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zurückgewinnen. Und er braucht Arbeit – um zunächst abgelenkt zu sein. Viel Arbeit, damit er abends todmüde auf sein Lager fällt.«

      »Ich verstehe.« Ganz kläglich klingt das, und mutlos sieht die Frau zu Boden, weil sie das, was Eva-Maria Harris soeben ausspricht, selbst erkannt hat.

      Am nächsten Morgen. Eva-Maria hat sich in schlaflosen Nachtstunden entschlossen, wieder in ihr Heim zurückzukehren, als Milli Bothe mit Zeichen größter Erregung bei ihr eintritt.

      »Verzeihen Sie, Fräulein Harris«, spricht sie mit einer Stimme, in der Tränen schwimmen. »Er ist fort. Hier«, sie streckt Eva-Maria ein Blatt Papier entgegen, »diesen Brief hat er dagelassen.«

      Eva-Marias Hand zittert, als sie das Schreiben im Empfang nimmt. Er ist fort! Weiter kann die augenblicklich nichts denken.

      Liebe Milli Bothe!

      Sie haben Ihre Güte keinem Unwürdigen geschenkt. Ich schwöre es Ihnen beim Andenken an meine Mutter. Aber ich kann Ihre Güte nicht länger in Anspruch nehmen. Anbei achtzig Mark. Zwanzig Mark nehme ich mit. Marion Wendland hat mein Vermögen bis auf hundert Mark abgehoben. Ich kann keine Almosen annehmen, aber ich kann arbeiten. Noch-mals, von Herzen Dank,

      Ihr Ulrich Karsten

      N. B. Fräulein Harris meine tiefste Verehrung.

      Wollen Sie ihr das übermitteln?

      »Wie furchtbar«, flüstert Eva-Maria, und der Brief flattert zu Boden.

      *

      Für Ulrich Karsten beginnt jetzt erst die Leidenszeit. Das, was hinter ihm liegt, dünkt ihn eine Kleinigkeit gegen die Demütigungen, denen er täglich auf der Suche nach Arbeit ausgesetzt ist.

      Auf jedem Neubau ist er herumgekrochen. Hat in Baubüros vorgesprochen und immer abschlägigen Bescheid erhalten. Er hat sich indessen weit von der Stadt entfernt. Vielleicht kommt er auf dem Lande schneller zu Arbeit? Zuerst hat er täglich noch einen Teller Suppe zu sich genommen. Später nur einmal eine kalte Mahlzeit. Jetzt ist sein Geld restlos ausgegeben.

      Er sucht mit verbissener Hartnäckigkeit nach Arbeit. Jetzt denkt er schon nicht mehr an Arbeit auf dem Bau. Jetzt ist er geneigt, alles anzunehmen.

      Für ein paar Tage darf er bei der Ernte bei einem kleinen Bauern helfen.

      Schweigend hat er Karstens Papiere geprüft und schweigend sie zurückgereicht.

      »Sie können anständig zu essen bekommen. Geld besitze ich selbst keines. Wenn Ihnen das genügt?«

      Karsten genügt es. Er arbeitet alles, was ihm gesagt wird. Morgens ist er der erste – und abends der letzte. Der Bauer betrachtet ihn oft verstohlen von der Seite. Er sagt aber nichts. Kein Lob. Aber Karsten hat das Empfinden, daß er mit ihm zufrieden ist. Heimlich hofft er, über den Herbst und Winter dableiben zu können.

      Doch als der Wind über die Stoppeln weht, die Ernte unter Dach und Fach, die Geräte in Ordnung gebracht, da sagt ihm der Bauer, daß er ihn nicht länger behalten könne.

      Er sieht wohl, wie der Mann, der so fleißig war, zusammenzuckt, wie schwer es ihn trifft, und er tut ihm leid.

      »Passen Sie auf, Karsten«, sagt er und deutet mit einer Handbewegung Karsten an, er möge sich neben ihn setzen. Schwerfällig läßt Karsten sich nieder. Der Schreck ist ihm in die Glieder gefahren. Zerstreut hört er dem Bauer zu, der kein Freund von großen Reden ist. »Ich war sehr mit Ihnen zufrieden. Sie sehen selbst, wieviel Mäuler ich zu stopfen habe, und ein neues kommt demnächst hinzu. Ich bin nur ein kleiner Bauer. Aber Sie haben mir Achtung abgenötigt. Gestern traf ich den Besitzer der Tankstelle, den Erich Meier. Er könnte jemand zur Bedienung der Kundschaft, zum Wagenwaschen und was alles damit zusammenhängt, brauchen. Gehen Sie zu ihm. Er wird Sie einstellen. Er weiß Bescheid.«

      Er rutscht von dem schmalen Sitz, und mit ihm Karsten. »Hier sind Ihre Papiere zurück, Karsten und –«, damit drückt er Karsten einen Schein in die Hand, »hier ein kleines Handgeld. Mehr kann ich wirklich nicht entbehren Leben Sie wohl, Karsten. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«

      Wärme durchflutet Karsten, als er den einfachen Mann die Hand zum Gruß entgegenstreckt.

