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sein. In der Halle brennt nur die Nachtbeleuchtung gedämpft und läßt eine etwas wehmütige Stimmung aufkommen.

      Ich liebe sie, als wäre sie mein eigenes Kind – denkt Harris. Er ist weichgestimmt und genießt dieses Alleinsein mit der Nichte von ganzem Herzen.

      »Bist du glücklich?« unterbricht er mit dieser Frage die Stille.

      Überrascht hebt sie die Lider mit den dichten Wimpern. Sie flattern etwas, wie immer, wenn es um persönliche Dinge geht.

      »O ja, Onkel.« Dabei sieht sie so unglücklich aus, als wolle sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

      »Ist es – Ulrich Karsten?« fragt er behutsam weiter, und sie erschrickt bis ins Herz hinein. Sie begegnet seinen guten, jetzt kummervollen Augen, und sie weiß, nur die Sorge um sie veranlaßt ihn zu dieser Frage.

      Sie senkt den Kopf. Kupferne Lichter tanzen über die dicken Locken.

      »Ja«, flüstert sie leise.

      »Schade, Liebling«, spricht er aus tiefster Überzeugung heraus. »Diese Liebe wird dir kein Glück bringen. Er liebt dich nicht. Ich wünsche, du wärest ihm nie begegnet. Soviel ich zwischen deinen Zeilen gelesen habe, hat er sich an eine Frau verloren, die nie – niemals den Wert dieses Mannes erkennen wird.«

      »Du magst ihn nicht?« Ihre Augen sind vor Entsetzen geweitet. Da lä­chelt er nachsichtig.

      »Doch, ich mag ihn sogar sehr gern. Aber ich weiß, daß du nie eine Rolle in seinem Leben spielen wirst, und deshalb tust du mir leid, und ich wünschte mir, daß du ihm nicht in den Weg gelaufen wärest – oder er dir.«

      »Ich bin schon glücklich, in seiner Nähe zu sein«, gibt sie mit kläglicher Stimme zu.

      »Ein Herz zu verschenken, hängt nicht vom Willen des Menschen ab. Es verschenkt sich von selbst. Weißt du das?«

      Ihre Augen leuchten wie zwei Sterne in dem dämmrigen Licht der Wandbeleuchtung. Sie sieht zerbrechlich zart und wunderschön aus.

      »Du vergißt, daß ich ihn liebe. Ein Herz, das liebt, wird immer hoffen, solange es schlägt.«

      »Um ihm nahe zu sein, bist du hierher gezogen?« forscht er behutsam weiter.

      »Weißt du, Onkel«, spricht sie stockend, als schäme sie sich, ihre Gedanken in Worte zu kleiden. »Ich habe diesen Mann in so verschiedenen Situationen zu beobachten Gelegenheit gehabt, daß ich ihn bis in sein Inneres zu kennen glaube.«

      »Aber er kennt dich doch kaum?« wirft er ihr entgegen.

      »Natürlich kennt er mich, Onkel. Er ist nur so sehr in eine Scheinwelt eingesponnen, daß er mich nicht sieht. Verstehst du das?«

      Ein Narr ist er – denkt Charly Harris, hütet sich aber, es auszusprechen. So antwortet er.

      »Nicht ganz, Liebling, doch ich will es versuchen. Willst du ihm helfen?«

      »Helfen? Ach, Onkel. Er würde von niemanden Hilfe annehmen.«

      Ihr unbedingtes Vertrauen zu ihm, ihr Wissen um seine Art erschüttert ihn.

      »Weshalb bist du denn hier? Nur, um ihm nahe zu sein?«

      Sie hebt hilflos die Schulter. »Ich weiß es nicht, Onkel«, flüstert sie, und ihm ist, als schwinge ein Schluchzen in ihrer Stimme mit.

      *

      Eines Tages tritt ein Fremder in die Bar »Zum Blauen Engel«. Er steuert auf den Bartisch zu, schwingt sich auf den Hocker und bestellt einen Drink bei Marion Wendler. Als sie ihm in die Augen sieht, erschrickt sie. Es sind dieselben dunklen glänzenden Augen, wie sie John Unger hatte. Es ist derselbe zwingende Blick, und sie fühlt sofort, daß dieser Mann ihr etwas bedeuten wird.

      Sie wirft einen schrägen Blick hin­über zu Frank Bendler, der unverwandt zu ihr herüber starrt und lehnt sich gegen den Glasschrank. »Trinken Sie ein Glas Sekt mit mir?« fragt der Fremde, und rein mechanisch nickt sie und öffnet die Flasche.

