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gekleidet als die Leute im Dorf. Blankgeputzte Stiefel und sehr schmal geschnittene Jeans trug er. Darüber hing ihm ein buntkariertes Hemd, und am Hals blitzte ein weißes Shirt hervor. Das ungewöhnlichste aber waren die blondzerzausten Locken, die nicht so recht zu dem schmalen, herben Gesicht passen wollten.

      Thilo trat an die Theke und bat um ein Bier. Der Wirt sah ihn forschend an, schob ihm dann aber wortlos das Gewünschte hin.

      »Sie können sich setzen«, schlug er nach einer Weile vor. Thilo dankte lächelnd, blieb aber stehen.

      Daß der Wirt ihn nicht erkannte, kränkte ihn nicht. Es war nicht gut, wenn sich alle im Dorf gleich das Maul über ihn zerrissen. Ihm standen genug unangenehme Begegnungen bevor, nach denen er erst mal mit sich selbst ins reine kommen mußte. Warum sollte er Fragen ertragen, auf die er selbst noch keine Antwort wußte?

      »Einen schönen Ledersack haben Sie da«, wollte der Wirt nun doch ein Gespräch beginnen. »Deutsche Wertarbeit?«

      »Nein, den hab ich in Las Vegas gekauft.« Ein ehrfurchtsvolles Staunen legte sich auf das Gesicht des Gastwirts. »Kann ich ihn eine Stunde bei Ihnen unterstellen? Ich will einen Rundgang durchs Dorf machen«, fügte Thilo höflich hinzu.

      »Dagegen ist nichts einzuwenden.«

      Thilo leerte sein Glas und verließ den ›Krug‹ so unerwartet, wie er ihn betreten hatte. Draußen blieb er eine Weile stehen. Es war still, und die Luft fühlte sich samtweich an. Vor Stunden mußte es geregnet haben. Tante Theres hatte den Regen bestimmt angekündigt und Sepp darauf vorbereitet, damit der das Heu oben auf der Alm rechtzeitig ins Trockene brachte. Der zweite Heuschnitt war nie so ergiebig wie der erste im Juni, aber auf dem Hof oben brauchten sie eben jeden Halm als Futter für den Winter.

      Thilo schlenderte zur Kirche hinüber und zu Hannerls Grab auf dem Friedhof. Als er das Datum ihres Todes auf dem Grabstein las, wurde ihm plötzlich wieder bewußt, wie lange er fort gewesen war. Wie alt war seine Tochter jetzt? Schon im nächsten Winter wurde sie acht. Wie seltsam, daß er sie sich immer noch als Baby vorstellte! Wollte oder konnte er nicht begreifen, daß er sie fast sieben Jahre allein gelassen hatte?

      Ein Gefühl der Scham legte sich auf sein Herz. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar wie ein verlegener Schulbub, den man bei einer Lüge ertappt hatte. Und so war es wohl. Er belog und betrog sich seit Jahren. Auch wenn er sich einredete, für sein Kind würde schon gut gesorgt, und auf einen unfähigen Vater wie ihn könne so ein kleines Mädchen wie Gritli sowieso leicht verzichten.

      Als er sich abwenden wollte, fiel sein Blick auf ein Steinkreuz neben Hannerls Grab. Thilo stutzte, dann trat er näher heran, um die Schrift darauf besser entziffern zu können. Die in den Stein gemeißelten Buchstaben waren noch nicht nachgedunkelt wie bei den älteren Gräbern.

      »Therese Buchholzer«, las er und der Schrecken fuhr ihm kalt über den Rücken. »Tante Theres…«, stammelte er. »Gestorben am 24. März dieses Jahres.«

      Tante Theres, die älteste Schwester von Agnes war achtzig geworden. Er sah sie vor sich mit ihrem sanften Lächeln und den flinken braunen Augen, die ihn seit seiner Kindheit begleitet hatten und von beständiger Neugier und wachsender Weisheit gesprochen hatten. Aber der Schmerz über den neuerlichen Verlust setzte ihm so zu, daß er niederkniete.

      Als er sich aufrichtete, wußte er, daß seine Wanderjahre hier, zwischen den Gräbern hinter der Kirche, endgültig zu Ende gingen. Jetzt, da es Tante Theres nicht mehr gab, konnte und durfte er sich der Verantwortung für sein Kind nicht mehr entziehen.

      Minuten später trat er in die Kirche. Auf der Tafel rechts hinter den Bänken waren die Eheschließungen eingezeichnet. Thilo prüfte jede Eintragung, nur entdeckte er den Namen Sepp Heimhofer nicht. Das machte eine vage Hoffnung in ihm zunichte. Sein Bruder hatte also nicht geheiratet. Von der ständigen Übellaunigkeit der verwitweten Mutter aufgerieben, wagte der ja nicht mal einen Abend im Wirtshaus zu verbringen. Und welche Frau sollte das Leben oben auf dem Bergbauernhof ertragen, wenn nicht mal mehr Tante Theres ihr half?

