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ist es, die uns umbringt.

      So muss sich Eva gefühlt haben. Sie war die erste Frau auf einem neuen Planeten. Vielleicht stimmt die Geschichte aus der Bibel, und Adam und Eva waren die ersten Siedler. Sie kamen von einem anderen Stern und sollten auf dem blauen Planeten eine neue Bevölkerung begründen. Die Bibel hat vielleicht nur etwas verkürzt, in Wirklichkeit war eine ganze Gruppe von Siedlern da. Wäre doch auch viel logischer. Nicht jeder kann von sich behaupten, er sei Eva. Ich könnte es von mir behaupten, aber erstens darf ich es niemandem sagen und zweitens interessiert es auch niemanden.

       Notiz 2

      Shannon Lucid war im ersten Astronautenteam der NASA, zu dem auch Frauen zugelassen wurden. Sie verbrachte insgesamt 188 Tage im All und hält damit den Rekord für Astronautinnen: Auf der russischen Raumstation MIR war sie mit zwei Männern, die beide Juri hießen. Juri und Juri mussten einen Außenbordeinsatz, einen sogenannten EVA machen. Shannon sollte alleine an Bord bleiben. Bevor die beiden Männer ins All ausstiegen, verdeckten sie mit einem roten Tuch alle Knöpfe im Kontrollzentrum, die Shannon Lucid absolut nicht berühren durfte, während sie draußen waren.

      3

      Der Flieger nach Moskau ist nicht voll, nur jeder zweite Sitzplatz ist besetzt. Die Frau am Gangplatz schaut dauernd zu mir her. Oder versucht sie aus dem Fenster zu schauen? Nein, ich habe mich nicht getäuscht. Sie fixiert mich und rückt einen Sitz näher. Ihre Lippen sind tiefrot gestrichen, ihr Lidschatten zu dunkel. Entschuldigung, sagt sie.

      Ich drehe mich zu ihr, ohne mein Buch abzulegen und schaue langsam auf. Ist die Strahlung am Fenster größer, was glauben Sie, fragt sie mit aufgerissenen Augen.

      Keine Ahnung, sage ich.

      Diese Maschine ist Nummer eins auf der Liste der Abstürze, sagt sie.

      Da kann ich Sie beruhigen, sage ich. Wenn Sie den Weg mit dem Auto zum Flughafen überlebt haben, haben Sie den gefährlichsten Teil der Strecke schon hinter sich. Das zeigen alle Statistiken.

      Ach, sagt sie, das ist gut, und lehnt sich zurück. Doch dann fährt sie noch einmal hoch und sagt: Gilt das auch für den Weg vom Flughafen nach Hause?

      Ich sehe sie an und sage nichts.

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      Am Flughafen steht ein Mann mit einem Schild, auf dem »Star City« und mein Name stehen. Sternenstädtchen. Ich folge ihm, ich bin allein. Ich hatte gehofft, diesmal jemanden kennenzulernen. Der Fahrer legt mein Gepäck in den Kofferraum. Er deutet es zumindest an. Er lässt mich den Koffer hochheben und hineinlegen, synchronisiert seine Bewegungen mit meinen, greift jedoch erst zu, als der Koffer nur noch hineingeschoben werden muss. Alter Taxifahrer-Trick, der funktioniert wohl überall, denke ich. Ich setze mich ins Auto, er kratzt das Eis weg, das sich in der kurzen Wartezeit auf der Windschutzscheibe gebildet hat. Dann fahren wir los. Er lächelt nicht, er spricht nicht. Wir verlassen die Stadt, nach rund 50 Kilometern fahren wir durch einen Wald, und plötzlich steht vor uns ein großes Tor. Wir sind da. Das Juri-Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrum. Der Fahrer zeigt einen Brief, die Soldaten beraten, bringen den Brief zurück und machen das Tor auf. Der Taxifahrer fährt langsam durch die Allee, biegt bei einem der Blocks ein und bleibt vor der Tür stehen. Er zeigt mit dem Finger zum Eingang, macht aber keine Anstalten aufzustehen. Ich steige aus und nehme meinen Koffer. Der Taxifahrer fährt weg.

      Das ist also Star City. Das sagenumwobene Trainingszentrum. Und ich bin hier.

      Challo, ruft eine Frau. Eine kleine, rundliche Frau mit blonder Kurzhaarfrisur und Stechschritt kommt aus dem Haus.

      Challo, sagt sie und reicht mir die Hand. Willkommen in Swjosdny Gorodok. Ich bin Oberst Irina. Ich freue mich, dass Ihre Reise gut verlaufen ist.

      Danke, sage ich. Ich freue mich, hier zu sein.

      Hier werden Sie wohnen, sagt sie und winkt, dass ich ihr folgen soll.

      Star City war lange eine geschlossene Stadt, heute leben und arbeiten rund 6.300 Menschen hier.

