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Sie daran, sagte er.

      Ich nickte nur, sah ihn zur Strafe aber nicht an. Ich halte diese Einsamkeit hier nicht mehr aus. Mein Leben ist eine einzige Isolationsstudie.

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      Wieder ein Test. Transhab, der Prototyp eines aufblasbaren Habitats. Es verändert sich nach Ihren Wünschen, wir müssen dafür Ihre Gehirnströme messen. Wenn Sie viel Platz brauchen, macht es Fläche frei, wenn Sie es lieber gemütlich haben wollen, zieht es sich zusammen. Wenn Sie Anregung brauchen und Kommunikation, ergreift Transhab die Initiative. Wir brauchen doch keine Depressiven da oben, nicht wahr, sagt er.

      Das ist Constance, sagt er. Die Konstrukteurin. Sie werden von ihr noch eingewiesen. Eine viel beschäftigte Frau, sagt er. Eine Ehre, dass sie sich extra Zeit für Sie nimmt.

      Aha, sage ich. Danke. Und danke, dass ich mir so viel Zeit nehmen darf, denke ich.

      Ihr Vater, sagt er.

      Was ist mit meinem Vater, frage ich.

      Falls Sie noch Zweifel haben sollten, sagt er.

      Sollte ich denn Zweifel haben, frage ich ihn.

      Keineswegs, sagt er. Aber mir kam nur zu Ohren, dass Sie sich nicht voll in die Versuchsreihe einbringen.

      Doch, ich bin hochmotiviert, sage ich. Aber was hat das mit meinem Vater zu tun?

      Ihm soll doch die beste Pflege angedeihen, sagt er.

      Angedeihen, sagt er. Was haben Sie denn mit meinem Vater zu tun, frage ich. Mein Vater wartet seit Monaten auf einen freien Platz in diesem speziellen Pflegeheim. Mir wurde nur gesagt, die Warteliste sei unglaublich lang.

      Wartelisten sind kein Gesetzbuch, sagt er. Wir unterstützen Sie, wo es nur geht. Das sollten Sie nicht als selbstverständlich ansehen.

      Das tu ich nicht, sage ich unterwürfig.

      Na also, sagt er. Dann strengen Sie sich für uns alle ein bisschen mehr an.

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      Im Schlaflabor. Endlich eine angenehme Aufgabe.

      In den nächsten Tagen, sagt er, ist Ihre einzige Aufgabe, sich hier zu entspannen. Schön, sage ich. Ich will motiviert erscheinen.

      Auf dem Mond wäre der Rhythmus ein Problem: Dort ist es 14 Tage hell und 14 Tage Nacht. Aber auf dem Mars werden wir einen 24-Stunden-Rhythmus haben. Wenn ich aus dem Fenster sehen werde, werde ich zwei Monde sehen: Phobos und Deimos. Es ist nur ein winziges Detail, aber genau darauf freue ich mich schon.

      Worum geht’s denn, frage ich ihn.

      Wenn wir Ihnen das verraten, hat das Experiment keinen Sinn mehr, sagt er.

      Drei Tage, frage ich.

      Drei Tage, sagt er.

      Mit Schrecken denke ich an die Bettruhe-Studie zurück. Drei Monate habe ich im Bett ausharren müssen. Mit Ihrem Arbeitgeber ist alles geklärt, hat er gesagt. Sie sind bei einer Studie unabkömmlich.

      Stimmt ja auch, habe ich geantwortet.

      Erst kommt der Schmerz in den Beinen, dann im Kreuz, dann schmerzen sogar die Haare, die ständig auf dem Polster aufliegen. Vierundzwanzig Stunden allein in einem kleinen Raum. Die Tür zum Gang offen. Gott sei Dank. Hektische Betriebsamkeit am Gang. Die Masseurin. Der Mann mit den Zeitungen und Büchern. Die Ärzte. Blutdruck, Fettgehalt, Zucker, Urin, alles automatisch, Datenleitung direkt ins Chefarztzimmer. Der Psychologe. Die Krankenschwester mit dem Essen, dem frischen Jogginganzug. Die Körperpflegerin. Die Fitnesstrainerin. Meine Übungen. Jeden Tag genau nach Plan. Geht es darum zu sehen, ob ich durchhalte? Ob ich durchdrehe? Ob ich hysterisch werde? Oder geht es darum, wie sehr mein Körper abbaut?

