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Fahrer startet los, bleibt noch einmal stehen und fährt dann weiter.

      Das war der erste Kommandant der Internationalen Raumstation, sagt sie und lächelt noch immer. Bill.

      Wir gehen beim Juri-Gagarin-Denkmal vorbei. In Schrittstellung und in Arbeiterkluft steht er hier in Bronze gegossen. Ich wundere mich, dass er nicht im Kosmonautenanzug abgebildet wurde.

      Wenn die Crew ins All fliegt, sagt Oberst Irina, dann legt sie Blumen zum Monument von Juri Gagarin und trägt sich in das Memorial Book ein.

      Wenn die Kosmonauten zu spät zum Training kommen, sagt sie, müssen sie die ganzen 15 Kilometer rund um die Sternenstadt laufen.

      Oberst Irina gibt sich Mühe, eine gute Fremdenführerin zu sein. Das Sternenstädtchen ist zu einem Dienstleistungszentrum geworden für die Raumfahrt. Es ist nur eine Frage des Preises, ob man hier trainieren und Tests machen kann. Doch die Sowjetzeiten sind noch in ihren Körper eingeschrieben. Der militärische Habitus und der Befehlston in ihrer Stimme tun sich noch schwer mit ihrer serviceorientierten Freundlichkeit.

      Werde ich das Ergebnis des Zentrifugen-Tests erfahren, frage ich.

      Ich bin nicht befugt, Ihnen das mitzuteilen, sagt Oberst Irina und beschleunigt ihren Schritt.

      Wir gehen bei der Betriebskantine vorbei. Der Duft von Essen kriecht in meine Nase, mein Magen beginnt zu knurren. Sie führt mich in einen kleinen Gastraum, auf dem Tisch steht ein Teller mit dampfendem Essen.

      In einer Stunde hole ich Sie wieder ab, sagt sie.

      Nach zehn Minuten bin ich mit dem Essen fertig. Ich könnte noch einen Spaziergang machen, denke ich und will die Tür öffnen. Ich bin eingesperrt. Die Tür hat kein Schloss, sie muss automatisch versperrt worden sein. Jetzt erst bemerke ich, dass der Raum keine Fenster hat. Vielleicht ist das ja auch ein Test. Ich setze mich wieder und versuche ruhig zu bleiben. Was kann ich schon tun. Ich muss eine Dreiviertelstunde warten, dann wird sie mich holen. Ich lege mein Ohr an die Tür, kein einziges Geräusch ist zu hören.

      Als Oberst Irina die Tür öffnet, sitze ich mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und schlafe.

      So, sagt sie nur. Ich springe auf.

      Jetzt Belastungstests und morgen Tauchgang, sagt sie.

      Die Belastungstests kenne ich schon, es sind dieselben wie zu Hause. Der erste von drei Tagen ist vorbei.

      Als Oberst Irina am nächsten Tag um 6 Uhr in der Früh klopft, öffne ich ihr die Tür. Ich sage Guten Morgen.

      Guten Morgen, erwidert sie. Heute Tauchgang.

      Wir gehen wieder durch das Sternenstädtchen. Oberst Irina ist schweigsam. Sie bleibt vor einem Gebäude stehen und sagt, ich soll hineingehen. Sie muss weiter. Heute viel Ärger, sagt sie und erschrickt über ihre Offenheit.

      Alles Gute, sage ich und gehe in das Haus.

      Ein junger Mann will meinen Namen wissen und hakt ihn auf einer Liste ab. Ich muss irgendwie an diese Liste kommen. Das sind sie, alle Namen. Der Mann, keine 20 Jahre alt, muss meine Gedanken gelesen haben, denn sofort nimmt er die Liste, steckt sie in seine Uniform und knöpft die Brusttasche zu.

      Ich bekomme einen Taucheranzug und muss mit einem Tauchoffizier drei Stunden Übungen im Trockenen machen, bevor er mich ins Wasser lässt. Ich soll eine Luftschleuse in die Internationale Raumstation ISS einbauen, in das 1:1-Modell unter Wasser. Das ist ziemlich absurd. Ich werde nie auf der ISS sein. Aber da alle Trainer mit einem derartigen Ernst bei der Sache sind, versuche ich, mein Bestes zu geben. Es sieht ganz einfach aus, unter Wasser dauert die Prozedur allerdings dreimal so lange wie beim Trockentraining. Der Tauchoffizier ist zufrieden mit mir, er klopft mir auf die Schulter, als ich aus dem Wasser steige. Ich lächle ihn an, er lächelt nicht zurück.

      Die denken wohl, alle Frauen sind von Natur aus ungeschickt oder dumm. Das haben wir der Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper zu verdanken.