      Sie wohnen im selben Haus wie Dennis Tito, der erste Tourist in der Geschichte der Raumfahrt. Ihr Training beginnt morgen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, Ihr Aufenthalt ist sehr kurz.

      Sind noch andere da, frage ich und weiß in dem Moment, dass es falsch war, das zu fragen.

      Oberst Irina sieht mich scharf an und sagt, oberste Geheimhaltungsstufe. Sie wissen! Und schüttelt den Kopf.

      Ich hole Sie morgen ab, 0600, sagt sie und geht. Mein Zimmer ist einfach, aber sehr sauber. Ich ziehe mich aus und lege mich ohne zu duschen sofort ins Bett. Ich drehe mich hin und her, sie haben mir nicht gesagt, was auf mich zukommt.

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      Als Oberst Irina an meiner Zimmertür klopft, sitze ich schon an dem kleinen Tisch und warte, bis sie kommt. Das war schon als Kind so. Immer wenn ich Angst vor dem nächsten Tag hatte, konnte und wollte ich nicht schlafen. Im Schlaf vergeht die Zeit so schnell, und ich wollte den Moment des Schreckens weit, ganz weit hinauszögern. Deshalb sitze ich schon seit vier Uhr im Finsteren an diesem Tisch.

      Oberst Irina nickt zufrieden, Lächeln entkommt ihr keines. Ich folge ihr still. Wir verlassen das Gebäude und gehen ein Stück durch Star City in einen anderen Block. Oberst Irina öffnet Türen und wandert durch Gänge, ich bin mit zwei, drei Metern Abstand hinter ihr. Wir stehen vor einer riesigen Halle und schauen durch ein Fenster hinein.

      Das ist die größte Zentrifuge der Welt, sagt Oberst Irina. Hier müssen alle Kosmonauten durch. Wenn es gesundheitliche Probleme gibt, werden sie hier aufgedeckt. Sie haben einen Termin um 1100. Bis dahin wird sie Doktor Morokov untersuchen und für die Zentrifuge vorbereiten.

      Elf Uhr. Ich trage einen Kosmonautenanzug, meine Haare sind streng zusammengebunden. Unter dem Anzug bin ich an Dutzende Messgeräte angeschlossen, ich kann mich nicht bewegen, die Gurte sind fest angezogen. Die ersten Umdrehungen spüre ich ganz leicht, doch dann beginnt meine Haut aus dem Gesicht zu fliegen, meine Gedärme wandern aus meinem Körper und mein Herz setzt aus. Ich denke an ein Karussell auf dem Spielplatz bei meiner Großmutter. An das Gefühl, dass meine Beine abheben und die Büsche rundherum zu fliegen beginnen. Ich kreischte damals, bis mir die Kraft ausging. Doch das Karussell hielt nicht an, es drehte sich immer schneller und schneller. Meine Hand begann sich von der rostigen Stange zu lösen. Ich flog in hohem Bogen auf den Schotter und holte mir blutende Wunden. Wow, sagte ich damals und wollte es gleich noch einmal versuchen. Aber ich musste genäht werden, und dann waren die Ferientage bei meiner Großmutter vorbei. Nur nach innen schauen, sage ich mir. Bald ist es vorbei. Das haben schon 300 Kosmonauten vor dir ausgehalten. 300 hat Oberst Irina gesagt. 300 sind eigentlich nicht sehr viel. Zählen Sie, befiehlt mir eine Stimme. 300, 301, 302, 303 … meine Zunge ist ganz dick, es fällt mir schwer, deutlich zu sprechen, ich bekomme keine Luft. Wie lange das wohl dauert. Lösen Sie die Aufgaben, befiehlt die Stimme. Ich drücke die Tasten, die auf dem Monitor vor mir aufscheinen. Ich spüre meine Zähne, vielleicht fallen sie aus dem Gebiss, meine Augäpfel wollen aus den Augenhöhlen springen, wieso ist mitten in der Zentrifuge ein Strand, ein wunderschöner Sandstrand, ich atme auf, die Luft ist heiß und feucht, das kann nicht sein, nein, bleib doch, er verschwindet wieder, ganz langsam, meine Zähne kommen wieder zurück, meine Haut entspannt sich, die Zentrifuge wird langsamer. Ich versuche aufzustehen, ein Techniker sagt, ich soll noch sitzen bleiben, sie müssen mich erst abkabeln. Ein Mann bringt mich auf mein Zimmer. Ich schlafe erschöpft ein.

      Oberst Irina holt mich ab. Wir müssen ein Stück durch Star City gehen.

      Ein weißer Wagen fährt an uns vorbei, bremst, bleibt ein paar Meter vor uns stehen. Oberst Irina deutet mir, hier zu warten.

      Sie läuft zum Auto, aus dessen Fenster ein winkender Arm hängt. Wie ein Winkerkrebs, denke ich.

      Oberst

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