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eine Tür verschwand, hinter welcher ein unbestimmtes Leben durch ein unbestimmtes Tonallerlei sich kund gab, welches aber verstummte, eine halbe Sekunde, nachdem ich Minchen oder Lottchen aus den Augen verloren hatte. Ich wurde gemeldet!

      Einen prüfenden Blick warf ich über die mich umgebenden Gegenstände, und hätte für mein Leben gern die Schublade eines kleinen Nähtischchens von Mahagoniholz, das Eigentum der schönen Verena Mümmler, aufgezogen, wenn ich es bei der Kürze der Zeit gewagt hätte. Gingest du mit den Weibern um, Weitenweber, würde ich dir dies letztere keineswegs gemeldet haben; nie wieder würde mich ein irdischer Engel seinen kleinen und kleinsten Geheimnissen allein gegenüber lassen; – wie eine Klapperschlange hatte ich mich durch mein eigenes Klappern verraten! –

      Ich stand und schob die Hände in die Taschen, um der Versuchung desto besser zu widerstehen, da erschien der Herr Syndikus in der Tür, im grünen Schlafrock mit roten Quasten; mit dem liebenswürdigsten und lächelndsten Gesicht sich den Magen verderbend an der Verlegenheit und dem Ärger über den Besuch zur ungelegenen Zeit.

      »Ah, mein bester Herr Bösenberg, wie haben wir Sie schon erwartet! Bitte, bitte, treten Sie ein!«

      Ich murmelte etwas und schritt mit dem Beamten durch zwei ausgeräumte Zimmer, in ein noch ziemlich bewohnbares, aus welchem soeben ein Flattern unbestimmter Gewänder verschwand, jedoch nicht ohne daß die eilig geschlossene Tür einen weißen Zipfel festklemmte. Als höflicher Mann sprang ich natürlich sogleich vor, um Hilfe zu bringen, doch blitzschnell verschwand das Phänomen, ehe ich den Raum des Gemaches durchmessen hatte.

      Lächelnd wandte ich mich nun an den Hausherrn, welcher etwas nach schlechtem Knaster roch, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte: »In der Tat, Herr Syndikus, ich freue mich sehr, Ihre werte Bekanntschaft zu machen; ebenso die Ihrer Damen! Darf ich fragen, wie sich dieselben befinden? Ich habe doch nicht gestört?«

      »O durchaus nicht! – im Gegenteil – sehr angenehm!« stammelte der Syndikus und wies auf das Sofa, auf welchem ein abgegriffener Band der Werke der Luise Mühlbach neben einem feuchten Taschentuch lag. Mit einem Blick auf die Brustbilder der Hausfrau und des Hausherrn, die mir gegenüberhingen und wie die zu Protokoll gegebene Nüchternheit aus ihren Rahmen gafften, setzte ich mich. »Sie sind schon länger in unserer Stadt?« fragte der Syndikus, der das ganz genau angeben konnte.

      »Einige Tage. Geschäfte aller Art, wie Sie sich vorstellen können, haben mich verhindert, Ihnen früher meinen Besuch abzustatten.«

      »Bedeutende Erbschaft, he?« lächelte der Gute, jagte die Daumen hintereinander her und warf schüchterne Blicke nach der Tür, hinter welcher die weiblichen Mitglieder seiner Familie verschwunden waren. Seiner Meinung nach war in den zwanzig Jahren meiner Abwesenheit nicht viel Neues in Finkenrode geschehen. Wir schwiegen uns bereits eine geraume Weile an, als in sorgsamer Morgentoilette die Herrin des Hauses und die schöne Verena wie ein Komet und ein Stern am Horizonte unserer Unterhaltung aufgingen, worauf das letzte Viertel von Lebendigkeit von dem Mondgesicht des Syndikus verschwand. Was nun gesprochen wurde, hielt sich in den strengsten Grenzen sinnigen Anstandes und interessiert dich nicht, Weitenweber. Die schöne Verena erfreut sich jener stupiden Apathie, die man, sie von der Ferne betrachtend, klassische Ruhe nennt. Das Interessanteste war mein Abmarsch, bei welchem der Herr Syndikus Mümmler über einen nassen Scheuerlappen stolperte und jammervoll die Treppe hinabgestürzt wäre, wenn ihm nicht die deutsche Literatur eine rettende Hand geboten hätte.

      Im Vorbeigehen rief ich nun ein fröhliches »Guten Morgen!« in eine wimmelnd-lebendige Kinderstube und bekam einen deutschen Händedruck von der Frau Doktorin Luise Gundermann. Behaglich erfrischt schritt ich weiter mit der festen Überzeugung, die lustigste Wirtschaft zu Finkenrode gesehen zu haben, und probierte noch manche Sofaecke während der folgenden Stunden. Sinnig naiv trat ich unter das Völklein von Finkenrode und ließ es die Revue passieren: Liebenswürdige, Eitle, Empfindliche, Sentimentale, Muntere, Mürrische, Gutherzige, Spitzfindige, Enthusiasten, Gleichgültige, Steckenpferdereiter. Allen gewährte ich den erhebenden Anblick einer tadellosen Krawatte, und so weiter. Gelangen doch, teuerster Freund, bei solchen Gelegenheiten die fünf praedicabilia der scholastischen Logik vollständig wieder zu ihrem Recht, wie folgt:

      genus – der schwarze Frack, species – die weiße Halsbinde, differentia – die weiße Weste, proprium – die weißen Handschuh, accidens – das Geschöpf Gottes, welches in den vorigen steckt, und dessen Beschaffenheit ziemlich gleichgültig ist, wenn nur die vier ersten Punkte gehörig im Stande sind.

