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Freunde gewesen!«

      Der Alte war aufgesprungen und blickte mir starr ins Gesicht; jetzt schrie er: »Was! der Max? – der Taugenichts? Max Bösenberg! Blücher und Bomben! Komm her, mein Junge!«

      Der Lehnstuhl flog zurück, die Weinflasche auf dem Tische fiel um und goß ihren Inhalt auf den Fußboden – der Hauptmann ließ mir eine Umarmung angedeihen, welche mir fast die Seele ans dem Leibe trieb. Lächelnd und verwundert schaute Sidonie unserm Gebaren zu; während der gute Hund Waddel sich zwischen unsern Beinen umhertrieb und Versuche machte, sich an meinen Frackschößen zu schaukeln.

      Jetzt drückte mich der Hauptmann so weit als möglich von sich ab, ohne mich jedoch loszulassen, und unterwarf mich einer strengen Musterung von Kopf bis zu den Füßen, wobei er, gottlob, ein zufriedenes »hm! hm!« hören ließ, bis ihm auf einmal etwas einfiel, welches eine komische Reaktion in ihm hervorbrachte.

      Er stieß mich von sich ab, schob beide Hände in die Taschen seines langen Hausrockes und rief:

      »Aber du bist ja ein Wühler geworden! Donnerwetter – ein Demokrat, einer von der gottlosen Satansbande, ein Zeitungsschreiber! Ach, du Aber Gott, als wir in Frankreich waren, haben wir das nicht um Euch verdient!«

      »Teuerster Herr Hauptmann!« …

      »Hat sich was zu ›teuerster Hauptmann!‹ – das ganze junge Volk taugt nichts! Da – das ist meine Tochter, die Sidonie! (ich machte wiederum eine tiefe Verbeugung) – du kennst sie wohl noch nicht, Max? Guck sie dir an, sie sieht aus, als könnte sie von einer Fliege aufgefressen werden, und sie ist schlimmer als ein ganzes Hornissennest. Aber ihr seid alle so; keine Achtung vor dem Alter! – alles besser wissen! alles besser verstehen! abscheuliches Volk!… Na, gebt euch die Pfoten! Sidonie, das ist der kleine Max Bösenberg (er ist freilich lang genug geworden), behandle ihn zwanzigmal besser, als deinen alten Vater, und du wirst ihm das Leben darum doch sauer genug machen.«

      Ich streckte die Hand mit dem Ausdruck schüchterner Bescheidenheit der holden Sidoni entgegen. »Darf ich hoffen, mein Fräulein, daß Sie einen unglückseligen Zeitungsschreiber nicht ganz für das verabscheuungswürdige Geschöpf, welches Ihr Herr Vater aus ihm zu machen beliebt, halten?«

      Eine kleine, weiche, runde Hand legte sich leise in die meinige: »Darf ich hoffen, mein Herr, daß Sie mich nicht ganz für ein so boshaftes Wesen halten, als mein Herr Vater aus mir zu machen beliebt?«

      »Dummes Zeug!« schrie der Alte. »Da fangen die Komplimente schon an! Achtung – du hier nennst sie Base, oder Bäschen, oder Cousine – nein, nicht Cousine, das ist ein französisches Wort! du, Sidonie, kannst den Taugenichts da Vetter nennen! Verstanden? – Rührt euch!«

      Bittend, fragend sah ich zu dem Bäschen, welches in einem tiefen Knicks zurücksank, hinüber. Ich wollte etwas sagen, blieb aber in dem ersten Worte stecken, aus Verwunderung über die Verwandlung des Gesichtchens der Cousine, über dessen liebenswürdige Schelmerei und Spitzbüberei plötzlich ein Duft schmachtender, nebelhafter Schwärmerei sich senkte. Wo waren auf einmal all die Geisterchen des Mutwillens geblieben, welche um diesen rosigen Mund gespielt und getanzt hatten! Jetzt hätte ich die Gestaltung des Näschens einer genauen Kritisierung unterwerfen können, wenn mich nicht die Schwierigkeit der Beschreibung einer Nase überhaupt daran hinderte! O Alexander Mietze, jetzt begriff ich deine oft wiederholten Worte: »Sieh sie dir an! sieh sie dir an!«

      Wahrhaftig, das schöne Kind konnte einem wahrscheinlich manch ein Rätsel aufgeben! …

      Nun schlug sie die Augen zur Zimmerdecke auf, strich nach beiden Seiten das Kleid zurück, machte einen zweiten, womöglich noch tiefern Knicks und sagte mit einem sentimentalen Seufzer:

      »Wir werden hoffentlich das Vergnügen und die Ehre haben, daß der – Herr – Vetter heute unser Mittagsmahl teilt?!«

      »Ich – ich« – ich stand verblüfft, albern genug da. »Ich bitte, mich zu entschuldigen, ich muß in die Küche – Herr Vetter – auf Wiedersehen!« … Ein neuer Knicks; sie war verschwunden. Ich glaube, ich habe während der letzten fünf Minuten den Hut zwischen den Händen gedreht, wie ein Kandidat der Theologie, der einer Oberkonsistorialrätin einen Besuch macht!

