm und dem Spiegel (sie muß ja in letzterem die Gesichter studieren, welche sie ihrem Papa schneidet!) gerade gegenüber an dem Speisetisch hat. Über dem harten, rückenschmerzerzeugenden Sofa aber hängt der Hauptschmuck des Zimmers – das lebensgroße, ganz vortrefflich gemalte Bild von M. Simon Fasterling, weiland Bürgermeister der Stadt Finkenrode. An der Schulter des alten Herrn steht in weißen, verschnörkelten, lateinischen Buchstaben, außer dem Namen: – In alls geduldig. Sins alters LX jar. A. D. 1550. Heute noch ist der Wahlspruch der Familie: »In allem geduldig« – wenn auch Fräulein Sidonie, der letzte niedliche Sprößling der Fasterlinge, sich ganz und gar nicht damit einverstanden erklärt und dem wackern Vorfahren oft genug spöttisch eine lange Nase macht, welche der alte Herr, die rechte Hand auf die Bibel gelegt, die linke auf einen hohen Stock gestützt, ernsthaft entgegennimmt.

      Ich biete nun der holden Sidonie sogleich den Arm, führe sie zu ihrem Platze und nehme den meinigen zwischen ihr und dem Hauptmann ein, so nahe einem hübschen, seidenen Kleide als möglich. Den Leser setze ich als zuschauenden und zuhörenden, stillvergnügten Gast in die entlegenste Ecke des Gemaches an den Katzentisch, wo er nach Gefallen sitzen bleiben kann, von wo er sich aber nach Belieben entfernen darf, wenn ihn Wichtigeres oder Vergnüglicheres abruft.

      »Sie werden uns nun hoffentlich fürs erste nicht verlassen, Herr Vetter!« sagte Sidonie. »Finkenrode ist ein sehr angenehmer Ort.«

      »In meinen Jahren fängt man an, sich nach Ruhe zu sehnen,« antwortete ich und verbrannte mir tüchtig den Mund an der heißen Suppe.

      »Sie sind wohl schon recht hoch in den Jahren der Beschaulichkeit?«

      Ich seufzte, und das Bäschen zeigte mir zwei Reihen weißer Zähne, wie sie niemals perlengleicher in einem Romane vorkamen.

      »Ich habe die Absicht, hier in Finkenrode viel zu lernen; habe auch schon vernommen, es sei ein sehr schlüpfriger, gefährlicher Boden. Nun, ich weiß zu balancieren!«

      Diesmal seufzte Fräulein Sidonie ein klein, klein wenig, ließ ihr Seufzerchen jedoch schnell genug in ein Lächeln übergehen, welches aber nicht mich, sondern den Rand ihres Tellers traf.

      Der Alte gab jetzt dem Gespräch durch eine Erzählung, welche begann: Als wir in Frankreich waren – eine allgemeinere Richtung. Wir sprachen über meine Erbschaft, über die Abenteuer meiner Reise, über die zugrunde gegangene Aktiengesellschaft, welche den Fluß mit Dampfschiffen befahren wollte; aber zwischen alledem durch lief ununterbrochen eine Interlinearunterhaltung, von welcher der Hauptmann Fasterling wenig oder gar nichts bemerkte. Mehrere Male fing ich die Cousine über verstohlenen Blicken, wie ich nicht leugnen kann, ebenfalls durch das Mittel verstohlener Blicke. Wir traueten einander nicht über den Weg und studierten uns, indem wir vorsichtige Fühlfäden gegeneinander ausstreckten.

      Der Hauptmann wunderte sich auch nicht wenig, als wir beide, unvermutet, in ein helles, lustiges Gelächter ausbrachen.

      »Nun, was habt ihr? Was gibt’s? He – so sprecht doch!«

      »O – Waddel und – der Herr Vetter! …«

      Was hatte Waddel mit dem Herrn Vetter zu schaffen! Zusammengewickelt lag das Vieh unter dem Tische, sprang aber nun, da es seinen Namen hörte, natürlich sogleich auf, sprang auf den leeren Stuhl neben Sidonie; im nächsten Augenblicke lagen seine gelbgrauen Pfoten auf der Tischdecke und fragend, frech und unbefangen schaute es uns, über den Braten weg, der Reihe nach an.

      »Ein himmlisches Geschöpf, Fräulein Bäschen!« sagte ich, und reichte dem Scheusal vorsichtig auf der Spitze meiner Gabel eine Brotkruste, einem Friedenspräliminarium gleich. Die Kreatur beschnüffelte den Bissen verächtlich und fuhr im Augenblick darauf, zum großen Ergötzen seiner Herrin, mit einer gestohlenen Bratenschnitte unter den Tisch.

      »Du glaubst nicht, Max, wie das Mädchen den Köter verzogen hat!« brummte der Hauptmann. »Ich wollte, sie behandelte ihren alten Vater so gut.«

      »Der gute Waddel!« rief Sidonie. »Wie er mich liebt – gib dem Vetter ein Pfötchen, Waddel, sei artig! Il est bien joli, mon cousin! Vous n’aimez pas les chiens?« und jetzt fuhr das Bäschen französisch fort, mir psychologische Rätsel aufzugeben, mit einer Volubilität zum Schwindligwerden. Der Papa ächzte und brummte und ergriff zuletzt sein halbvolles Weinglas, benetzte den Finger und entlockte, nach einigem vergeblichen Reiben, dem Rande des Glases endlich jenen bekannten schneidenden Ton, der Lebendige tötet und Tote zum Leben erwecken kann.

      Mit einem Schrei fuhr Sidonie auf, beide Ohren zuhaltend: »Um Gottes willen! Papa! Papa! Hör auf – ah, ich will alles tun, was du willst« –

      Der Alte rieb lachend weiter. »Das ist das einzige Mittel, das Teufelsmädchen zur Vernunft zu bringen.«

      »Waddel! Waddel!« rief Sidonie. Sie zog das Vieh zu sich heran, sie kniff es in den Schwanz, daß es ein heulendes Gebell ausstieß.

      Lustig rieb der alte Krieger, ohne sich dadurch stören zu lassen, bis ihm sein Töchterchen beide Hände festhielt. Atemlos sank sie in ihren Stuhl zurück.

      »Das nennen sie jetzt schwache Nerven!« lachte der Hauptmann. »Donnerwetter, als wir in Frankreich waren, hatten wir in unserer Kompanie nur den Leutnant von Aschbach, der etwas davon wußte, und der schleppte einen Splitter von einem Dragonerpallasch im Hirnkasten mit sich herum!«

      »Es ist nur gut,« sagte Sidonie, »daß der Papa nach dem Dessert seinen Mittagsschlaf halten muß, wie der ehrliche Pfarrer von Grünau – ah, ich bitte um Entschuldigung, Herr Vetter, wir Leute auf dem Lande lesen die Luise noch, und die bezauberte Rose, und Tiedges Urania – und, ach, was wollt’ ich gleich sagen? ja so, es ist gut, daß der Papa gleich nach Tisch einschläft – die Geschichte von dem Leutnant von Aschbach und seiner Kopfwunde ist sehr lang und –«

      »Dummes Zeug!« rief der alte Soldat

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