      »Auf Ihr Wohl, schöne Frau.« Der Mann neigt sich etwas zu Marion, und sie lächelt ihm über den Rand des Glases zu.

      »Ich war lange unterwegs«, erzählt der Mann ungezwungen. »Damals war die Bar in anderen Händen. Wer ist der jetzige Besitzer?«

      Marion Wendland macht eine unauffällige Bewegung hinüber zu Frank Bendler. Langsam dreht der Fremde sich um, unterzieht Bendler einer eingehenden Untersuchung und dreht sich ihr dann wieder zu. »Aus dem Laden ist etwas geworden. Gefällt mir. Früher war die Atmosphäre nicht so gepflegt und das Publikum nicht so auserwählt. Gestatten Sie…, er verneigt sich kurz, »mein Name ist William Reincke.«

      »Ach, von den Reincke-Werken?« fragt sie interessiert. Er lächelt.

      »Nur ein kleines Stückchen gehört mir davon. Wissen Sie –«, lacht er sie wie ein großer Junge an, »ich bin ein Außenseiter. Meine Brüder versehen die Leitung der Werke viel besser als ich.«

      »Sie waren im Ausland?« erkundigt sie sich weiter, und der Mann gefällt ihr von Minute zu Minute mehr.

      »Ja, bin wieder einmal ein bißchen durch die Welt gebummelt. Ich bin Forscher und interessiere mich für fremde Völker, für Naturvölker. Ich lebe mit ihnen und versuche ihre Sprache, ihre Sitten und Gebräuche zu verstehen.«

      Wieder trinkt er ihr zu, und er findet, daß er sich nicht jahrelang in der Fremde hätte herumtreiben brauchen, um eine Frau wie diese kennenzulernen.

      »Und nun sind Sie wieder einmal in die Heimat zurückgekehrt?«

      »Eigentlich war es nicht meine Absicht.« Sinnend dreht er das Glas in den Händen. »Mir fiel eine deutsche Zeitung in die Hände, allerdings war es eine alte Zeitung. Das Schicksal eines Freundes, eigentlich meines einzigen Freundes, hat mich hergetrieben.«

      »Das verstehe ich nicht.«

      »Ich auch nicht«, sagt er gedankenvoll und meint den Prozeß, den er in der Zeitung gelesen hat. »Mein Freund soll einen Mann erschossen haben und bekam dafür zwei Jahre Gefängnis. Das ist mir unbegreiflich, wie es zu dieser Tat kommen konnte –«

      Klirrend zerschellt Marion Wendlands Glas am Boden. Sie bückt sich rasch und liest die Scherben zusammen. Als sie hinter dem Bartisch auftaucht, ist ihr Gesicht leichenblaß.

      »Du lieber Gott, wegen eines zerschlagenen Glases brauchen Sie doch nicht so zu erschrecken? Der Schaden ist wiedergutzumachen.« Marion Wendlands Herz arbeitet wie ein Hammer in der Brust.

      »Sehen Sie, meine Gnädigste«, fährt er redselig fort, »da ergeht es meinem Freund Karsten doch viel schlechter –«

      Marion Wendland ist mit einem schwachen Laut zusammengesunken. Die anderen Bardamen und der Mixer bemühen sich um sie. Nach Sekunden öffnet sie die graugrünen Augen verständnislos. Sie erkennt sofort den Mann mit den dunklen, zwingenden Augen, der sich besorgt über sie neigt.

      »Nanu, sind wir wieder da?« fragt er gemacht fröhlich. Seine Stimme hat einen guten, warmen Klang, und sie lauscht hinter ihr her. Karsten! Hat er nicht Karsten gesagt?

      »Mir ist sehr elend«, ringt es sich von ihren blassen Lippen und von den anderen unterstützt, erhebt sie sich vom Boden. »Ich werde Schluß machen.«

      Sie reicht William Reincke die Hand. »Vielleicht kommen Sie einmal wieder.«

      »Ganz gewiß«, versichert er und kann seine Enttäuschung über ihren Weggang schlecht verbergen.

      Er zahlt und verläßt die Bar. Draußen besteigt er seinen Wagen und braust durch die lauwarme Sommernacht seinem Elternhaus zu. Das Haus, massig, für Generationen erbaut, liegt tief und dunkel im Park.

      Bewohner und Tiere liegen im ersten Schlaf. Er bringt den Wagen in der abseits liegenden Garage unter und schlendert durch den Park zum Hause. Leise öffnet er die schwere Tür, und leise sucht er seine Zimmer in der ersten Etage im linken Seitenflügel auf. Alles ist noch wie früher.

      Bevor er ins Bett schlüpft,

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