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schlägt die Röte ins Gesicht. »Schweigen Sie«, herrscht er die Frau an und verliert erstmals die Nerven. »Noch heute verlasse ich das Zimmer.«

      Ohne die reglos am Türrahmen lehnende Frau weiter zu beachten, die jede seiner Hantierungen mit Neugier beobachtet, holt er den Lederkoffer vom Schrank.

      »Und wie ist es mit der restlichen Miete?« hört er sie plötzlich sagen.

      »Und passen Sie auf, daß ich nicht das Kopfkissen aus Versehen mit einpacke«, sagt er voll eisigen Hohns. »Schreiben Sie auf, was Sie zu bekommen haben. Aber bitte, sofort.«

      Ihm brennt der Boden unter den Füßen. Tatsächlich verläßt sie ihn, kehrt aber im Handumdrehen mit einem Zettel zurück. »Da, die Abrechnung.«

      Ohne zu überprüfen, legt er das Geld vor sie hin. Erst als er auf der Straße steht, fällt ihm ein, daß er noch einige Sachen auf seiner Arbeitsstelle liegen hat. Also muß er den Weg, der ihm sehr schwer wird, antreten.

      Erich Meier hat inzwischen seine Papiere und den restlichen Lohn fertig gemacht. Schweigend drückt er es Karsten in die Hand.

      »Alles Gute, Karsten.«

      »Danke«, würgt dieser hervor. Er überquert den Vorplatz und biegt in die Straße ein. Er geht langsam, wie ein Mensch, der sehr viel Zeit hat – oder wie einer ohne Ziel.

      Der Himmel ist von grauen Wolken bedeckt, die fast bis zur Erde hängen. Die ganze Landschaft ist in Grau gehüllt. Ihn fröstelt. Er hat nur seinen dünnen Sommermantel an, und der Wind treibt ihm die ersten Regentropfen ins Gesicht.

      Das alles spürt er kaum. Am Abend kehrt er in einem abseits gelegenen Gasthof ein, nimmt ein einfaches Zimmer, läßt sich einen Tee bringt und schlüpft in das Bett.

      Schlafen möchte er! Schlafen und nicht mehr denken. Aber es kommt kein barmherziger Schlaf. Unaufhörlich kreisen seine Gedanken, beschäftigen sich mit der jüngsten Vergangenheit und mit dem, was er so gern vergessen möchte. Erst gegen Morgen fällt er in einen bleiernen Schlummer, wacht schon bald wieder auf und verläßt das Haus, das ihm für eine Nacht Schutz gewährt hat.

      Wieder die Landstraße! Wieder dieses endlose Dahinwandern. So geht das Tag um Tag. Das Geld ist ausgegeben, bei aller Sparsamkeit. Der Hunger wütet in ihm. Aber er meint, die seelische Belastung sei viel schwerer als Hunger und Durst.

      Zuletzt landet er im Obdachlosenheim! Fremde und Verzweifelte. Geschöpfe wie er, heimatlos und irgendwie entwurzelt. Zwei Tage hält er es aus, dann zieht er weiter.

      Am dritten Tag kehrt er wieder zurück und wird nicht aufgenommen. Nach dem Gesetz kann man ihm nur eine bestimmte Zeit ein Dach über dem Kopf bieten.

      Gesetze! Er lacht bitter auf und hetzt davon. Was sind das für Gesetze, die die Menschen auf die Straße treiben, die sie in eine grundlose Verzweiflung stürzen?

      Karsten führt ununterbrochen Selbstgespräche. Alles in ihm lehnt sich gegen diese Behandlung auf. Er denkt an Milli Bothe. An die gute, hilfsbereite Seele, und sofort wird er weich gestimmt. Dann sieht er wohl auch ein zartes Frauenantlitz mit leuchtenden Augen vor sich, und er weiß, auch diese Frau nimmt Anteil am Leid anderer.

      Gleich darauf lacht er vor sich hin. Woher glaubt er das? Steht hinter ihr auch etwas, was er nicht enträtseln kann, wie bei Marion?

      Ach, Marion! Wo bist du? Wo kann ich dich finden?

      Schließlich verwirren sich seine Gedanken. Sein Schritt wird langsamer und langsamer. Sein Koffer ist nicht mehr federleicht, er drückt ihn zu Boden, als sei er mit Steinen bepackt.

      Er fröstelt. Dann wieder treibt es ihm den Schweiß aus allen Poren.

      Er lehnt sich gegen den Stamm einer Birke, schwer atmend, und fühlt dabei schmerzhafte Stiche in der Brust.

