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vor. Genau das macht mir auf der anderen Seite auch wieder zu schaffen.«

      »Auf welcher Seite?«

      »Also«, begann Kati, holte tief Luft und sprudelte ihre ganze Reaktion auf die Zeitung vom Wochenende hervor, auf die Seite mit den Fotos der ausgesetzten Kleinkinder, die Verzweiflung im Gesichtchen des kleinen Miguel, alles, was ihr so bedrückend erschien.

      Angelika Knobel hörte ruhig zu.

      »Ja, die Probleme dieser Länder lassen sich nicht verbergen«, sagte sie schließlich, »wer hier lebt, wird damit konfrontiert. Viele bringen es fertig, darüber hinwegzusehen. Uns hat das Elend auch immer belastet, von Anfang an.«

      »Was kann man tun?« fragte Kati eifrig.

      »Zunächst einmal darf es nicht nach Einmischung aussehen«, erklärte Frau Knobel eindringlich, »was auch immer man unternimmt – es muß sorgfältig bedacht und abgewogen werden. Die Menschen hier sind außerordentlich empfindlich, und so manche gute Tat kam nicht zustande, weil sie als Besserwisserei aufgefaßt wurde. Im Falle der Kinder, die Ihnen so zu Herzen gehen, wüßte ich auch gar nicht, wo man ansetzen könnte. Warten Sie mal«, Angelika Knobel richtete sich auf und ließ den Blick über die wogende Menge schweifen, »vorhin habe ich Dona Herta gesehen, aber sie scheint schon wieder gegangen zu sein.«

      »Wer ist das?«

      »Eine deutsche Dame älteren Jahrgangs, sozusagen eine Institution in Montelindo. Sie verwaltet sämtliche Hilfsfonds und hat daher eher Zugang zu den verschiedenen Einrichtungen, wahrscheinlich auch zum Waisenhaus. Schade, daß sie schon weg ist. An sie heranzukommen ist schwer, denn abgesehen davon, daß sie viel zu tun hat, ist sie auch sehr zurückhaltend. Nun, vielleicht gelingt es uns trotzdem, sie bei nächster Gelegenheit einmal anzusprechen.«

      Kati nickte, obwohl das alles nicht besonders zuversichtlich klang und die Aussicht, Dona Herta jemals zu Gesicht zu kriegen, eher gering schien.

      Solange warte ich gar nicht, dachte Kati und trank ihren Becher Kokosmilch aus, am Samstag, wenn ich frei habe, kaufe ich ein paar Sächelchen und nehme mir ein Taxi ins Waisenhaus. Es wird ja wohl nicht verboten sein, den Kindern etwas zu schenken.

      Angelika Knobel nahm ihren leeren Teller von der Fensterbank und sah Kati prüfend an, so, als könne sie Gedanken lesen.

      »Die Leiterin des Waisenhauses heißt Dona Dolores«, sagte sie mit einem warnenden Unterton in der Stimme, »man sagt allgemein, mit ihr sei wirklich nicht gut Kirschen essen.«

      Kati rückte verlegen ihr Stirnband zurecht. Was war nur mit ihr los? Seit wann sah man ihr an, was sie dachte?

      Zu ihrer Erleichterung näherte sich vom Büffet her ihr Chef, Erich Knobel, der demonstrativ auf seine Armbanduhr zeigte.

      »Um acht Uhr fängt die erste Stunde an«, raunte er, ein paar Studenten beiseite schiebend, »Angelika, wir gehen! Und Sie, Katharina, nehmen wir mit!«

      *

      »Keine Happy Hour heute«, erklärte Christof, der in seinen pludrigen bunten Baumwollhosen vor seinem Roller auf den Knien lag und mit einem Schraubenzieher hantierte, »es ist zwar Samstag, aber ich habe keine Zeit.«

      »Ich auch nicht«, erwiderte Kati, ihre Blumen im Vordergärtchen gießend.

      »Morgen könnte ich dir eine Fahrt an den Strand bieten«, kam seine Stimme gepreßt unter dem Schutzblech hervor, »vorausgesetzt, daß ich die Mühle heute noch in Schwung bringe.«

      »Nett von dir, vielen Dank, aber ich habe noch jede Menge zu tun.«

      »Hast du kein Vertrauen zu mir?«

      »Doch, aber nicht zu deinem Roller.«

      »Puuuh«, machte Christof und blies sich die Haare aus der Stirn, »ist das heiß heute! Ich gäbe was drum, jetzt ins Meer springen zu können! Oder wenigstens in einen Swimming-Pool. Ich nehme an, du hast eine entsprechende Einladung.«

      »Was für eine Einladung?«

      »Zu einer Pool-Party irgendwo bei deinen Kollegen.«

      »Was du für Ideen hast!« wunderte sich Kati.

