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      Meine langen Abwesenheiten von der Arbeit sind immer schwieriger zu erklären. Zuerst haben sie mir Bescheinigungen vom Gericht ausgestellt, dass ich als Geschworene bereitzustehen habe. Ich darf nicht darüber sprechen, das hat jeder der Kollegen sofort akzeptiert. Wenn die dich mal in den Fängen haben, kommst du nicht mehr raus, sagten sie und meinten die Justiz. Schöffe, Geschworener. Das glaubt mir doch inzwischen keiner mehr, sagte ich nach zwei Jahren zu ihm, und er reagierte. Krankenstände, Arztbestätigungen. Meine Arbeit blieb liegen. Keine Laborarbeit, keine Studien, keine Publikationen.

      Sie wollten mir die Leitung der Studie entziehen, die ich auf die Beine gestellt hatte.

      Das ist mein Forschungsbereich, sagte ich zum Professor. Meine Expertise. Das Thema gibt es überhaupt nur, weil ich an der Uni bin. Ohne meine Initiative gäbe es keine Förderungen, sagte ich ihm.

      Sie können weiter mitarbeiten, sagte der Professor. Ich werde den Kollegen Harreiter damit betrauen.

      Harreiter, sagte ich, den habe ich ausgebildet. Der ist noch lange nicht so weit.

      Das entscheide ich, sagte der Professor.

      Mein Sessel war noch da, als ich an einem Sonntag in die Uni kam, aber Harreiter hatte demonstrativ sein Familienfoto auf meinen Schreibtisch gestellt. Ich ließ es in den Mistkübel fallen, es zerbrach. Meine Unterlagen holte ich aus einer Kiste, die in der Ecke stand.

      Die Kollegen ignorierten mich. Wenn die Aufgaben für neue Studien verteilt wurden, hieß es nur, wer weiß, ob du dann überhaupt da bist. Ich konnte nicht einmal widersprechen, ich wusste es selbst nicht. Ich wurde nicht mehr auf Firmenfeiern eingeladen und nicht mehr gefragt, ob ich in die Kantine mitgehe. Wenn ich ein paar Tage nicht mehr in der Arbeit erschien, fragte niemand mehr, was ich gemacht habe. Ich war bald die Unsichtbare.

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      Nach der Arbeit fahre ich mit der Straßenbahn in die Lerchenfelder Straße. Entlang der Straße ist eine Allee, Sitzbänke überall zwischen den Baumreihen. Autos gibt es hier in der Innenstadt schon lange keine mehr. Die Mietpreise sind unerschwinglich. Aber wer sagt, dass sie nur arme Leute ausgesucht haben. Ich setze mich auf die Bank schräg vor dem Haus und warte. Ein paar Leute gehen aus und ein. Ich werde sie nicht erkennen. Ich gehe zur Tür, suche das Türschild. »Hauser« steht da. Die Haustür ist offen, ich gehe hinein bis an die Wohnungstüre und läute.

      Aus der Wohnung höre ich Schritte näherkommen. Schlurfen. Kein gutes Zeichen, denke ich. Langsames Hantieren an den Schlüsseln. Die Tür geht nur einen Spaltbreit auf.

      Ja, eine alte Frau sieht mich fragend an.

      Frau Hauser, frage ich

      Ja, sagt sie noch einmal.

      Das tut mir leid, sage ich, da habe ich mich jetzt in der Tür geirrt.

      Die alte Frau schließt die Tür ohne ein Wort.

      Vor dem Haus hole ich die Liste aus der Jackentasche und hake die erste Adresse ab.

      Arbeit macht frei, schreit ein Mann, der auf der Treppe zur U-Bahn sitzt. Arbeit macht frei! Er fixiert einzelne Passanten und brüllt ihnen entgegen. Nachdenken! Nachdenken! Arbeit macht frei!

      Es ist schon finster, als ich aus der U-Bahn beim Westbahnhof steige. Es sind sehr viele Menschen unterwegs, sie rempeln mich an, steigen mir zwischen die Füße, drängen mich an die Hausmauer. Ich atme erleichtert auf, als ich endlich die Äußere Mariahilfer Straße erreicht habe. Nach zehn Minuten stehe ich vor dem Haus, das bei mir auf der Liste die Nummer zwei trägt. Ich läute. Niemand reagiert. Ich läute ein zweites Mal. Ich lehne mich an die Hausmauer und warte. Ich spiele im Geiste verschiedene Möglichkeiten durch, wie ich sie ansprechen und herausfinden könnte, ob sie Teil des Programms ist.

