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– ich hasse die Hunde! – im Maul trug, beleuchtete einen Raum von acht Quadratfuß um einen bepelzten, schiefbeinigen Kerl, dessen Anblick mir in diesem Augenblick sechshundertsechsunddreißigtausendmal erfreulicher war, als Fräulein Adeline Spreitelioni, in all ihrer reizenden Nacktheit, im Ballett: die Meernixe auf dem Trocknen. Eilends trabte ich auf den treuen Wächter des Orts zu, und legte ihm mein Gesuch um Geleit nach dem goldenen Hahn vor. Er beschaute mich von der Spitze des Hutes bis zu den Überschuhen, examinierte meinen Regenschirm in der Linken, und meine Reisetasche in der Rechten, und ließ nach einigen bedächtigen Zügen aus seiner kurzen schwarzen Pfeife die tröstende Antwort erschallen:

      »Erst muß ich den Herrn Bürgermeister und den Herrn Kämmerer ansingen.«

      Ich hatte schon genug von der Starrsinnigkeit der Sauinger erfahren, um nicht die Ohren hängen zu lassen, wie Horazens unsterblicher Esel auf der heiligen Straße, und mich in mein Schicksal zu ergeben.

      Wir sangen den Herrn Bürgermeister an und ermahnten ihn und seine Gemahlin, das Feuer und Licht zu bewahren; dann begaben wir uns vor die Wohnung des Herrn Kämmerers, und die Hände in den Taschen, den Reisesack zwischen den Füßen, lauschte ich den ossianischen Tönen des Wächters der Nacht, der mein Schicksal in den Händen hatte.

      O ihr romanlesenden zarten Seelen – Frauen und Jungfrauen Sauingens, hat in dieser Nacht, während ihr euch auf weichem Flaum, in den süßesten Träumen wiegtet, nicht ein schriller, schneidender Wehlaut diese Träume gestört?

      Was hättet ihr begonnen, wenn ihr gewußt hättet, daß der »so rühmlich bekannte« Verfasser der »Heiratsgedanken«, der Dichter der »frommen Liebeslieder« und so weiter, und so weiter, unter euern züchtig verhangenen Kammerfenstern zähneklappernd sein Schicksal verwünschte? Hand aufs Herz, Bürgerinnen im Reich des Schönen und Sentimentalen, wäret ihr liegen geblieben, oder wäret ihr aufgesprungen, die Mama zu wecken, Tee zu kochen, dem knurrenden Papa die Kellerschlüssel zu stehlen, – Kränze zu winden aus den blühendsten Ranken eurer Fenstergärten? Antwortet, deutsche Mädchen – die strengste Diskretion wird zugesichert!

      Ach, du lieber Gott, kein holdes verschlafenes Gesicht lugte hinter den Vorhängen vor, kein chemisches Zündhölzchen leuchtete zum eilfertigen Lampenanzünden auf – sie waren schläfrig und schliefen – wie es im Evangelium Sankt Matthäus von den törichten Jungfrauen heißt, – und – ein neues Geschick schoß in der Gestalt eines schwarzen fauchenden Katers über den Marktplatz von Sauingen an uns vorüber und zog mich mit hinein in einen neuen Strudel der Ereignisse. Im Galopp sprang natürlich und naturgeschichtlich begründet unser Laternenträger, der nachtwächterliche Phylar, hinter dem Kater her. Gleich einer lobenden Phrase Weitenwebers riß der fromme Gesang des Wächters ab, um in ein gewaltiges Donnerwetter überzugehen, und ohne auf mich weiter Rücksicht zu nehmen, stürzte der Spießträger seinem Köter und seiner Laterne nach, und mit einem Segenswunsch auf alle Hunde und Katzen Sauingens setzte auch ich mich in Bewegung, so schnell es meine erstarrten Glieder erlaubten, um nicht den letzten Hoffnungsfaden, der mich ins Bett geleiten konnte, zu verlieren. Über halb gefrorene Düngerhaufen, durch halb gefrorene Pfützen ging die Jagd, bis mir endlich ein Wehgeheul in der Ferne verkündete, daß der pflichtvergessene Flüchtling von seinem erzürnten Herrn ereilt war. Atemlos vereinigte ich mich wieder mit beiden.

      »Na, nun will ich Sie für ein Trinkgeld nach dem Hahnen bringen,« sagte der Wächter, mit einem letzten Fußtritt in die Seite des Köters. »Kommen Sie mit, der Herr Pastor haben einen zu festen Schlaf und hören mein Singen doch nicht. Geben Sie her, ich will Ihren Sack tragen – warte Satan!«

      Heulend verbarg sich der Hund vor der gehobenen Stange zwischen meinen Beinen.