      Dann kehrt er zurück in die Scheune, wo er sich ein bißchen häuslich eingerichtet hat. Er rafft alles zusammen, was sein Eigentum ist, packt es in den Koffer, ein Glanzstück aus Leder aus einstigen, guten Zeiten, und geht langsam vom Hof.

      Gewiß, er hat geschuftet wie ein Irrer und gewohnt wie ein Hund, aber es war in mancher Beziehung doch eine sorglose Zeit.

      Er trifft den Tankstellenbesitzer, einen älteren, etwas beleibten, gutmütig aussehenden Mann, allein an.

      »Sie sind also Ulrich Karsten«, sagt er zur Begrüßung und mustert Karsten aus klugen Augen.

      »Sie können morgen Ihren Dienst antreten«, sagt Erich Meier. »Sie erhalten Stundenlohn. Eine Bleibe habe ich auch, drüben –«, er weist über den Vorplatz auf ein Haus mit niedrigem Dach, »bei Frau Summer. Es ist eine kleine Dachstube, dafür aber billig.«

      »Vielen Dank«, erwidert Karsten, und ihm fällt ein Stein vom Herzen. Eine Arbeit, die bezahlt wird. Dazu ein eigenes Zimmer, und wenn es noch so winzig wäre. Es ist mehr als er im Augenblick an Freude ertragen kann.

      »Pünktlich sein«, ruft ihm der Tankstellenbesitzer noch nach. »Ihr Dienst beginnt schon um sechs Uhr morgens.«

      Karsten kann nur nicken. Er weiß, nicht eine Minute wird er zu spät kommen.

      Und dann beginnt eine neue Schaffensperiode für ihn, zwar weitab von seinem Beruf, aber es ist Arbeit, für die er bezahlt wird. Er verdient keine Reichtümer, doch er kann sein Zimmer davon bezahlen und bescheiden leben.

      Er hat noch fünf Kollegen. Zwei sind für die Reparaturen da, die zwischendurch vorgenommen werden müssen. Die anderen teilen sich in den Tag- und Nachtdienst.

      Sie haben ihn zuerst mißtrauisch betrachtet. Doch als er seine Arbeit tut, kein großes Wort führt und sich fügsam in alles schickt, da werden sie nach und nach zutraulich. Gerade das möchte Ulrich Karsten nicht, und da rückt er merklich von ihnen ab. Er ahnt nicht, daß er mit diesem Verhalten Anstoß bei ihnen erregt.

      Er will ja nur schaffen, nichts sonst. Arbeiten und nicht an das Vergangene denken. Wie weit liegt das eigentlich zurück?

      Er weiß manchmal überhaupt nicht, ob er noch lebt. Ob nicht ein anderer für ihn schläft, arbeitet, ißt. Alles was einst war, liegt so unendlich fern. Nur manchmal, wenn einer der eleganten, chromblitzenden Wagen vorfährt und er laufen muß, den Tank zu füllen, die Scheiben zu putzen und ihm wird ein Trinkgeld in die Hand gedrückt, dann ist ihm, als wäre er für immer ausgestoßen, aus einer Welt, in der er sich einmal wohl gefühlt hat.

      Vierzehn Tage sind so vergangen. Er tut unermüdlich seine Pflicht. Er merkt nicht, daß seine Kollegen ihn mit scheelen Augen zu betrachten beginnen. Er merkt auch nicht, daß man ihm die Arbeit zuschiebt, die den anderen unbequem ist. Er ist willig, weil er zäh an diesem Arbeitsplatz festhalten will.

      So trifft es ihn ganz unverhofft und doppelt schwer, als Erich Meier ihn zu sich ruft und die Mitteilung macht, daß er ihn nicht mehr beschäftigen kann. Ihm ist dabei nicht wohl zumute, als er das wie erstarrte Gesicht Karstens erblickt.

      »Sie müssen mich verstehen, Karsten«, versucht er sein Handeln vor dem schweigsamen Mann zu rechtfertigen. »Es sind alles langjährig bewährte Leute. Irgendwie haben sie herausbekommen, daß Sie einmal… Nun ja, Sie wissen ja, wie das ist. Das geht von Mund zu Mund. Es tut mir aufrichtig leid, Karsten. Ich verliere Sie ungern. Aber ich kann die anderen nicht vor den Kopf stoßen.«

      Stumm macht Karsten auf dem Absatz kehrt. Er ist voll Erbitterung. Wie blind stürzt er davon, läuft über die Straße und sucht Zuflucht in seinem Dachstübchen.

      Dort erwartet ihn ein neuer Schreck. Die alte Frau Sommer, die von einer Rente lebt, einen kleinen Haushalt zu versorgen hat und über sehr viel Zeit verfügt, die sie mit viel Klatschereien verbringt, stellt ihn hart zur Rede.

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