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lehnte sich zurück und sah angestrengt vor sich hin.

      »Kati«, sagte er schließlich, »frag mich, wieviel Hubraum ein Landrover hat, frag mich, wieviel Sprit ein Motorroller pro Kilometer verbraucht, aber frag mich nicht, welche Chancen dieses Kerlchen hat!«

      Er trommelte mit dem Zeigefinger auf das verschwommene Foto des Kleinkinds namens Miguel Lesanto.

      »Na gut«, gab Kati unwirsch zurück, »dann werde ich es eben anderswo herausfinden.«

      »Warum denn nur?«

      »Weil es mich interessiert. Weil es mir keine Ruhe läßt. Weil es mir wichtiger ist als dein Motorroller und dein Spritverbrauch.«

      Sie zog die Zeitung unter seiner Hand weg und nahm sie an sich.

      »Jeder hat seinen Tick«, murmelte Christof gedehnt, »schon mal was von Toleranz gehört, hm?«

      Kati schwieg.

      »Irgendwie«, sinnierte Christof, »bist du anders als die Mädchen, die ich kenne.«

      »Ach wirklich?«

      »Ja.«

      »Inwiefern?«

      »Du bist schwierig.«

      »Jetzt hör aber auf! Ich bin der unkomplizierteste Mensch, den man sich vorstellen kann!«

      »Hahaha!«

      »Doch, das bin ich. Unkompliziert, jawohl. Aber nicht oberflächlich. Das sind zwei ganz verschiedene Begriffe! Die kann man nicht einfach verwechseln!«

      »Entschuldige bitte, Professora«, sagte Christof belustigt, verwirrt und etwas verunsichert, »Ich bin nur ein ungeschliffener Auslandsdeutscher. Die Feinheiten hat mir niemand beigebracht, oder besser gesagt: ich war nicht besonders erpicht darauf. Meine Mutter hat sich wahrhaftig alle Mühe gegeben«, er lachte, griff nach seinem leeren Glas und stand auf, »aber mein Widerstand war stärker! Na dann, schönen Sonntag! Hast du was Bestimmtes vor?«

      »Nein, nichts Besonderes. Morgen ist mein erster Arbeitstag, da will ich frisch und ausgeruht sein.«

      »Viel Spaß«, lächelte Christof im Hinausgehen, »und laß dich nicht unterkriegen von den Kids!«

      Kati schloß die Tür hinter ihm, legte die Zeitung wieder auf den Tisch, strich sie glatt und vertiefte sich in die Seite mit den Kinderbildern. Miguel war nicht einmal der Jüngste. Aber sein Anblick schnitt ihr besonders ins Herz. Den runden, kleinen Kopf zurückgeworfen, weinte er hemmungslos. Ein Bild der Verlassenheit. Es ging ihr so nahe, daß sie sein verzweifeltes Stimmchen zu hören glaubte.

      Statt mich dermaßen niederdrücken zu lassen, sollte ich etwas unternehmen, dachte Kati, faltete die Zeitung zusammen und packte sie in die bunte Stofftasche, die sie am nächsten Morgen mit in die Schule zu nehmen gedachte.

      *

      Im Vergleich zu den Erstkläßlern, die Kati während ihrer Ausbildung kennengelernt hatte, waren die Sechsjährigen in der Deutschen Schule von Montelindo diszipliniert, aufmerksam und leicht zu lenken. Fremd und scheu fühlte sich keines, denn sie alle hatten bereits den Kindergarten besucht, die Umgebung war ihnen vertraut. Die neue junge Lehrerin erregte Neugier, aber keine Befangenheit.

      Die Lehrpläne schienen keine nennenswerten Problemen zu bieten. Eher schon die Eltern, denen eine fremde junge Person suspekt erschien und die vertraute Erscheinung Angelika Knobels lieber gewesen wäre.

      Aber darüber machte sich Kati kein Kopfzerbrechen. Mit den Kindern würde sie zurechtkommen, davon war sie überzeugt. Sie hatte schon nach den ersten Stunden ein gutes Gefühl, und ihr ausgezeichnetes Namensgedächtnis kam ihr zur Hilfe.

      Mittags, beim gemeinsamen Imbiß, wurde sie von den Knobels einem halben Dutzend Kollegen und Kolleginnen vorgestellt, die nur zum kleinen Teil aus Deutschland stammten, sich jedoch brennend dafür interessierten. Am späten Nachmittag, als Kati ihre bunte Tasche schulterte, um nach Hause zu gehen, hatte sie bereits drei Einladungen zum Abendessen und eine weitere für ein Konzert.

