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beobachtet hatte. Und außerdem blieben ganze Büschel Gras stehen.

      »Bist damisch, Clara?«

      Sie spürte einen festen Griff an ihrem Arm, gleichzeitig packte die braungebrannte Hand von Sepp die Sense und entwand sie ihr. Kopfschüttelnd und strafend sah er sie an.

      »Ja, damisch bist! Barfuß und mit Blasen am Zeh! Außerdem kann ’s ein Blutbad geben! Die Klinge ist rasiermesserscharf! Ja, Mutter Gottes!« stöhnte er komisch. »Was die Weibersleut nicht alles wollen…!«

      »Nur versuchen, Sepp. Nur versuchen wollt ich ’s«, bat sie lächelnd um Verständnis. Sepp Heimhofers Blick fiel auf ihr gerötetes Gesicht, in das schweißnasse Haarsträhnen hingen. Strahlend stolze Augen schauten ihn durch die Brillengläser an. »Ein wenig hab’ ich doch geschafft!«

      Mit einer Hand schulterte er die Sense, mit der anderen Hand griff er nach ihrer Linken und drehte sie um.

      Clara zuckte zusammen.

      »Noch eine Blase…!« wunderte sie sich. »Dabei hab’ ich doch nur fünf Minuten…«

      »Fünf Minuten reicht für eine zarte Hand, die nur ans Geldzählen gewöhnt ist. Außerdem mußt du die Kraft aus dem Schwung des Arms und der Schulter holen.«

      »Wie denn?« Sie entzog ihm ihre Hand und betrachtete die zwei dunklen Blasen an der Fingerwurzel. Sepp lachte.

      »Jetzt ist ’s schon zu heiß. Morgen zeig’ ich ’s dir. Aber lieber in der Früh um sechs, wenn ’s noch kühl ist. Willst dir ’nen Hitzschlag holen?«

      Dann bündelte er eine neue Ladung vom frischgemähten Heu und trug es zum Verschlag. Sie folgte ihm brav, um auf die Bank zu sinken und wieder die Augen zu schließen.

      ›Ich werd ’s noch lernen!‹ dachte sie. ›Wenn ’s auch Wochen dauert, ich werd ihm schon zeigen, was in mir steckt.‹ Und sie bewegte leise die Armkugel in der Schulter, spürte das Ziehen und stellte fest, daß es zu ertragen war, wie alle Mühe, die ein Mensch aus Liebe zu einem anderen auf sich nahm.

      In der nächsten Viertelstunde erlaubte Sepp ihr nicht, sich von der Bank zu erheben. Er tauchte ihre weißen Strümpfe in die Wassertonne und legte sie ihr wie eine Eispackung auf die Füße, schmierte eine Tinktur auf die Blasen in der Hand und holte dann Getränke, Brot und Käse heraus.

      Clara ließ sich von ihm einige Bissen reichen, lehnte sich zurück und lächelte. Eine Weile sprachen sie kein einziges Wort.

      »Wenn ’s zu regnen beginnt, wie lange hält das an?« fragte sie ihn plötzlich. Sepp blickte zu den Bergriesen hoch, hinter denen sich dunkle Wolken auftürmten.

      »Nicht mehr als eine Stunde. Aber es wird heftig.«

      »Das hat Gritli auch gesagt.«

      Er nickte. »Gritli kennt sich aus.«

      »Sie sagt, das Wetter wird nächste Woche auch nicht halten.«

      »So ist es, der Juli bringt arge Hitz’n oder Hagel, Donner, Blitz.«

      »Dann ist ’s keine ideale Zeit, um hier oben Urlaub zu machen.«

      Während sie den Krug an ihre Lippen hob und gierig trank, sah er sie forschend an. »Wann mußt du zurück, Clara?«

      »Am nächsten Freitag.«

      »… und wenn ihr länger bleibt?«

      Sie stellte den Krug zurück und hob die Brauen. »Möchtest du das?«

      Ohne seinen Blick von ihr zu wenden, nickte er. Clara lächelte.

