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bis tief in die Berge hinein. Heute aber läßt das wirbelnde Schneegestöber kaum die nächsten Gegenstände erkennen. – Die kahlen Zweige der Bäume werden vom Sturm hin und her gerissen – und nur eine Krähenschar, welche sich in der Luft umhertreibt, scheint sich in diesem Wetter wohl und behaglich zu fühlen. –

      Außer mir – wenn ich die unzähligen Ratten und Mäuse beiseite lasse – gibt es noch zwei lebende Wesen in den weiten Räumen des Hauses Bösenberg. Ein uraltes, gebücktes, verschrumpftes Weiblein ist plötzlich aufgetaucht aus einem finstern Winkel des Hauses, wie die Hexe im Märchen. Sie hat bei meinem Einzuge in die Hallen meiner Vorfahren einen Knicks gemacht, hat mir die Hand gegeben und gesagt: sie sei die Renate, und habe meinen Vater auf dem Arm getragen, meinen Oheim und mich auch, sie habe meiner Mutter zu ihrem Brautkranz das Myrtenstöckel aufgezogen, und habe die selige Frau Agathe zu Grabe tragen sehen, und das Kindlein Frieda, und den Herrn Oheim zuletzt. Dann hat sie mir verkündet, ich müsse heiraten, und wir sind ganz gute Freunde geworden, obgleich ich mich eigentlich vor der Alten fürchte. Noch unheimlicher aber als die Jungfer Renate ist der zweite Bewohner des Hauses! Es ist ein bejahrter, struppiger Rabe, welcher mir gleich in der ersten Nacht, die ich in dem Hause meines Oheims zubrachte, einen tollen Schreck einjagte, indem er gegen Mitternacht im Zimmer umherschritt, geisterhafte Töne hervorbrachte, dann auf den Bettrand sprang, an der Decke zerrte, und schnarrend im klassischsten Latein sagte:

      »Gedenke zu lieben! Gedenke geliebt zu werden!«

      Ich hatte das Tier noch nicht zu Gesicht bekommen, da es den Tag über, verscheucht durch den ungewohnten Lärm, in irgendeinem finstern Unterschlupf gebrütet haben mußte, und fing an, das Hereinragen der Geisterwelt in die unsrige für ein Faktum zu halten. – Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett – zündete Licht an und beleuchtete den Spuk.

      »×áéñå Ëãáäç!« sagte der schwarze Bursche.

      Agathe hieß die Gemahlin meines Onkels, meine Tante – und tief bewegt starrte ich den Raben an, welcher auf diese seltsame Weise, mitten in der Nacht, mir von den Geheimnissen des Hauses Bösenberg sprach.

      »Gruß dir, Agathe!« wiederholte ich leise und fröstelnd; aber der Mensch ist ein schwaches Geschöpf; trotz meiner Rührung trieb ich den sprechenden Vogel zum Tempel hinaus, und seitdem geht er schnarrend um mich herum und wirft mir giftige Seitenblicke zu. –

      Ich bin ein Mensch der Bewegung, der frischen Luft, des hellen Lichtes, einerlei, ob das letztere durch Sonnenschein oder Gasflammen hervorgebracht ist. Ein unbehagliches Gefühl prickelnder Unruhe beschleicht mich von Tag zu Tag mehr in den stillen, dumpfigen Räumen meiner jetzigen Wohnung. An diesem Abend mehr als gewöhnlich, denn es peinigt mich auch noch der Wind draußen und in den Schornsteinen. Nichts ist mir widerlicher als dieses unbestimmte Getön, welches zuletzt nicht nur in den Kaminen und Schornsteinen heult und summt, sondern auch in meine Hirnschale eindringt und sie mit allerhand wüsten, unbegreiflichen, unbeschreiblichen Klängen und Bildern füllt, die mich nach Herzenslust quälen und ängstigen, und mich endlich hinaustreiben ins Freie, oder in ein öffentliches Lokal unter eine große Menschenmenge, wo das Geistervolk mich losläßt. Ich sprang auf und schritt hin und her, um mein Blut ein wenig in Bewegung zu bringen; ich versuchte das Trinklied aus Lucrezia Borgia zu pfeifen, aber ich gab es bald auf vor der Vorstellung, wie oft wohl der tote Oheim auf diesen selben Tannenbrettern hin und her geschritten sein mochte und mit welchen finstern Gedanken im Herzen. Ich trat leiser auf, wie ich glaube. Gleich einem unberufenen Eindringling erschien ich mir in diesen Räumen, die mein waren, mit denen ich schalten und walten konnte, wie es mir beliebte.

