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drehte den verblüfften Miguel auf den Bauch und massierte seinen Rücken.

      »Das machst du doch sehr gut«, bemerkte Christof, »ich weiß gar nicht, was du willst!«

      »Ich will, daß er reagiert. Er ist so teilnahmslos.«

      »Er muß sich erst daran gewöhnen, daß sich jemand mit ihm beschäftigt.«

      »Du hast recht, Christof«, ihre Stimme schwankte ein wenig, »du weißt viel mehr, als du jemals zugeben würdest, was?«

      »Unsinn! Ich bin der letzte, der sein Licht unter den Scheffel stellt. Frag nur meine Mutter.«

      »In diesem Punkt«, sagte Kati nach einer kleinen Pause, »verlasse ich mich lieber auf meine eigene Beobachtung. Willst du etwas trinken? Gesüßten Tee vielleicht?«

      »Soweit bin ich noch nicht«, erwiderte Christof belustigt, »beziehungsweise nicht mehr. Als ich klein war, bekam ich ihn literweise. Du könntest mir einen Kaffee nach deutscher Art anbieten.«

      »Gefiltert, mit Sahne und Zucker?«

      »Genau. Ich zeige dem jungen Mann inzwischen die Papageien.«

      »Wo sind die denn?«

      »Um Punkt fünf Uhr ziehen sie in großen Schwärmen über das Haus. Hast du sie noch nie gesehen?«

      »Nein, aber ich glaube, ich habe sie gehört. Du denkst daran, daß wir vor Einbruch der Dunkelheit im Waisenhaus sein müssen?«

      »Keine Sorge! Nach dem Kaffee fahren wir zurück.«

      *

      Je weiter das Jahr sich seinem Ende näherte, um so schöner wurde das Wetter. Der Himmel präsentierte sich blau und wolkenlos, in der Tageszeitung von Montelindo wurde der Sommer proklamiert. Die Kerzen an den Weihnachtsdekorationen, die in der Schule gebastelt wurde, bogen sich in der Mittagshitze und schmolzen schon, bevor sie angezündet worden waren.

      Nicht wenige Kinder fuhren in den langen Weihnachtsferien mit ihren Eltern nach Deutschland, ebenso wie einige Lehrer. Die Knobels wollten das Jahresende in den USA verbringen, wo ihre Söhne studierten, und Dona Herta hatte eine Einladung der Kinderhilfsorganisation nach Chile angenommen.

      »Sie werden doch hoffentlich allein zurechtkommen, Katharina?« hatte Angelika Knobel gefragt.

      »Kein Problem«, war Katis überzeugte Antwort gewesen, »ich bin doch jetzt schon in Montelindo so gut wie daheim.«

      Für Weihnachten hatte sie große Pläne, sowohl im Waisenhaus wie auch in ihren eigenen vier Wänden mit Miguel.

      Er hüpfte jetzt schon munter auf und nieder, wenn sie ihn auf dem Arm hielt, und sobald er Chico sah, wollte er sich förmlich hinabstürzen.

      Seine Händchen griffen nach allem, was sich ihm entgegenstreckte, seine Äuglein leuchteten auf, wenn sie sich über ihn beugte. Die wilde Verzweiflung, mit der er das Köpfchen zurückwarf und zu schreien begann, überkam ihn nur noch selten.

      Er strampelte inzwischen wie ein Weltmeister, sein kleiner Körper wuchs, streckte und kräftigte sich, und manchmal huschte ein Lächeln über sein Gesichtchen.

      Das war für Kati wie ein Sonnenaufgang.

      Seine Fortschritte an sich waren bereits ein Grund zur Freude. Sie hatten zudem noch den angenehmen Nebeneffekt, daß Dona Dolores sich dem Erfolg nicht verschließen konnte und daraufhin die Zügel etwas lockerte.

      Über die Weihnachtsfeiertage, das hatte sie bereits versprochen, durfte Kati den Kleinen ganz zu sich nehmen, und an Silvester und Neujahr, wenn sie nichts anderes vorhatte, ebenfalls.

      Dafür hatte sich Kati bereiterklärt, Dona Dolores und zwei ihrer Helferinnen mit einer quirligen Gruppe von Vier-bis-Sechsjährigen auf den Weihnachtsmarkt zu begleiten und das gesamte Vergnügen zu bezahlen.

