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ohne Namensschilder in eine große, polierte Steinplatte eingelassen waren.

      Herta ging hinüber zu dem offenen Öfchen, plauderte ein bißchen mit der Tortilla-Bäckerin, ließ sich einen kleinen Stapel der heißen Fladen einpacken und traf das Mädchen immer noch vor der geschlossenen Eingangstür in der Passage an.

      Herta steckte den Schlüssel ins Schloß und hielt plötzlich inne, weil ihr ein Gedanke kam.

      »Suchen Sie jemanden?« fragte sie auf Deutsch.

      Das angespannte junge Gesicht strahlte auf vor Erleichterung.

      »Ja – ich suche Dona Herta Hersfeld.«

      »Sie haben sie gerade gefunden«, sagte Herta gelassen, »normalerweise empfange ich keine Besuche ohne vorherige telefonische Anmeldung.«

      »Oh, das tut mir leid, ich hatte Herrn Knobel so verstanden, daß ich Sie sofort aufsuchen soll.«

      »Aha. Sie sind also die junge Lehrerin, die sich im Waisenhaus auf mich berufen hat!«

      »Ich bin Katharina Busch«, stammelte das Mädchen, das ein blaues, mit Sternen besätes Kleid trug, »Sie können mich gern Kati nennen!«

      »Na, dann herein mit Ihnen«, sagte Herta und schloß endlich die Tür auf.

      »Es stehen keine Namen an den Klingelschildern«, bemerkte das Mädchen verwirrt.

      »Aus Sicherheitsgründen.«

      »Und Briefkästen gibt es auch keine?«

      »Nein, wir haben Postfächer.«

      »Ich hätte Sie ja nie gefunden«, murmelte Kati, die steinerne Innentreppe hinauf stolpernd, »wenn Sie nicht zufällig gekommen wären!«

      »Nein, gewiß nicht«, bestätigte Herta, »ich habe auch nicht damit gerechnet, daß Sie mich aufsuchen, nur, daß Sie mich anrufen.«

      »Ach wissen Sie, ich habe in meinem Häuschen kein Telefon. Herr Knobel hat Serafina zu mir geschickt mit der Nachricht, ich solle mich so bald wie möglich bei Ihnen melden. Serafina ist die Haushaltshilfe für die ganze Nachbarschaft, sie kennt sich überall aus – sie wußte sogar, wo Sie wohnen.«

      »Kein Wunder«, murmelte Herta, wies ihrem unangemeldeten Besuch einen Rattanstuhl auf der Terrasse an und ging in die Küche, um die Tortillas abzulegen.

      Als sie zwei Gläser und eine Karaffe Orangensaft brachte, hatte Katharian Busch den kleinen Tisch bereits mit einer Zeitung bedeckt.

      »Hier«, sagte sie eindringlich und tippte mit dem Zeigefinger auf ein verschwommenes Foto, »können Sie sehen, um wen es mir geht. Er heißt Miguel. Ich habe ja bestimmt alles falsch gemacht, was man überhaupt verkehrt machen kann, aber ich bin bereit, noch einmal ganz von vorn anzufangen!«

      Herta stellte die Karaffe und die Gläser auf der Terrassenmauer ab und warf einen widerstrebenden Blick auf die vier abgebildeten Kleinkinder. Sie griff mechanisch nach der Brille, die sie an einem goldenen Kettchen um den Hals trug, und beugte sich über das Blatt. Das Baby namens Miguel, soviel sah man gleich, war ein kleiner Indio-Junge, mit kahlem, kugelförmigen Köpfchen und den üblichen Mangelerscheinungen: dünnen Gliedmaßen und unterentwickeltem Knochengerüst.

      »Und was wollen Sie für ihn tun?« erkundigte sich Herta sachlich.

      »Ich möchte mich um ihn kümmern«, erklärte das merkwürdige Geschöpf, dessen Augen mit dem Blau seines Kleides um die Wette leuchteten.

      »Soviel ich weiß, sind Sie als Lehrerin in der deutschen Schule angestellt«, bemerkte Herta, »wann wollen Sie sich da noch um ein bedürftiges Kind kümmern?«

      »In meiner Freizeit«, war die entschlossene Antwort, »ich würde es gern tun – richtig, regelmäßig, zuverlässig – nicht so halbherzig, wie Sie vielleicht befürchten.«

      Herta verkniff sich ein Lächeln.