      Um nicht unhöflich zu erscheine, hatte sie überall zugesagt und sich vorgenommen, einen Terminkalender zu führen.

      Die Zeitung knisterte in der Tasche, aber es sollte noch eine Weile dauern, bis Kati eingehend mit jemandem darauf zu sprechen kommen konnte.

      Serafina, bei der sie es am selben Tag versuchte, nickte nur bekümmert vor sich hin und meinte, es sei eine Schande, daß Kinder ausgesetzt würden. Selbst wenn es aus Not geschähe, eine Schande bliebe es trotzdem.

      Soviel sie wisse, fänden nur die wenigsten Aufnahme in einer Familie. Nicht etwa, weil die Leute in Montelindo so hartherzig wären, ganz im Gegenteil. Aber die meisten könnten die Bedingungen nicht erfüllen, die an eine Adoption geknüpft seien. Man müsse ein festes Einkommen nachweisen, eine ausreichend große Wohnung und viele andere materielle Dinge, damit so ein armer Wurm nicht vom Regen unter die Traufe geriete. An diesen gußeisernen Bedingungen scheitere so manches Begehren potentieller Eltern, fügte Serafina traurig hinzu, um sich gleich wieder den Tagesproblemen zuzuwenden.

      »Sie haben ja ihr ganzes Geschirr gespült«, bemerkte sie vorwurfsvoll, »das sollten Sie nicht tun, Senorita!«

      »Nennen Sie mich Katharina«, bat Kati, »und gewöhnen Sie sich daran, daß ich mein Geschirr abwasche, wann immer ich Zeit dafür habe.«

      »Sie sollten sich mit anderen Dingen beschäftigen«, murmelte Serafina kopfschüttelnd, »so, wie die deutschen Männer. Don Christof zum Beispiel«, ihre Stimme klang wohlgefällig, »hat noch nie ein Glas gespült, noch nie!«

      »Don Christof hat auch nie in Deutschland gelebt«, erwiderte Kati kurz, »und wenn er es täte, er würde sich wundern!«

      Den nächsten Vorstoß machte sie bei den Knobels. Nach dem Klavierkonzert in der Aula der Universität, zu dem das gesamte Kollegium eingeladen war, traf man sich in der Mensa, wo auf langen Tischen ein bescheidenes Büffet aufgebaut worden war.

      »Nehmen Sie eine dieser spanischen Omeletten«, empfahl Angelika Knobel, »sie sind mit Bratkartoffeln gefüllt und wunderbar gewürzt, erinnern mich immer an ein deutsches Bauernfrühstück.«

      Kati bediente sich rasch und reichlich.

      Es war fast Mitternacht. Seit einer Ewigkeit hatte sie nichts Vernünftiges mehr zu sich genommen. Taumelnd vor Hunger folgte sie Frau Knobel zu einer tiefen Fensternische.

      »Ja, an die späten Abendessenszeiten in Montelindo muß man sich erst gewöhnen«, bemerkte die Frau des Schulleiters mitfühlend.

      »Kann man das?« fragte Kati zweifelnd.

      Angelika Knobel wiegte schmunzelnd den schmalen Kopf.

      »Wir nicht«, gestand sie, »mein Mann und ich haben jeden Abend um sieben Uhr unsere Hauptmahlzeit, auch dann, wenn wir zu einem großen Essen gehen. Anfangs wußten wir noch nicht, daß ein Abendessen in Montelindo nicht vor elf Uhr serviert wird, obwohl man für acht Uhr eingeladen ist. Das Essen ist der Abschluß einer jeden Abendeinladung. Die Gäste verabschieden sich, sobald sie den letzten Bissen heruntergeschluckt haben, und das geschieht nie vor Mitternacht.«

      »Gut, daß Sie mir das sagen«, murmelte Kati, »von jetzt an esse ich auch um sieben Uhr zu Hause. Ich habe diese Woche noch ein paar Einladungen vor mir, die ich sonst gar nicht überstehen würde.«

      Angelika Knobel lachte.

      »Ich finde, Sie leben sich erstaunlich schnell ein. Keine Magenbeschwerden, keine Kreislaufprobleme. Sie sind eben noch jung und frisch! Beneidenswert!«

      »Warten wir’s ab«, murmelte Kati, deren Magen soeben schmerzlich zu drücken begann, »ich merke schon, daß ich es mir nicht oft leisten kann, stundenlang den Hunger zu übergehen und mich dann so vollzustopfen wie jetzt.«

      »Trinken Sie einen Schluck Kokosmilch«, riet die erfahrene Frau Knobel, »Nichts besänftigt die Magennerven besser. Mein Mann schwört darauf als Schlaftrunk – mit oder ohne einen Schuß Rum.

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