      Ich bin ein Marsmensch. Sie auch?

      Sagt Ihnen Star City zufällig etwas?

      Phobos und Deimos? Wenn sie auf den Mars fliegen will, wird sie wohl die beiden Marsmonde kennen. Eine gute Frage, denke ich. Unverfänglich, aber direkt.

      Endlich kommt jemand, ein Mann öffnet die Tür. In dem Moment geht das Licht im Stiegenhaus automatisch aus.

      Herr Hauser, frage ich.

      Ja, fragt er. Ich kann ihn kaum sehen, in der Wohnung ist es auch finster.

      Was soll ich jetzt bloß sagen, warum habe ich denn überhaupt ihn gefragt?

      Ist Zoe Ihre Frau?

      Wer will das wissen, fragt er nicht unfreundlich.

      Oh, entschuldigen Sie, sage ich. Ich warte auf Ihre Frau, ich muss sie dringend sprechen.

      Und Sie sind, fragt er noch einmal und hält mir schon die Türe auf. Ich trete aus dem dunklen Stiegenhaus in seine Wohnung.

      Elsa, sage ich. Elsa Noah.

      Noah. Wenn er eingeweiht ist, wird er jetzt Verdacht schöpfen. Aber mir ist nichts anderes eingefallen. Ich ärgere mich, dass ich nicht besser vorbereitet bin.

      Frau Noah, sagt er, dann kommen Sie einmal mit, meine Frau wird in einer Viertelstunde zu Hause sein. Ich mache Ihnen in der Zwischenzeit einen Kaffee. Beim Gehen macht er mit einer Handbewegung das Licht an.

      Ich folge ihm in die kleine Küche, die wie aus der Zeit um 1900 wirkt, als die Küchen zugleich Badezimmer waren. Die Badewanne versteckt sich hinter einem schlampig zurückgeworfenen Duschvorhang.

      Sie entschuldigen, sagt er. Aber wir haben zur Zeit etwas Chaos.

      Er sieht mir erstmals in die Augen und erstarrt.

      Was, frage ich.

      Frau Noah, sagt er. Meine Frau wird Sie bestimmt sehen wollen.

      Ich nicke.

      Er starrt mich noch unverschämt lange an, dann verlässt er den Raum.

      Ich sehe mich um, ob es Anzeichen für Kinder gibt. Spielsachen, Badeente, Kinderschuhe. Ich kann nichts entdecken.

      Kaffee bekomme ich wohl eher keinen, denke ich, als er gerade wieder zurückkommt.

      Es ist alles wie um die Jahrhundertwende, sagt er und fixiert mich wieder so eigenartig, aber meine Frau will nicht umbauen. Ihr gefällt das so. Und die anderen Zimmer sind sehr groß und haben viel Licht. Das braucht sie.

      Ja, das verstehe ich, sehr nett, sage ich.

      Sie entschuldigen mich kurz, sagt er, während er mir eine Tasse Kaffee aus der Maschine macht und hinstellt, aber ich muss noch rasch ein Telefonat führen.

      Ich versuche mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Ich stelle mir vor, wie das Gespräch verlaufen wird.

      Wir kennen uns nicht, oder, wird sie fragen.

      Nein, Elsa, nein, werde ich sagen. Elsa Noah.

      Sie wird meine Hand zum Gruß nehmen. Meine Hand wird zu schwitzen beginnen, und ich werde hoffen, dass sie sie endlich wieder loslässt.

      Sagt Ihnen Phobos und Deimos etwas, werde ich vorsichtig fragen.

      Sie wird überlegen.

      Die griechischen Figuren oder Comicfiguren, oder sind das nicht irgendwelche Planeten? Keine Ahnung, was meinen Sie damit, wird sie fragen. Ihr Mann wird an der Türschwelle lehnen.

      Sie wird mich erwartungsvoll ansehen.

      Ich bin auf der Suche nach einer Zoe Hauser, werde ich sagen, die mit dem Weltraum zu tun hat. Könnte ich da bei Ihnen richtig sein?

      Mit dem Weltraum? Sie wird lachen. Mit dem Weltraum habe ich nichts zu tun, ich habe genug Chaos auf dieser einen kleinen Welt!

      Ich werde aufstehen und versuchen, ohne weitere Befragung aus der Wohnung zu kommen. Sie wird sagen, jetzt haben Sie nicht einmal Ihren Kaffee ausgetrunken.

      Sie wird mich zur Tür bringen, und ihr Mann wird uns nur ein Stück im Flur begleiten.

      Ja,

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