      »Du willst dir wohl unbedingt den Himmel verdienen«, meinte Christof, als er davon erfuhr, und Kati erwiderte kopfschüttelnd: »Nicht den Himmel, nur Miguel!«

      Auch Christof hatte sich mit gesenkter Stimme erkundigt, ob sie sich das zutraue, mit dem Kleinen allein über die Feiertage zu sein – er selbst nämlich fuhr mit ein paar Kollegen ans Meer, und eigentlich hatte er sie bitten wollen, mitzukommen, nur über Weihnachten, natürlich.

      »Vergiß es«, hatte Kati gesagt, knapp und entschieden.

      Die Frage, ob sie allein zurechtkommen würde, ging ihr allmählich auf die Nerven.

      Der Weihnachtsmarkt in Montelindo war eine Mischung aus Jubel und Chaos, aus sämtlichen Elementen, die sich weltweit um das höchste Fest der Christenheit rankten.

      Da gab es Krippen aus Holz und Kunststoff, auf riesigen Transparenten fuhr Santa Claus in einem Rentierschlitten durch eine gemalte Schneelandschaft, künstliche Weihnachtsbäume wetteiferten mit geschmückten Palmen, Lichterketten schlangen sich bis in die höchsten Gipfel der Araukarienbäume. Aus unzähligen Lautsprechern erklangen Weihnachtslieder in verschiedenen Sprachen. Die Geräuschkulisse war so gewaltig, daß man sein eigenes Wort kaum verstand.

      Zu kaufen gab es alles, was das Herz begehrte, vom Softeis bis zum Video-Recorder. Losverkäufer überschrien sich gegenseitig, Karussells drehten sich unermüdlich unter staubigen, grellbunten Baldachinen. Überall herrschte Jahrmarktstimmung.

      Erstmals war Kati von Herzen dankbar für Dona Dolores absolute Autorität. Niemals, davon war sie überzeugt, während ihr der Schweiß über die Stirn lief, niemals hätte sie es geschafft, die zügellose Begeisterung und Betriebsamkeit der zehn Kinder in erträgliche Bahnen zu leiten.

      Ohne Dona Dolores, die wie ein Mahnmal aus der Menge ragte – schwarz gekleidet, den rechten Arm erhoben wie einen Wegweiser im Gewühl der Menge, hätte sich die kleine Gruppe alsbald aufgelöst, verlaufen, verloren im Gewühl.

      Flöhe hüten ist leichter, dachte Kati, während sie mit der Hitze kämpfte und die Händchen ihrer Schutzbefohlenen krampfhaft festzuhalten versuchte – vergebens. Wie kleine Fische entglitten ihr die geschmeidigen Fingerchen, um nach Eistüten zu angeln, riesige Lutscher zu greifen und sich zwischen den Menschen und Ständen hindurchzuschlängeln.

      »Unsere Kinder haben keine Erfahrung im öffentlichen Leben«, hatte Dona Dolores warnend zu verstehen gegeben, »niemand bedauert das mehr als ich. Aber um zehn von ihnen auszuführen, braucht man mindestens drei Aufsichtspersonen, und so viele kann ich normalerweise nicht entbehren. Deshalb beschränken sich diese Ausgänge auf zwei- oder dreimal im Jahr.«

      Kati, die einige Einwände und Gegenvorschläge auf der Zunge gehabt hatte, war froh, sie hinuntergeschluckt zu haben. Völlig betäubt vom Trubel, von der unübersichtlichen Menge und dem Geflacker der Lichterketten ließ sie sich vorwärts treiben dem langen Tisch zu, der unweit einer Imbißbude von Dona Dolores reserviert worden war.

      Hier sollte es Cola für alle geben, hier sollten die Kinder entscheiden, welches Geschenk sie sich selbst kaufen wollten, hier sollte Kati ihnen das Geld dafür in die Händchen drücken.

      Das Geld. Wo war das Geld?

      Verzweifelt tastete Kati nach der Schnur um ihren Hals.

      Weg. Verschwunden mitsamt dem Brustbeutel, den sie unter der Bluse zu tragen pflegte.

      Dona Dolores, die am anderen Ende des Tisches Platz genommen hatte, hob fragend eine Augenbraue. Die Kinder krähten und schnatterten wild durcheinander. Die beiden Helferinnen reihten sich in die Schlange vor dem Imbiß ein, um die Getränke zu kaufen.

      Wovon?

      Kati schluckte trocken.

      Dies war der Augenblick der Wahrheit. Länger ließ er sich nicht mehr hinauszögern.

      »Ich muß mal kurz nach Hause«, brachte sie heiser hervor, »wie mache ich das am besten?«

      »Gar nicht«, sagte Dona Dolores grimmig, »ich lege Ihnen das Geld vor. Auf allen Märkten wird gestohlen! Wußten Sie das nicht?«

      »Aber ich hatte

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