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Reincke überwältigt von seinen Gefühlen.

      Wieder Stille. Karsten sammelt seine Gedanken. Wie kommt er hierher? Was sucht Reincke an diesem fremden Bett?

      Reincke neigt sich über das wächserne Gesicht des Kranken.

      »Hör auf zu grübeln, Uli, ich bitte dich. Du mußt jetzt gesund werden, hörst du?«

      Karstens Augen gleiten wie gehetzt umher, und Reincke glaubt den Grund zu dieser Unsicherheit zu kennen.

      »Wenn es dich beruhigt, Uli. Aus diesen vier Wanden dringt nichts in die Öffentlichkeit, sofern es nicht dein Wille ist. Verstehen wir uns?«

      Mit einem Seufzer der Erleichterung dreht Karsten den Kopf zur Seite und ist gleich darauf fest eingeschlafen. Er schläft den Tag und die Nacht hindurch tief und traumlos. Es ist der erste Genesungsschlaf.

      William Reincke sorgt dafür, daß sie allein sind, als er endlich erwacht. Die Schwägerin hat ihm ein Tablett mit Hühnersuppe und Weißbrot bereitgestellt.

      »Ich habe Hunger«, gesteht Karsten verschämt, und Reincke nickt befriedigt.

      »Das habe ich erwartet, alter Freund. Nun laß dich füttern.‹‹

      Es ist rührend, wie William Reincke den Freund, der matt und hilflos ist, füttert.

      »Verdammt«, flüstert Karsten ganz erschöpft. »Was ist man doch für ein schlapper Kerl.«

      Und Karsten schluckt und schluckt, und ihm ist, als würden neue Lebenssäfte durch seinen Körper strömen.

      Aber es geht doch sehr langsam mit Karsten bergauf.

      »Zu wenig Willen zum Leben«, konstatiert Doktor Winzer, als William Reincke ihn danach befragt. »Die Krankheit hat nicht nur im Körper gesessen, sie sitzt zum Teil noch hier.« Dabei macht er eine entsprechende Bewegung zum Herzen hin.

      »Das kriegen wir auch noch hin«, meint Reincke zuversichtlich. Er kennt ja das Leid des Freundes, weiß nur noch nicht, wo er den Hebel ansetzen soll.

      *

      Wie im Fieber, mit einem Taxi bis vor ihre Wohnung gebracht, hat Marion Wendland ihr Heim erreicht. Sie reißt sich förmlich die Kleider vom Leibe, läßt Wasser in die Wanne und überläßt sich halb besinnungslos der Wärme des Wassers.

      Ganz still liegt sie. Aber hinter ihrer Stirn jagen die Gedanken, daß ihr der Kopf schmerzt.

      Sie fürchtet sich vor Frank Bendler. Er wird merken, daß sie von Angst geschüttelt ist.

      Als sie in ihren Morgenrock gehüllt, mit geschlossenen Augen in einem Sessel ruht und versucht, der wahnsinnigen Erregung Herr zu werden, tritt Frank Bendler ein.

      »Nanu, noch nicht angezogen? Vorn ist schon Betrieb«, sagt er, kommt näher und neigt sich über ihren Mund. Sie will den Kopf zur Seite drehen, besinnt sich aber anders und schlingt die Arme um seinen Hals.

      »Ich fühle mich gar nicht wohl, Frank«, raunt sie an seinem Halse. »Ich möchte am liebsten schlafen gehen.«

      »Was ist los mit dir?« Er betrachtet sie kritisch. »Du zitterst ja. Warst du wieder mit diesem – diesem Reincke unterwegs?«

      Sofort ist das Gefühl der Hilflosigkeit getötet.

      »Ja, ich war mit Reincke unterwegs. Er hat mir eine Liebeserklärung gemacht. Das hat mich so erregt.«

      »Ach nee!« Er lehnt sich über sie, stützt die Hände auf die Lehne ihres Sessels. »Und was hast du ihm geantwortet?«

      Ihre graugrünen Augen, dunkelglänzend vor Erregung, sehen ihn groß an. »Daß ich dich liebe.«

      »Marion!« Das ist wie ein beglückender Aufschrei, und er reißt sie an sich, küßt sie, und sie läßt es willenlos geschehen.

      Er ist überströmend vor Zärtlichkeit und Liebe. Er merkt nicht, wie sie sich zwingen muß, seine Umarmung zu ertragen.