      Ich konnte ein Feuer anzünden im Hofe, wie der Lizentiat Pedro Perez und der Barbier Niclas, und mir von der alten Renate alle die gelehrten Tröster aus den Bücherfächern um mich her zureichen lassen, und sie zum Fenster hinaus in die Flammen werfen. Ich konnte diese dunkeln Scheiben putzen lassen, ich konnte mit dem Krückstock des Oheims dem Raben Jakob den Schädel einschlagen; ich konnte – ja, was konnte ich nicht alles, wenn ich nur gewagt hätte, irgend etwas auf andere Weise, als mit der größten Scheu und Vorsicht zu berühren! Da war das Gemach, in welchem mein Vater das Licht der Welt erblickte, da war der dunkle Alkoven, in welchem ich als kleiner, boshafter Schlingel oft genug eingesperrt gesessen und geheult hatte; da waren die leeren Ställe, die weiten, öden Scheuern, in welchen wir unsere tollen Spiele getrieben hatten – – wer kann gegen solche Erinnerungen etwas unternehmen ohne die tiefste Pietät?! …

      Ich ließ mich abermals in den Lehnstuhl des Oheims nieder, bis mir die Dunkelheit zuletzt unerträglich wurde und ich nach Licht rief.

      Der schlürfende Schritt der Renate auf dem Gange draußen, wie sie langsam gegen die Tür herankam, war mir unheimlich; unheimlich war mir das Bild gegenüber, das noch schwach durch die Dämmerung erschien.

      »Gottlob!« rief ich unwillkürlich, als die Alte die Tür öffnete und der Schein der Lampe in das dunkele Gemach fiel.

      »Das ist ein schlimm Wetter draußen,« sagte Renate, die Lampe auf den Tisch stellend. »Grad solch ein Wetter war es, als die selige Frau heimging – drei Tag, nachdem das Kindlein begraben war.«

      Ich warf wieder unwillkürlich einen Blick auf das Bild an der Wand.

      »Lebe wohl, Agathe!« krächzte der Rabe auf griechisch und hüpfte hinter der Alten hervor.

      »Der Herr hat ihn den fremden Spruch gelehrt! Er ist zu Ehren der seligen Frau, sagen sie.«

      »Komm zu mir, Jakob! Nun, schwarzer Kerl?«

      »Gedenke zu lieben!« sagte der Rabe auf lateinisch so gehässig als möglich und ging langsam mit der Alten nach der Tür zurück. Ich war wieder allein und versuchte in der vor mir aufgeschlagenen Antigone des Atheners zu lesen, aber vergebens. Zwischen den Blättern des Buches rieselten noch die verlorenen Körner aus der Schnupftabaksdose meines Oheims. Ich warf den zerlesenen Band auf den Stoß der neuesten Nummern des Kamäleons, welche mir Weitenweber unter Kreuzband zugesandt hatte. Verstimmt an Leib und Seele ergriff ich die Feder, um einen Brief an den langen Redakteur, welchen ich begonnen hatte, fortzusetzen. Und in der Erzählung meiner Finkenrodener Erlebnisse bis zum vergangenen Tage gelangt, nahm ich den Faden meiner Erzählung wieder auf, wie folgt:

      – »Sidonie saß in ihrem Schmollwinkel und sagte nichts. ›Geh, wohin du willst, ich werde meine Pfeifen reinigen,‹ ließ sich der Hauptmann Fasterling vernehmen. Der Spiritus domesticus guckte in die Tür und ließ den Seifengeruch einer großen Wäsche hinein. Ein Duft grenzenloser Langweiligkeit schwebte über der Stadt Finkenrode im allgemeinen und dem Haus Fasterling im besonderen, und ich nahm meinen Hut, machte meine zwei Verbeugungen und ging, – Visiten zu machen, Weitenweber! Vor der Tür des Hauptmanns stehend, überlegte ich – und segelte mit dem Winde. Dieser trieb mich quer über den Marktplatz auf ein sehr anständiges Gebäude zu, vor welchem natürlich auch zwei entlaubte, kümmerliche Akazienbäume stehen. Hier wohnte der Syndikus Mümmler, der Vater des schönsten Mädchens in Finkenrode; denn »schön« kann ich mein Bäschen Sidonie nicht nennen, was Mietze auch darüber sagen mag! –

      Ich drückte die Haustür auf mit dem Wunsche, daß sich das Bäslein der letztgenannten jungen Dame ein wenig rümpfen möge, daß sich die hübschen, dunkeln Augenbraunen ein klein wenig zusammenziehen möchten. Meine Narrenkappe gegen alle Professorenbaretts der Welt, nachgeguckt hatte sie mir wenigstens nach dem Privatissimum, welches ich ihr über Schauspielkunst und Spiritusfabrikation im allgemeinen und speziellen gehalten hatte, ehe der Herr Vater von seinem Spaziergang zurückkam.

      »Der Herr Syndikus zu Haus, Jungfrau?« fragte ich das weibliche Wesen, welches mir auf der feuchtdampfenden Hausflur entgegentrat.

      Die Nymphe trug einen Haarbesen in der rechten, eine Kleiderbürste und ein mir unbekanntes Geschirr, halb Topf halb Napf, in der linken Hand. Sie starrte mich einige Augenblicke verwundert an, murmelte etwas, lehnte den Besen an die Wand, setzte die Amphora zu meinen Füßen nieder und klapperte, die Bürste in der Hand behaltend, die Treppe in zwei niedergetretenen Pantoffeln künstlich genug hinauf. Nichts hielt mich ab, ihr zu folgen, und ich tat dieses in der festen Voraussicht, zu – stören!

      Achtzehn Treppenstufen zählte ich im Hinaufsteigen, die neunzehnte führte mich auf einen Vorplatz,

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