      Zur gleichen Zeit beugte Barbara Lange sich weit aus dem Fenster und sah zu dem Pärchen hinab, das unten im Hof der Schreinerei stand.

      »Meister Lange und seine Leute sind auf Montage!« rief sie hinunter. »Das Gemeindehaus in Beershausen wird renoviert. Deshalb wird sich in den nächsten Tagen keiner in der Werkstatt aufhalten.«

      »Wir suchen Arbeit«, wiederholte der Ausländer und zeigte auf seine junge schwangere Frau, deren Haare von einem Kopftuch bedeckt war. »Wir sind fleißig. Yella kann gut Haus- und Gartenarbeiten verrichten und ich mache alles, was Sie wollen.«

      »Sind Sie denn gelernter Schreiner?« erkundigte Barbara sich. Der Mann schüttelte den Kopf.

      »Ich, Stefan Gollic, war Bauer, kann aber nicht zurück. Alles ist kaputt.« Er hielt ein Blatt Papier hoch. »Wir haben Arbeitserlaubnis, wollen nur wenig Geld, aber ein Dach über den Kopf.«

      »Mein Vater braucht einen gelernten Schreiner, Herr Gollic. Kommen Sie am Ende der Woche wieder. Dann sehen wir weiter.«

      Das Paar ging langsam aus dem Hof. Barbara sah ihnen nach. So eine junge Frau war gewiß nützlich in dem alten Haus, in dem ihr Vater sich mit zwei Zimmern begnügte, nachdem er im Parterre sein Holzlager eingerichtet hatte, um die Werkstatt erweitern zu können. Aber was sollte er mit einem Bauern?

      Sie ließ das Fenster offen. Die frische Luft drang in ihr Zimmer und erleichterte ihr die zweite, gründliche Durchsicht der Rechenhefte. Das von Gritli hatte sie gleich weggelegt, um sich nicht wieder ärgern zu müssen.

      Wie lange sie über den Heften gesessen hatte, wußte sie nicht, als ein greller Pfiff von unten zu ihr drang.

      »Was ist denn nun schon wieder?« seufzte sie, stand auf und beugte sich aus dem Fenster. »Sie wünschen?« rief sie dem Mann, der unten im Hof stand, zu.

      Dieser Fremde sah sehr gut aus mit seinen schmalen Jeans, dem karierten Hemd und dem gelockten Blondhaar, unter dem wache Augen hervorblitzten.

      »Die Tür zur Werkstatt ist verschlossen«, antwortete er. »Ich wollte zu Ruppert Lange, dem Schreinermeister.«

      »Die Leute sind noch die nächsten zwei Tage auf Montage«, wiederholte Barbara ihr Sprüchlein.

      »Aha.« Er rührte sich nicht von der Stelle und wandte den Blick auch nicht von ihr. Barbara musterte den hochgewachsenen Blondschopf ebenso.

      »Haben Sie einen Gesellenbrief?«

      »Nein«, kam die aufrichtige Antwort sofort und schien den Mann keinesfalls verlegen zu machen. Er grinste sogar!

      »Dann ist es zwecklos.« Sie richtete sich auf, aber eine innere Regung hielt sie davon ab, ganz vom Fenster zu verschwinden. Es mußte das jugendhafte Lächeln dieses Fremden sein, das sie nicht losließ.

      »Ich war lange im Ausland. In Kanada habe ich beim Bootsbau gearbeitet, bin dann durch die USA gezogen, habe in Las Vegas Innenausbau gemacht und war schließlich in Hollywood in einem Betrieb für Filmausstattung als Teamleiter beschäftigt.«

      »So, so! Und das soll ich glauben? Warum wollen Sie dann hier in Wesing arbeiten?« Sie konnte es kaum glauben.

      »Warum sollte ich sonst hier stehen?«

      Unverschämt! dachte Barbara. Der kommt sich wohl recht toll vor, der Herr aus Hollywood mit seinen nagelneuen Cowboystiefeln und seinen Engelslocken.

      »Stellt der Meister eine Wohnung zur Verfügung?« wagte er sich jetzt auch zu erkundigen.

      »Nein!«

      »Das ist jammerschade. Ich brauch eine Unterkunft für zwei.«

      Barbara machte einen Schritt in ihr Wohnzimmer, als müsse sie sich schon jetzt vor dem Eindringling zur Wehr setzen. Wenn er zu zweit war, gehörte er zu den Ehemännern. Aber was bedeutete das schon bei einem Mann, der so frech grinste?

      »Das gibt ’s hier nicht. Es gibt nur ein winziges Kämmerchen drüben im alten Haus. Das steht aber nur einem richtigen Gesellen zu.«

      »So,

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