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Onkel Sepp kommt nach und begleitet mich das letzte Stück.«

      »Oh, heilig’s Sakrament!« stieß Gritli aus. »Das glaub ich dir jetzt aber nicht, Clara.«

      »Er geht in aller Früh’ auf die Alm. Von da aus schafft’ er ’s in einer guten Stunde bis zum kleinen Gipfel. Und dort warte ich auf ihn, so daß wir heimlich zu zweit aufs Felshorn klettern können.«

      »Und das mitten in der Woche, damit Großmutter denkt, er ist im Holz? Denn feiertags, da merkt sie ’s ja!« Gritli strahlte, aber dann vedunkelte sich ihre Stirn. »Aber wenn ein Wetter niederschlägt, dann braucht er doppelt lang. Und wenn ’s dann schon zu spät für dich ist?«

      »Wir werden genau beobachten, wie das Wetter wird.«

      »… und aufpassen, daß die Großmutter nichts davon spannt.« Sie lächelten sich schelmisch zu, und Gritli lehnte sich an Claras Schulter, weil dort der schönste Platz auf der Welt war. »Du sollst immer bleiben, Clara. Ich versteck dich in der Truhe auf dem Speicher.« Da drückte Clara dem liebenswerten Kind einen Kuß auf die Stirn.

      »Mußt nicht die Milch reinbringen, Gritli?« fragte sie nach einer Weile. »Zum Träumen bleibt dir keine Zeit.«

      Gritli hörte gar nicht hin, denn sie schaute angestrengt in die Dunkelheit den Hang hinunter. Da näherte sich eine Gestalt mit einer seltsamen Last auf der Schulter. Sie kam vom Osten, wo ein besonders beschwerlicher Weg zum Hof raufführte.

      »Das ist nicht der Onkel Sepp, der ist noch oben«, flüsterte Gritli sich selbst zu, als müsse sie sich diese ungewöhnliche Erscheinung erklären. Aber das reichte nicht. Sie stand von der Bank auf, aber traute sich keinen Schritt vor, weil sie glaubte, dort nähere sich ein Berggeist. Hatte Tante Theres ihr nicht oft genug von solchen Erscheinungen erzählt? Gewiß lag das an dem seltsamen Juliwetter, wenn sich solche Geister aus ihren Höhlen wagten.

      Es war ein hochgewachsener Mann, der die letzte Steigung recht schnell hinter sich brachte. Nun blieb er stehen. Gritli wagte sich nicht zu rühren. Ein Frösteln überlief sie.

      »Gritli?« hörte sie eine tiefe Stimme ihren Namen rufen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.

      »Warum antwortest du denn nicht?« fragte Clara. »Der Mann kennt dich doch.«

      »Der ist nicht von hier, der kennt mich gar nicht!« zischte Gritli erregt zurück. Aber Claras nahe Stimme hatte den Bann gebrochen und machte ihr Mut. Sie ging auf den Fremden zu.

      Der ließ den schweren Sack von seiner Schulter gleiten und breitete die Arme aus. »Gritli! Ich bin ’s. Dein Vater.«

      Clara schob ihr Strickzeug auf den Tisch und erhob sich langsam von der Bank. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie die kleine Gritli nach sekundenlangem Zögern, aber unendlich langsam einen Schritt nach dem anderen vorwärts machte und sich dem Mann dann mit einem jähen Schrei, der alle Freuden der Welt verriet, an die breite Brust warf.

      Ihr Vater nahm sie auf die Arme. Er drehte sich mit ihr und küßte sie auf Stirn, auf Wangen und in die Halsbeuge. Und seine zärtlichen Worte klangen wie das Flüstern eines Schwerkranken, der sich nach endlosen Qualen von lähmenden Schmerzen befreit fühlt.

      Clara atmete tief durch, ein erhebendes Gefühl des Glücks durchzog sie. Thilo Heimhofer war zurückgekehrt! Von nun an würde die Großmutter zufriedener sein und ihrem Ältesten vielleicht sogar ein wenig Glück gönnen.

      *

      Eine halbe Stunde später konnte Gritli es immer noch nicht ganz fassen. Bevor sich der Fremde als ihr Vater zu erkennen gegeben hatte, hatte sie kaum noch geglaubt, daß er überhaupt existierte. Wie sollte sie auch? Onkel Sepp hatte ihn ganz selten erwähnt, und wenn die Großmutter von ihm sprach, klang das so furchtbar verzweifelt, daß sie sich lieber verdrückt hatte.

      Aber nun war er da. Thilo und die Großmutter hatten sich in den Armen gelegen, bis der Schnaps geholt wurde. Nach dem zweiten Gläschen war das Gesicht von Agnes rosig, und ihre Augen strahlten.