      »Also nicht?«

      »Nein, wirklich nicht.«

      Sekundenlang war sie versucht, ihn in ihren Plan einzuweihen, aber dann sah sie davon ab.

      Etwas später, als sie mit ihrer Reisetasche das Haus verließ und zum Taxistand ging, war er mitsamt seinem Roller verschwunden.

      Das Waisenhaus lag im heißen, brodelnden Zentrum der Stadt, wo der Verkehr ins Stocken geriet, weil die Straßen von Menschen wimmelten, wo ahnungslose Fremde sich bedrängt und bedroht fühlten, wo nichts an die hübschen, mit schattigen Bäumen bestandenen Straßen erinnerte, die es im höher gelegenen Stadtteil gab.

      Auch das Waisenhaus hatte absolut nichts gemeinsam mit den freundlichen, ebenerdigen, weitläufigen Anlagen der Deutschen Schule.

      Es war ein würfelförmiger, alter Bau, vormals ein Regierungsgebäude, das an einem großen Platz lag, Tag und Nacht umbrandet vom Kreisverkehr: klapprige Busse, Laster, Motorräder, Taxis und Schrottfahrzeuge aller Art knatterten, qualmten, dröhnten und hupten um die Wette.

      Zwei staubige Palmen flankierten den Eingang, von dessen einstiger Pracht nur noch ein Rundbogen zeugte. Darauf stand in abblätternder Goldschrift: Casa de Santa Monica.

      Kati drückte dem Taxifahrer das Geld in die Hand und schwenkte energisch die Reisetasche, gefüllt mit Babysachen, auf die flachen Stufen der ehemaligen Freitreppe.

      Aufatmend blieb sie stehen und legte sich ihr Sprüchlein auf Spanisch zurecht, als sich das altersschwache Portal wie von Geisterhand öffnete und eine krächzende Stimme sie darauf hinwies, daß die Bushaltestelle sich drei Häuser weiter befinde.

      »Aber ich will nicht zum Bus«, beeilte sich Kati zu versichern, »ich will ins Waisenhaus.«

      »Warum?«

      »Nur einen Besuch machen – ich habe ein paar Geschenke mitgebracht.«

      Ein zerknittertes braunes Gesicht erschien, eine knochige alte Hand streckte sich Kati entgegen.

      »Geben Sie die Sachen her!«

      »Nein«, sagte Kati, hob die Tasche von der Stufe und preßte sie an sich zum Zeichen ihrer Entschlossenheit.

      »Was ist da draußen los, Pilar?« rief eine ungeduldige spanische Stimme aus dem dunklen Hintergrund.

      »Jemand will herein.«

      »Wer ist es?«

      »Eine Dame, eine Fremde —«

      Schritte erklangen, und eine hagere schwarz gekleidete Person unbestimmbaren Alters starrte Kati mißtrauisch aus zusammengekniffenen Augen an.

      »Was wünschen Sie, Senora?«

      »Ich komme von der deutschen Schule«, erklärte Kati, der eine innere Stimme plötzlich zu einer anerkannten Legitimation riet, »wir haben einige Sachen gesammelt für die Kinder hier – mein Spanisch ist leider noch sehr schlecht – entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich nicht richtig ausdrücke.«

      Die schwarz gekleidete Frau im Türrahmen machte eine nervöse Handbewegung. Ihre abweisende Miene wurde um einen Schein freundlicher.

      »Schon gut. Wir haben öfters mit Deutschen zu tun. Falls Dona Herta Sie geschickt hat – eine Wohltäterin unseres Hauses.«

      »Oh, Dona Herta«, wiederholte Kati, sich an den Namen klammernd wie an einen Strohhalm, »und Dona Angelika Knobel und Don Erich…«

      »Kenne ich nicht«, unterbrach die nervöse Person, von der Kati annahm, daß sie die Leiterin des Waisenhauses war, Dona Dolores, vor der Frau Knobel sie gewarnt hatte, »wenn Sie mir jetzt die Spende aushändigen würden – oder brauchen Sie eine Quittung?«

      »Nein, das nicht, aber die Tasche müßte ich wieder mitnehmen.«

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