      Im Bett. Das ist die einzige Möglichkeit für uns auf Erden, sagte er, dauerhaft Schwerelosigkeit zu simulieren. Am Anfang muss man sich ständig gegen den Drang wehren, sich aufzusetzen. Der Körper schreit danach, sich aufrichten zu dürfen. Nach ein paar Wochen hat er aufgegeben, zieht nicht mehr nach oben, drückt schwer ins Bett. Was habe ich mir alles vorgenommen. Drei Monate! Was man da alles erledigen kann. Ich habe mir die Klassiker, die seit Jahren unangetastet in meinem Regal stehen, mitgenommen. Tolstoi, Bernhard, Kafka, Mann. Endlich werde ich Zeit haben, alles zu lesen! Ich werde jeden Tag drei Stunden lesen, zwei Stunden meine Mails erledigen, zwei Stunden an neuen Projekten arbeiten. Ich werde mit tollen Ideen in die Arbeit zurückkommen. So war der Plan. Dann war alles anders. Die ersten Tage war ich zu aufgewühlt, um in Ruhe zu lesen. Dann dehnte sich die Schwere von meinem Körper in meinen Kopf aus. Ich nahm ein Buch zur Hand und verspürte keinen Drang, es zu lesen. Es war einerlei, was darin stand.

      Sie lesen nicht, stellte der Psychologe fest.

      Nein, sagte ich. Ich habe keine Lust.

      Was denken Sie, warum Sie keine Lust haben, fragte der Psychologe.

      Ich bin zu müde, sagte ich.

      Müde wovon, fragte er.

      Ich starrte nur in den Gang und gab ihm keine Antwort. Er machte sich Notizen.

      Die Astronauten, sagte er, die Tür schon in der Hand, sagen, sie fühlen sich in der Schwerelosigkeit wie zu Hause. Sie können sich schon nach ein paar Tagen nicht einmal mehr daran erinnern, wie es war, als die Schwerkraft den Körper nach unten gezogen hat. Ins All zu gehen, ist wie zurückzukehren. Zurückzukehren zu einem ursprünglichen Zustand. Man schwebt wie ein Fötus im Bauch der Mutter. So ist die Schwerelosigkeit. Sagen sie.

      In den folgenden Nächten schlief ich noch schlechter. Ich träumte davon, in einer riesigen Höhle zu schwimmen. Ich hatte Blei an den Armen hängen. Es zog mich aber nach oben, immer tiefer in die dunkle Welt. Alles stand auf dem Kopf, ich wusste, ich musste nach unten, unten gab es Sauerstoff. Ich bekam keine Luft mehr. Ich bäumte mich noch im Schlaf auf. Saß aufrecht im Bett. Darüber erschrak ich noch mehr als über meinen Traum.

      Im zweiten Monat fühlte ich mich besser. Ich hatte eine seitliche Stellung entwickelt, in der ich bequem lesen konnte, ohne dass mir der Arm einschlief. Und ich konnte beim Lesen wieder Sinnzusammenhänge herstellen. Ich dachte natürlich auch darüber nach, was sie von mir wollten. Ob sie meine soziale Kompetenz, meine Kommunikationsfähigkeit testeten. Ich bemühte mich, Beziehungen zu einigen der Betreuer herzustellen. Verwickelte sie in Gespräche, heiterte sie auf, gab die Gutgelaunte. Möglicherweise war das aber gar nicht gewünscht. Vielleicht suchten sie Einzelkämpfer, die in jeder noch so belastenden Situation in sich ruhen und sich von niemandem beeinflussen lassen.

      Seien Sie einfach Sie selbst, sagte er immer.

      Doch wer bin ich selbst, fragte ich mich.

      Im dritten Monat wurde ich euphorisch. Nur noch vier Wochen, nur noch drei Wochen, zwei Wochen. Der Countdown.

      Was würden Sie sagen, fragte der Psychologe, wenn wir den Versuch noch zwei Monate fortsetzen?

      Es war wie ein Stromschlag. Die Haut auf meinem Kopf brannte bis in den Nacken hinunter.

      Kein Problem, sagte ich.

      Danach durfte ich nach Hause fahren.

      Im Schlaflabor wird sicher alles besser.

      Ich brauchte Wochen, um wieder alle Muskeln unter Kontrolle zu bekommen. Gehen zu können fühlte sich unglaublich an. Im Sitzen zu trinken und zu urinieren. Den Wind in den Haaren und auf den Ohren zu spüren. Noch einmal würde ich eine Bettruhestudie nicht mitmachen.

      Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt. Wir kämpfen unser ganzes Leben gegen sie an. Wenn wir geboren werden, kostet es uns enorme Kraft, unseren Kopf aufzurichten. Die Schwerkraft zieht uns wie Blei nach unten, wir bekommen zuerst Kreuzschmerzen, dann beginnt unsere Haut zu fallen, und schließlich schaffen wir es nicht mehr, lange Strecken zu gehen. Am Ende siegt die Schwerkraft, wir liegen im Bett und ergeben uns. Über alles denken wir nach, nur

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