      »Edler Mann,« sagte ich, »Personifizierung aller milden Gefühle hiesigen Orts; ich überlasse mich ganz Ihrem gütigen Ermessen. Retten Sie mich, und Kinder und Kindeskinder werden einst mit Tränen in den Augen den Namen des Nachtwächters von Sauingen aussprechen! Wie heißen Sie, edelmütiger Freund?«

      »Märtens, Sie zu dienen – Michel Märtens. Nehmen Sie sich in acht, hier hat neulich Mannenhubers Frau das Bein gebrochen! So, hier um die Ecke – da ist der Hahnen!«

      »Der Hahnen!« exklamierte ich, die Hände zusammenschlagend. »Also er existiert wirklich, es ist kein Trugbild? Michael Märtens, mein Erretter, sollte es wohl eine Glocke an diesem Aufenthalt gastlicher Menschen geben?«

      »Eene Glocke?… Ne! – Warten Sie, ich will anklopfen; sie haben ein bißchen festen Schlaf, Herr!«

      Nun beleuchtete der laternentragende Pudel ein Sauinger Anklopfen.

      Der Wächter lehnte seine Hellebarde an die Wand, lehnte sich mit dem Rücken an die verschlossene Tür des Hahnen und begann sie auf eine Weise mit dem Ellbogen und den eisenbeschlagenen Stiefelabsätzen zu bearbeiten, welche ihm in einer polizierteren Stadt nicht nur alle lebendigen, sondern auch alle längst begrabenen und vermoderten Schützer der öffentlichen Ruhe auf den Hals geführt hätte. Der Erfolg dieses Getöses tat aber dar, daß es wohl begründet und vollständig an Ort und Stelle war. Märtens hatte recht: sie hatten einen festen Schlaf! Niemand rührte sich, niemand antwortete, niemand erwachte!

      Stumm lag der Hahn da, wie eine Parodie auf jenes Tier, welches der Wachsamkeit beigegeben wird, wenn die Maler sie symbolisch darstellen wollen; jenes Tier, welches die lebendigste Nation jetziger Ära zum Symbolum genommen hat.

      Der linke Stiefelabsatz des Sauinger Speerschüttlers war bereits erlahmt, beide Ellbogen hatten lange ihre ohrenerschütternde Tätigkeit eingestellt, nur das rechte Pedal des wackern Mannes arbeitete noch tätig fort, da – endlich – endlich – wurden Zeichen erwachenden Lebens im Hause laut!

      Schlürfende Schritte näherten sich, ein Schlüssel knarrte im Schloß, Lichtschein fiel heraus auf die Hauptstraße von Sauingen, den laternentragenden Köter, den Nachtwächter Michel Märtens und den vagabundum litterarium Max Bösenberg. Mit der Schnelligkeit, der krampfhaften Hast der Verzweiflung klemmte ich den Fuß zwischen die enge Spalte der Tür, warf meinen Reisesack dazwischen, um das schleunige Zuschlagen zu verhindern, welches mir meine aufgeregte Phantasie gräßlich vormalte – – – ah, ah, ah, nach einer Stunde lag ich zähneklappernd, mit leerem Magen, in einem ungeheizten Zimmer, einem feuchtkalten Bette des Gasthofs zum »goldenen Hahnen«, welchen ich hierdurch allen in dieser Gegend Reisenden, allen nach Sauingen Verschlagenen bestens empfohlen haben will. Meine Gefühle waren ungefähr die eines in einer Eisscholle eingefrorenen Frosches.

      3

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich am andern Morgen die Augen aufschlug und die Ohren öffnete, verkündete mir ein lustiges Plätschern vor den Fenstern, daß es – regne, und daß daher die Aussichten auf eine behaglichere Fortsetzung und Beendigung meiner Reise zur Erbschaft nicht sehr bedeutend gestiegen seien. Mancherlei Töne des Grauens erfüllten die Gasse: Gänse gackerten, Enten schnatterten, dumpfes Gebrüll des nährenden Rindviehes erschallte aus fernen und nahen Ställen. Von dem Wunsche beseelt, ein wenig mehr von Sauingen und den Sauingern zu erblicken, schaute ich durch die trüben Scheiben: ein kleiner Autochthone stand in einer gegenüberliegenden Haustür, und störte von Zeit zu Zeit mit beiden schmierigen Pfoten die harmlosen Ansiedelungen der kleinen Backwoodsmen in dem roten, struppigen Urwalde seines Hauptes auf. Christianus, der Hausknecht, ein seltsamer Christ, brachte mir meine Stiefeln, welche er einem eigentümlichen Prozeß ausgesetzt zu haben schien. Ich begab mich in die untern Räume des Hahnen hinab, kann aber unmöglich noch einmal in der Erinnerung alles das, was ich hier erlebte, wachrufen! Ich will des unseligen Gebräus, welches man mir als Kaffee vorsetzte, nicht gedenken; ich will einen Schleier über Sauingen, Volk und Senat, seine Jungfrauen, seinen Nachtwächter Michel Märtens, seinen Hahn und Hahnenwirt fallen lassen, und mich sogleich vor die Postexpedition versetzen, wo ein vierräderiger, etwas räudiger Kasten die Verantwortlichkeit auf sich nehmen sollte, mich über die Berge nach Finkenrode zu schaffen. Hier aber streift meine Muse die Ärmel in die Höhe und geht mit frischen Kräften ans Werk. Barmherziger Regenhimmel, was für zwei Mähren brachte die

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