      Gegen zwei Uhr belehrte mich ein nicht zu bezwingendes Gähnen, daß meine Lebensgeister erschöpft seien. Ich hatte mancherlei erfahren und wenig gesagt! Der letzte Besuch führte mich vor die Stadt zu der Oberpfarre, wo ich dem Pastor Primarius Wachtel und seiner Familie meine Aufwartung zu machen hatte.

      Die Oberpfarre liegt so idyllisch, wie nur jemals ein Pastorenhaus in einem Gedicht gelegen hat, auf einer kleinen Anhöhe, rings umgeben von einer ziemlich hohen Mauer, über welche gewaltige, heute freilich entblätterte Nußbäume und Lindenbäume ragen und durch welche ein weites Einfahrtstor führt. Zum letztenmal an diesem vielbewegten Morgen zog ich die Manschetten hervor, zupfte ich die Krawatte zurecht. Das Geklapper zweier Dreschflegel erschallte im anmutigen, herzerfrischenden Takt aus einer niederen Tenne, und hunderte von Spatzen erhoben sich zwitschernd von dem Düngerhaufen, als ich in den Hof eintrat. Hühner, Gänse, Enten und zwei Fräulein Wachtel nahmen nach verschiedenen Seiten hin die Flucht. Letztere retteten sich in das Haus, den Alarmruf aufgescheuchter Weiblichkeit ausstoßend. Hinter den untern Fenstern des Gebäudes erschienen einige Gesichter, und ich erreichte ungehindert die Tür des geistlichen und gastlichen Hauses.

      Glänzend, rot, und rundbackig, wohltuend beleibt, trat mir der ehrwürdige Herr, die lange Pfeife in der Hand, entgegen, begrüßte mich mit möglichster Offenheit und Herzlichkeit und schritt mir krebsartig rückwärts voran, hinein ins Zimmer.

      Du weißt, Weitenweber, daß es uns vom Kamäleon wie so mancher anderen Redaktion geht: Man schreit uns aus als eine bissige, stänkerhafte, Leib und Seele verschachernde Judenbande. Obgleich nun unser Freund vom Halbmond recht gut weiß, daß der Herr Theobul Weitenweber durchaus nicht die Ehre hat, dem Volke Gottes anzugehören, so macht er es doch den Pastor Primarius Wachtel glauben, und der Pastor Primarius Wachtel glaubt es auch. Wir waren noch mit den herkömmlichen Worten und Werken der Höflichkeit beschäftigt, als sich auf einmal der Oberpfarrer krampfhaft auf einem Stuhl niederließ, um einige umfangreiche Zeitungsblätter meinen Augen zu verdecken; – der wackere, vortreffliche Mann!

      »Ist es nicht seltsam,« begann ich, »daß ich, der Zeitungsschreiber, mich von Ihnen, geehrtester Herr, belehren lassen müßte, wenn ich mich in Hinsicht auf die neuesten Weltbegebenheiten au fait setzen wollte? Ich habe es mir während meines Aufenthaltes auf dem Lande zum Prinzip gemacht, nie eine frische Zeitung in die Hand zu nehmen. Der Geruch der Druckerschwärze und des feuchten Papiers fällt mir zu beängstigend auf die Brust, affiziert allzu sehr meine Nerven.«

      Der Pfarrherr machte sich so breit als möglich auf dem Halbmonde, breitete seine Rockflügel aus, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, durch welches er einen Blick von mir nach dem Blatte, auf welchem er saß, parieren wollte.

      »Ah!« rief ich, auf die Vignette des uns so freundlich zugetanen Blattes, welches zwischen den Schenkeln Seiner Hochehrwürden verräterisch und heimtückisch vorlugte, zeigend – »ah, wie ich sehe, halten auch Sie, Herr Pastor, den Halbmond! Sehr tüchtiges Blatt – viel Gesinnung – sehr respektables Blatt, bis auf die Halluzination meines geehrten Freundes, des Redakteurs, mich und den Doktor Weitenweber für Israeliten zu halten. – Ehe ich es vergesse, Herr Pastor, was macht die Schweinezucht in dieser Gegend? Der Herr, welcher die statistische Kolumne unsrer Zeitung besorgt, hat mich beauftragt, ihm eingehende Notizen darüber zukommen zu lassen. Auch wir widmen uns mit Eifer und Freude diesen materiellen Fragen der Zeit.«

      »Da ist meine Frau!« rief aufatmend der Pfarrherr, wie ein begnadigter Verdammter, der in dem Pechsee des achten Gesanges der Danteschen Hölle gesteckt hat. Widerstrebend ließ ich mein Opfer fahren und erhob mich mit einer demütigen Verbeugung, während welcher der Oberprediger schleunigst den Halbmond beiseite schaffte.

      »Eine große Ehre und

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