      »Ich möcht ’s ja auch. Ich wollt so gern aufs Felshorn rauf wie Gritli. Das Kienjoch versuch’ ich dann zu besteigen, wenn ich mich besser auskenne.«

      Sepp lachte aus vollem Hals. »Hast du so einen Ehrgeiz?«

      »Ja, ich möcht ’s wirklich gern. Nur, Inge wird nicht mitmachen. Die kann ihren Urlaub auch nicht verlängern. Ich hab’ schon gedacht, vielleicht geht Gritli mal mit mir, an einem Sonntag, wenn schulfrei ist und kein Unwetter uns in Gefahr bringen kann.«

      Er sah sie lächelnd an. »So, mit Gritli willst rauf. Mit mir nicht?«

      Ihre Brust hob sich vor Freude. »Noch lieber, wenn ’s möglich ist.«

      »Und… willst du?«

      Ja, sie wollte es mit der ganzen Kraft ihres Herzens. Aber wie konnte sie es zugeben, wenn dort unten im großen Haus eine alte Frau lebte, die mit Argusaugen über jede Minute, die sie zusammen verbrachten, wachte?

      Sie war in aller Heimlichkeit mit Sepp auf die Alm gestiegen, hatte sich in ihren unbequemen Schuhen Blasen geholt und trotzdem mit der Sense zu hantieren versucht und dabei ihre zarten Hände geschunden. Aber wie sie sich auch verhielt, für Sepp konnte alles zu neuem Streit mit seiner Mutter führen.

      Sepp dagegen wußte, daß es nicht viele Frauen gab, die sich an diese Arbeit wagten. Erst recht fand sich keine Frau weit und breit, deren Blick und deren Stimme ihn so verzauberten. Clara schenkte ihm das Gefühl, gegen alle Widrigkeiten des Lebens gewappnet zu sein, und das löste langanhaltende, innere Spannungen in ihm, so daß er sich bei ihr wie neugeboren fühlte.

      »Konnte Gritlis Mutter auch mit der Sense umgehen, Sepp?«

      »Das Hannerl hat ’s gelernt«, antwortete er nachdenklich.

      »Wurde es ihr schwer?«

      Sepp sah Clara lange an, erhob sich, verschwand in der Hütte und kam mit einer Pfeife wieder raus. Die stopfte er umständlich, um sie dann ebenso umständlich in Brand zu setzen.

      »Das Hannerl war Verkäuferin in einem Schuhgeschäft in Oberau«, begann er zu erzählen. »Dort hat Thilo sie kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, aber er hat Monate gebraucht, bis er den Mut fand, der Mutter davon zu erzählen. Unsere Mutter wollte das Hannerl erst gar nicht kennenlernen, aber Thilo hat sich durchgesetzt. Auch hat das Hannerl ein wenig Erspartes gehabt, damit haben wir die Küche neu ausgestattet. Und Tante Theres hat ihr dann beigebracht, wie sie kochen und den Käs zubereiten soll. Sie hat auch im Garten gewerkelt, so daß meine Mutter nichts mehr gegen sie einwenden konnte.«

      »Dann war das Hannerl wohl sehr tüchtig?« seufzte Clara.

      »Ja, dabei zart wie ein Grashalm. Tante Theres hat sie liebgewonnen und ihr viel abgenommen. Und ein Jahr nach der Hochzeit hat Thilo dem Hannerl das Mähen auf der Alm beigebracht. Sie konnte es dann besser als die Mutter.«

      »Freute eure Mutter sich darüber?«

      Sepp machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Thilo und ich waren viel im Holz. Es war kein guter Sommer, wir hatten viel Arbeit. Und so kam es, daß Hannerl uns allen ihren Zustand verschwieg. Nicht mal der Thilo hat geahnt, daß sie guter Hoffnung war.«

      Er sog an seiner Pfeife. Clara wartete vergeblich auf eine Fortsetzung der Geschichte. Sie bemerkte nur, wie sich sein sonnengegerbtes Gesicht verdüsterte.

      »Hast du das Hannerl gern gehabt?« fragte sie mitfühlend. Sepp sah sie an, dann, ganz unerwartet, setzte er sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter.

      »Sie war mir eine gute Schwägerin. Wie lieb ich sie gehabt hab’, begriff ich erst nach ihrem Tod. Du erinnerst mich an sie. Dabei hab’ ich gar nicht mehr erwartet, für eine Frau so etwas zu empfinden.«

      Clara wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihr.

      »Ich kann den Thilo jetzt besser verstehen«, murmelte er. »Ja, das kann ich.«

      Clara sah ihn an, und in ihrem Blick stand mehr als Zuneigung. Behutsam lehnte sie sich gegen ihn, bis er sie scheu küßte.

      »Frag nicht mehr nach dem Hannerl«, flüsterte er danach bewegt. »Es macht mich traurig. Jetzt kann ich gerade glücklich sein. So glücklich, wie ich noch nie in meinem Leben war.«

      Da hob sie die Arme und preßte sie um seinen Nacken.

      »Ich auch, Sepp.

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