      Jetzt faßte mich der Hauptmann wiederum in die Arme. »Hast du’s gesehen? Hast du’s gesehen?« Er ahmte das Mienenspiel, die Stimme seines Töchterleins, so gut es gehen wollte, nach: »Ich bitte, mich zu entschuldigen, ich muß in die Küche – o, die Komödiantin – hunderttausend solcher Gesichter hat das Mädchen! O, der Teufel hole alle diese Fratzenschneider!«

      Ich hätte beinahe laut aufgelacht. Kaum vierundzwanzig Stunden in Finkenrode, steckte ich schon mitten in der schönsten Intrigue.

      »Sagen Sie einmal, teuerster Herr Hauptmann, was sollte denn eigentlich Ihr Ernst nicht sein? Fräulein Sidonie sprach davon, als ich die Tür öffnete.«

      »Ach, es gehört auch zu meinem Jammer, das Mädchen bringt mich noch vor der Zeit in die Grube. Da stirbt mir die Mutter – Gott habe sie selig – und läßt mir den kleinen Schreihals zurück – kurze Zeit, nachdem Ihr Finkenrode verlassen hattet. Mit dir konnte ich wohl fertig werden – so ein Junge ist ein ganz ander Ding, als solch ein Mädel! Bei Gott, ich kann nichts dafür, daß nichts anderes aus ihr geworden ist. Ich hätte sie in eine – na, wie nennt ihr es, in eine – Kadettinnenanstalt, nein, in eine Pension schicken können, aber da hätten sie höchstwahrscheinlich nichts Besseres aus ihr gemacht; und nun ist in der nächsten Zeit ihr neunzehnter Geburtstag, dafür hat sie einen neuen Unsinn ausgeheckt – lebendige Bilder nennt sie es, dazu soll ich mein Haus hergeben! Darauf käme es mir nun nicht an – aber da ist noch ein anderer Landstreicher, bitte um Entschuldigung, Max, heimgekehrt nach Finkenrode, ein Schauspieler Mietze, – sein Vater war ein wackerer, braver Mann, welcher – ich meine den Komödianten – Max, Max, vielleicht hat dich der Himmel mir zur Hilfe gesandt!«

      Ich drückte dem Alten warm die Hand und versicherte ihn meiner vollkommensten Ergebenheit.

      »Was meinst du, wenn du ihn fordertest und ihm eine Kugel in den Arm jagtest, oder in das Bein? Tot zu schießen brauchst du ihn nicht! Überlege es dir, mit mir geht der Bursche nicht los; ich bin ihm zu alt, – man kennt die Phrasen.«

      »Lassen Sie mich erst genauere Einsicht in die Sachlage gewinnen, Herr Hauptmann! Sie sollen noch eine sehr gute Meinung von der deutschen Journalistik bekommen. Wir haben schlimmere Geschichten zu einem glücklichen Ende geführt.«

      Ein gewaltiges Getöse – Lachen, Geschrei, Gebell draußen, jagte uns in die Höhe.

      »Was haben sie nun wieder! Was heult der Schuft, der Waddel?« rief der Oheim.

      »Meine Gans! Meine Gans! Meine schöne Gans!« ließ sich die schrille Stimme der alten Haushälterin Justine draußen vernehmen, und Sidoniens Gelächter läutete ein silberhelles Tedeum zu den Jammerlauten der Alten.

      »Da geht er! Dort über den Markt!« schrie der Hauptmann. Er riß das Fenster auf: »Waddel! Waddel! Will Er hier!«

      Im langsamen Trab setzte Waddel quer über den Marktplatz der guten Stadt Finkenrode, den geraubten Braten im Maule tragend. Minchen, die junge Hausmagd, mit dem Besen in der Hand, keuchte hinter ihm her; an allen Fenstern der den Platz umgebenden Häuser erschienen Köpfe, aus allen Haustüren stürzten Leute, den Räuber zu verfolgen; aber erst der Herr Kalkulator Hoppe, der des Weges gravitätisch langsam daher kam, hatte Taktik genug aus den Kommentaren des Julius Cäsar gesogen, um den Flüchtling abfangen zu können. Den goldbeknopften Rohrstock schwingend, warf er sich dem Räuber in den Weg, führte einen wohlgezielten Schlag, ergriff die schwachdampfende Gans und überreichte sie der atemlos herbeigeeilten Köchin, welche sie in ihrer blauen Schürze nach Hause trug,

      »Nun weißt du, Max, was Sidonie ›nach der Küche sehen‹ nennt!« sagte der Hauptmann, das Fenster schließend. »Ich will uns noch eine Flasche Wein aus dem Keller holen, fürs erste bekommen wir nichts zu essen,«

      6

       Inhaltsverzeichnis

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