      Der Wind fegt eisig durch die kahlen Äste. Er singt ein schauriges Lied. Seine Gedanken verwirren sich immer mehr. Er steht auf einem Neubau, er geht mit schnellen, beschwingten Schritten durch die geschaffenen Räume. Er hört das Hämmern und Klopfen. Auch das ist Musik für ihn. Er sieht grelles Licht und schließt die Augen.

      Er hört einen Motor brummen, immer lauter, immer lauter. Er glaubt, es sei sein eigener Wagen. Er taumelt vorwärts, mitten hinein in den hellen Lichtschein und sinkt zusammen, er fällt in eine bodenlose Tiefe. Nichts ist mehr da, kein Schmerz, keine verwirrenden Gedanken. Alles ist weich und warm, und er schmiegt sich wie ein Kind in diese umhüllende Wärme…

      *

      Täglich sieht William Reincke die rotblonde Frau, zu der es ihn mit unwiderstehlicher Macht hinzieht. Mehr­mals in der Woche treffen sie sich außerhalb.

      Sie weiß längst, daß er sie liebt und begehrt. Und sie spielt mit ihm. Es ist das alte, prickelnde Spiel, wie die Katze mit der Maus. Sie ahnt nur nicht, wie gefährlich es ist, denn Frank Bendler beobachtet sie scharf.

      Er kennt diese Zusammenkünfte, wenngleich sie tausend Ausreden erfindet, um ihn zu besänftigen.

      Ob dieses neue Gefühl Liebe ist? Sie kennt sich selbst nicht mehr aus. Sie weiß nur, daß sie jedem Wiedersehen mit Reincke entgegenfiebert.

      Immer noch ist es ihr gelungen, ihn in Schach zu halten, wenn es in seinen Augen zu flimmern beginnt, wenn seine Stimme dunkel vor Erregung wird und er den Blick ihrer Augen sucht.

      »Eigentlich hatte ich vor, nicht zu kommen«, sagt sie. »Wer fährt schon bei solchem Wetter aus? Sie sind wahrhaftig ein Dickkopf.«

      »Sie können mich auch einmal zu sich einladen«, gibt er lachend zu­rück, dabei schließt er mit einem Ruck die Tür und läßt den Wagen losbrausen. »Überhaupt –«, spricht er schnell weiter, »weiß ich sehr wenig von Ihnen. Sie weichen mir immer aus, wenn ich persönliche Dinge berühre. Dabei kennen wir uns doch schon ziemlich lange.«

      Sie schweigt und blickt starr geradeaus.

      »Beleidigt?« fragt er, da sie nicht antwortet.

      »Was wollen Sie denn alles wissen?«

      »Zum Beispiel, ob es schon einmal einen Mann in Ihrem Leben gegeben hat, der Ihnen so bedingungslos ergeben war, wie ich es bin.«

      »Komisch seid ihr Männer«, spricht sie spöttisch. »Immer müßt ihr in der Vergangenheit einer Frau suchen. ­Warum nicht die Gegenwart genießen?«

      »Ich suche nicht in Ihrer Vergangenheit«, wehrt er ernst ab. »Langsam komme ich mir wie ein Trottel vor. Ich gebe allen Ihren Wünschen nach, und Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich Sie liebe.«

      »Wieviel Frauen haben Sie das schon gesagt?« spöttelt sie, aber ihr ist, als würde eine Faust ihre Kehle umspannen.

      »Ach, es sind schon einige.« Plötzlich verringert er das Tempo und wirft ihr einen ernsten, prüfenden Blick zu. »Aber bei keiner habe ich es so ernst gemeint wie bei Ihnen, Marion.«

      »Danke schön«, sagt sie kurz und lehnt sich mit einem tiefen Atemzug bequemer zurück. »Und Sie meinen, ich müßte Sie nun auch lieben?«

      »Ich wünsche es mir«, sagt er einfach. Sie zögert, dann legt sie ihre Hand auf seine Finger, die das Lenkrad umspannen.

      »Lassen Sie mir etwas Zeit, William«, spricht sie leise. Sie ist ratlos, wie noch nie. Auf der einen Seite Frank Bendler, den sie braucht. Auf der anderen Seite der Mann, zu dem es sie hinzieht.

      Sie kuschelt sich wie ein Kätzchen in das weiche Polster. Es ist doch schön, zu wissen, daß sie begehrt wird.

      »Und was bedeutet Ihnen Frank Bendler?«

      Diese Frage trifft sie ganz überraschend. Aber auch so rasch hat sie sich wieder gefaßt.

      »Sie wissen doch, er ist Besitzer des ›Blauen Engels‹«, lügt sie ohne Bedenken. »Ich arbeite bei ihm, sonst nichts.«

      »Er liebt Sie aber.«

      Sie erschrickt vor seinem Blick, lacht aber im nächsten Augenblick leise auf. »Was Sie nicht alles

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