      »Also das«, sagte sie, ihre Brille absetzend, »befürchte ich eigentlich weniger. Die Schwierigkeit liegt woanders.«

      »Bei Dona Dolores, nicht wahr?«

      »Auch. Vor allem aber an den Regeln, den Vorschriften, den ganzen Strukturen, die einem Waisenheim zugrunde liegen. Wir können uns nicht einfach darüber hinwegsetzen, nur weil wir aus Europa kommen und anderes gewöhnt sind. Es ist nicht einmal gesagt, daß unsere Sicht der Dinge die einzig wahre ist.«

      »Das will ich auch gar nicht behaupten«, ereiferte sich Kati, »ich will auch keine Kritik üben. Ich will ja nur diesem kleinen Jungen etwas von dem geben dürfen, das er sichtlich braucht: Wärme und Zuneigung. Wenn Sie mir sagen, das ist nicht möglich, weil keine Ausnahmen gemacht werden können – gut, dann kümmere ich mich eben auch um das halbe Dutzend, das mit ihm zusammen ist. Hauptsache, ich komme an ihn heran!«

      »So leicht, wie Sie sich das vorstellen, lassen sich solche Pläne nicht verwirklichen«, sagte Herta Hersfeld mit Nachdruck, schlug die Zeitung zu und stellte die beiden Gläser auf den Tisch, »das gilt nicht nur für die Casa de Santa Monica in Montelindo, sondern für jede Einrichtung dieser Art. Hier jedoch ist man ganz besonders auf der Hut, denn so manches Kind ist spurlos verschwunden in den letzten Jahren, abgesehen von den Säuglingen, die verschachert worden sind. Niemand würde behaupten, daß ein Waisenhaus ein ideales Umfeld ist, was schon daraus hervorgeht, daß Donna Dolores rastlos und unermüdlich nach Eltern für ihre Schützlinge sucht. Aber solange ein Kind in der Casa de Santa Monica ist, wissen wir wenigstens, wo man es finden kann, wie es sich entwickelt, was aus ihm wird. Ein ungewisses Schicksal, das sich jeder Kontrolle entzieht, ist bei weitem das größere Übel. Und nun trinken Sie einen Schluck, Sie sehen ja schon ganz ausgedörrt aus!«

      Kati nickte zerstreut, griff nach dem Glas und leerte es mit einem langen Zug.

      »Aah, das tut gut!«

      »Nur zu! Ich habe noch mehr davon«, sagte Herta belustigt, »wie wäre es mit ein paar Tortillas? Oder sind Sie mit den einheimischen Eßgewohnheiten noch nicht vertraut?«

      »Serafina kocht für mich«, erwiderte Kati, »ob ich will oder nicht. Es ist ihr Job, und sie macht ihn toll. Aber sie hat sich auf deutsche Gerichte spezialisiert, denn sie arbeitet vorwiegend für Deutsche. Deshalb kenne ich die hiesige Küche überhaupt nicht.«

      »Na, dann werden Sie jetzt mal eine kleine Kostprobe bekommen. Tortillas mit Käse. Ich hole sie mir gelegentlich abends unten an der Ecke.«

      »Reichen sie denn für mich mit? Sie haben schließlich nicht mit mir gerechnet«, wandte Kati ein.

      »Wenn nicht, gehen wir hinunter und holen Nachschub«, erwiderte Herta sorglos.

      Es kam selten vor, daß sie mit jemandem in ihrem Apartment aß. Einladungen, die sie regelmäßig vornehmen mußte, um sich zu revanchieren, tätigte sie seit der Aufgabe des Hauses nur noch in einem guten Restaurant. Das hatte den Vorteil, daß man nicht bis zum bitteren Ende ausharren und zu später Stunde noch Kaffee servieren mußte, während sich das Geschirr in der ganzen Küche stapelte und die letzten alkoholisierten Gäste ihre endlosen Lebensgeschichten erzählten.

      Dergleichen hatte Herta auch früher schon gestört, aber mit fortschreitenden Jahren war sie diesem Ausklang einer jeden Abendeinladung in den eigenen vier Wänden zunehmend überdrüssig geworden.

      Wo auch immer sie selbst zu Gast war, gehörte sie stets zu den ersten, die sich verabschiedeten, und da sie schon lange eine Gewohnheit daraus gemacht hatte, zeigte sich niemand mehr befremdet darüber.

      Ausnahmsweise erschien es ihr nicht unangenehm, die Tortillas mit der frisch aus Deutschland importierten Jung-Lehrerin zu teilen, die so überraschend hereingeschneit war.

      Ganz im Gegenteil. Die Gedankengänge der Katharina Busch, so unorthodox sie auch sein mochten, boten sich als Gesprächsthema eher an als das übliche Party-Geschwätz.

      Außerdem, falls man sich dazu durchringen sollte, ihr behilflich zu sein, war es unbedingt erforderlich, sie besser kennenzulernen.

      Gegen acht Uhr, als

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