      »Weißt du was, Liebes«, sagt er mit sanfter Stimme. »Du legst dich nieder. Ich werde dich im Betrieb vertreten. Wenn ich mich freimachen kann, sehe ich nach dir.«

      Sie läßt sich in ihr Schlafzimmer begleiten. Er bleibt bei ihr, bis sie ins Bett gekrochen ist. Er geht geschäftig im Zimmer umher, legt ihr Zeitschriften zurecht. Holt Zigaretten und Aschenbecher herbei und knipst ihr die Lampe auf dem Nachttisch an.

      »Etwas Heißes bringe ich dir sofort, Liebes.«

      Sie greift zur Zigarette. Ihre Hände zittern immer noch. Nach ein paar Zügen preßt sie den Kopf tiefer ins Kissen. Jetzt, da sie die Behaglichkeit ihres Heimes umgibt, denkt sie ganz anders über ihre Flucht.

      Wie eine dumme Gans hat sie sich benommen. Was soll sie Reincke als Grund nennen? Er wird gewiß wieder in der Bar auftauchen.

      Wohin wird er Karsten gebracht haben. Natürlich in sein Haus. Sie weiß ja längst, daß sie eng befreundet sind. Warum hat sie sich nicht sofort von Reincke distanziert? Warum hat sie dieses wahnsinnige Spiel mit der Liebe abermals aufgenommen?

      Wie konnte sie sich so in ein Netz verstricken, das ihr nur gefährlich werden kann. Wird Karsten schweigen?

      Sie gerät immer mehr in Panikstimmung, und sie kann sich der unaufhörlich kreisenden Gedanken kaum erwehren. Sie ist wie ausgepumpt, als Frank Bendler ihr Tee mit Rum auf den Nachttisch setzt.

      »Du mußt trinken«, fordert er sie besorgt auf und führt ihr das Glas an den Mund. Schluck um Schluck nimmt sie. Er bleibt bei ihr sitzen, bis ihre regelmäßigen Atemzüge verraten, daß sie endlich Ruhe gefunden hat.

      *

      Milli Bothe, unauffällig, mit guter Eleganz gekleidet, sitzt Eva-Maria in deren Zimmer, dort wo die guten Kunden empfangen und beraten werden, gegenüber. Ihr Kinn zittert.

      »Er ist gefunden, Fräulein Harris!«

      Eva-Maria schnellt empor. Kerzengerade sitzt sie auf ihrem Platz. Das Gesicht hat alle Farbe verloren.

      »Wo – und wie«, stammelt sie, und sie schämt sich, weil sie glaubt, sich verraten zu haben. Dabei ist sie längst durchschaut.

      In aller Breite schildert sie der atemlos lauschenden Eva-Maria von dem Besuch Reinckes und wie er ihn gefunden hat.

      »Und was nun?« stellt Eva-Maria die Frage, als Milli Bothe geendet hat.

      »Wir dürfen ihn besuchen«, erklärt sie eifrig und stolz. »Allerdings müssen wir noch eine gewisse Zeit dahingehen lassen. Er ist sehr schwach, und jede Erregung muß ihm ferngehalten werden.«

      »Und wenn er wieder auf und davon geht?« zittert es von Eva-Marias Lippen.

      Milli Bothe winkt mit beiden Händen ab. »Sie kennen William Reincke nicht. Der hält fest, was er einmal in seine Obhut genommen hat.«

      Von diesem Augenblick an geht Eva-Maria wie im Traum einher. Wenn sie ihn doch einmal sehen könnte – und sei es nur von weitem!

      Ihr fällt Lieselotte Reincke ein, die ihre Kundin ist, und die ihr neulich einen Auftrag zur Beschaffung eines Gitters für den Kamin übertragen hat. Wenn sie nun diese Gelegenheit benutzt, um in das Haus zu kommen?

      Aber wie soll sie begründen, daß sie Ulrich Karsten kennt? Wie soll sie es motivieren, daß sie an ihm das größte Interesse hat?

      Wenn sie sich nun mit William Reincke in Verbindung setzt?

      Oder – ob wohl Onkel Charly helfen kann? Wenn er einen Auftrag für Ulrich Karsten hätte, ihn nach England riefe?

      Aber zunächst muß er ja gesund werden, wie Milli Bothe meinte. Sie gräbt die Hände in das dichte Haar und starrt endlos grübelnd vor sich hin.

      *

      »Warum sind Sie denn neulich davongelaufen?« William Reincke hat seinen alten Stammplatz eingenommen. Er forscht in den Zügen der schönen Frau, sucht irgendeine Veränderung und findet sie nicht. Sie ist freundlich und gelassen wie immer.

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