       Notiz 3

      Als Heidemarie Stefanyshyn-Piper ihren ersten Weltraumspaziergang auf der Internationalen Raumstation ISS machte, führte sie acht Stunden lang fehlerfrei Wartungsarbeiten durch, und dann verlor sie ihre Werkzeugtasche im All. Frauen und ihre Taschen, das war die Nachricht der Woche.

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      Als ich aus der Umkleide komme, sehe ich durch die Glasscheibe den jungen Mann, wie er gerade ins Wasser steigt, um ein paar Runden zu schwimmen. Der offizielle Teil dürfte für heute wohl abgeschlossen sein. Er taucht auf, atmet ein, taucht mit kräftigen Schwimmbewegungen wieder ab. Ich sehe mich um, niemand beobachtet mich. Ich öffne die Tür zur Männergarderobe, auf dem Schild steht etwas, das ich nicht verstehe. Das ist zumindest eine mögliche Ausrede, denke ich, und zugleich weiß ich, dass mir das niemand abkaufen wird. Ich muss die Liste haben. Der Umkleideraum ist leer. Ich muss weiter, in den zweiten Raum. Mein Herz pocht so laut in den Ohren, dass ich nicht hören könnte, wenn jemand zur Tür hereinkommt. Die Uniform liegt auf der Bank. Ich durchsuche sie, das Papier knistert. Ich entfalte das Papier. Alles auf Russisch. Was sonst. Und doch bin ich kurz geschockt. Ich kann das Alphabet, ein paar Wörter, gerade genug, um in der U-Bahn die Stationsnamen schnell genug lesen zu können, bevor sie weiterfährt. Und ich weiß, wie man »Wien« schreibt. Ich suche die Liste ab. Ich sehe russische Städte, japanische, arabische, und da: Wien. Hier steht Wien auf Russisch. BéНa. Mein Name und ein Name direkt daneben. Ich lese wie ein Volksschüler, einen Buchstaben nach dem anderen: Zoe Hauser.

      Ich möchte die Liste am liebsten einstecken. Es sind 50 Namen. Ich habe noch nicht einmal das erste Drittel überflogen, als eine Tür zufällt. Es ist die äußere Garderobentür. Zwei Russen reden miteinander. Der eine lacht. Ich lege mich unter die Bank, ein witzloses Versteck, denn die Bank besteht aus Sprossen mit breiten Abständen. Ein Blick, und sie sehen mich. Aber es gibt kein besseres Versteck. Es ist dumm, sich zu verstecken, denke ich, damit ist die Ausrede hinfällig, dass ich mich in der Tür geirrt habe. Ich krieche wieder unter der Bank hervor. Die Männer bleiben im ersten Raum, die Tür fällt wieder zu. Ich stecke die Liste zurück in die Uniform und schleiche mich hinaus. Ich habe einen Namen. Das verschafft mir ein Hochgefühl. Ich bin nicht mehr allein.

      Der dritte Tag. Oberst Irina klopft ein zweites Mal. Ich bin zu spät. Ein geringschätziger Blick erstickt mein Guten Morgen.

      Cheute letzter Tag, sagt sie mit russischem Akzent. In Simulationsanlage.

      Ich steige in das nachgebaute Raumschiff und warte. Ich muss das Raumschiff landen. Das liebe ich. Schon als Kind spielte ich im Urlaub in den Spielsalons an der Strandmeile mit Computersimulationen. Wo ist die Kanone, dachte ich. Erhöhte Aggressionsbereitschaft wäre sicher ein Grund, mich aus dem Programm auszuschließen. Ich hätte sie alle abgeknallt. Rundherum. Mit dem größten Vergnügen. Cheute letzter Tag, wiederhole ich wie einen Rap, während ich die Kiste in der vorgeschriebenen Zeit lande. In diesen Dingen bin ich wirklich talentiert. Sie sollten mich als Pilotin einsetzen.

      Derselbe Taxifahrer steht vor der Tür. Noch einmal mache ich den Trick mit dem Koffer nicht mit. Ich lasse den Koffer an der Treppe stehen, er steigt seufzend aus und hievt ihn in den Kofferraum. Der Rückflug geht schnell. Ich kann es kaum erwarten, zu einem Internetanschluss zu kommen, um sie ausfindig zu machen.

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      Man sollte sie nicht unterschätzen. In Wien gibt es 12 Zoe Hauser. Vielleicht war es ein Umlaut. Und es gibt 9 Zoe Häuser. Das sind zu wenige, um die Hoffnung aufzugeben, und zu viele, um an sie heranzukommen. Was weiß ich über sie? Sie muss jung sein. Sie hat vermutlich keine Kinder. Ich glaube nicht, dass sie Frauen mit Kindern auswählen. Sie müsste ihre Kinder zurücklassen. Andererseits werden sie gebärfähige Frauen brauchen. Und was ist ein besserer Beweis für die Gebärfähigkeit, als Kinder zu haben? Ich drucke die Liste mit den Adressen aus und stecke sie ein.

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