      Gritli wunderte sich, daß ihre Großmutter richtig lächeln konnte. Sie hatte es noch nie erlebt. Und weil Thilo sich nach jedem Schnäpschen komisch schüttelte, daß sie auch lachen mußte, gefiel er ihr immer besser. Als er dann noch Geschenke auspackte und ihr dabei eine Puppe in einem rosa Kleid und mit goldenen Locken zufiel, rutschte sie auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn.

      »Ob du eine Puppe magst?« zweifelte er verlegen. »Ich hätt’ dir lieber was zum Anziehen bringen sollen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie groß du bist.«

      »Das macht doch nichts!« tröstete Gritli ihn und betrachtete die Puppe etwas hilflos. »Ich nenne sie Clara.«

      »Fällt dir kein anderer Name ein?« raunzte die Großmutter, strich dann aber selig über das farbige Umschlagtuch mit langen Fransen, wie es, so verriet Thilo, die mexikanischen Damen in Texas tragen. Sie legte es sich sofort um, obwohl sie gleich darauf den Teig für die guten Hefeküchlein zu mischen begann. Dann hieß es warten, bis die Hefe ihn wachsen ließ.

      Thilo Heimhofer schaute sein Gritli, die die Puppe immer noch fassungslos anstaunte, unentwegt an. Während er Großmutters Fragen beantwortete, lächelte sie ihm mehrmals zu, als sei er nie fortgewesen.

      »Du hast Onkel Sepp auch was mitgebracht… Papi?« füsterte sie plötzlich. Thilo sah zur Uhr.

      »Klar. Ein richtiges großes Geschenk. Aber wo bleibt er denn? So spät kam er doch nie von der Alm runter.«

      Sofort schlug die Stimmung um. Gritli hielt den Atem an, um sich ja nicht zu verplappern. Die Großmutter zog sich heftig das schöne Tuch von der Schulter. Nicht nur, weil die Hefeküchlein im heißen Fett aufspritzten, sondern weil die Wut auf Sepp ihr gehörig einheizte.

      »Ist nur gut, daß er nicht kommt«, murmelte sie. »Da kann ich noch was mit dir besprechen, Thilo.«

      Thilo ahnte nicht, um was es ging. »Schieß nur los, Mutter!« forderte er sie auf.

      Die Großmutter warf aber nur Gritli einen Blick zu, dann packte sie die Pfanne und ließ zwei der Hefeküchlein auf ihren Teller gleiten.

      »Iß und dann verschwindest in die Kammer. Spät genug ist es ja.«

      »Aber mein Papi ist doch gekommen!« widersprach Gritli.

      »Sie darf noch bleiben, bis ich auch gegessen hab’«, entschied Thilo.

      »Nein, das darf sie nicht. Sie gehört ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Was ich mit dir zu besprechen hab’ ist nichts für ihre Ohren.«

      Thilo beobachtete seine alte Mutter. Sehr viel Herzlichkeit hatte ihr noch kein Mensch entlocken können. Sie war immer eine starke Frau, aber nie eine zärtliche Mutter gewesen. Während seiner Abwesenheit war sie stark gealtert. Er wußte, daß ihre Strenge und Unduldsamkeit sich dadurch noch verstärkt hatten und fühlte sich elend vor Schuld.

      Ernst und still sah er zu, wie Gritli ihr Abendessen herunterschlang. Die Hefeküchlein waren ein Festmahl zu Ehren seiner Rückkehr. Nur, warum reagierte die Großmutter so heftig, wenn Gritli bat, noch ein wenig aufbleiben zu dürfen?

      Er sah sich um. Auf der Spüle stapelte sich das Geschirr des Tages. Auf einem Regal lagen die Kartons mit den Eiern bereit, die Sepp wohl immer noch auf dem Markt in Oberau verkaufte. Die Wände in der Küche waren nachgedunkelt, das Geschirr war schadhaft. Nichts vermochte die hier herrschende Armut zu verbergen.

      Da fühlte er Gritlis Hand in seiner. »Bringst mich nach oben, Papi?«

      »Ja, Gritli.«

      »Sie kann allein zu Bett gehen, Thilo«, mischte Agnes sich ein.

      »Heute nicht«, widersprach er kurz. Sein Blick ließ die Großmutter verstummen.

      »Du bleibst doch für immer?« fragte Gritli später, als ihr Vater immer noch an ihrem Bett saß. »Du gehst nimmer wieder fort, gelt?«

      Thilo zögerte. Sollte er lügen? Noch wußte er ja nicht, was seine Mutter mit ihm besprechen wollte. So oder so würde es zu Unstimmigkeiten

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