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Schülerinnen. Ein Bittbrief um Stunden erwartete mich schon, als ich zum Beginn meines Studiums aus Chemnitz kam. Das Honorar für meine Tätigkeit lieferte ich meiner Mutter ab. Sie nahm den ersten Verdienst ihrer Jüngsten mit freudigem Stolz entgegen. Er wurde gar nicht wie gewöhnliches Geld behandelt, d.h. er durfte nicht ausgegeben werden. Weihnachten 1911 wollte ich von dem Ersparten mit Erna zusammen eine Winterfahrt ins Riesengebirge machen. Meine Mutter stimmte bereitwillig zu und gab uns auch noch Rosa mit. Die Kosten aber bestritt sie aus ihrer Tasche, und mein Schatz blieb unangetastet. Freilich wurde er nicht in einen Strumpf gesteckt. Alles bare Geld kam bei uns sofort in den Geschäftsbetrieb und wurde uns »gutgeschrieben«. Wir hatten alle ein eigenes Konto im Geschäft. Unsere Großmutter Stein hatte jeder von uns einige Tausend Mark hinterlassen. Als unter der Leitung unserer Mutter das Geschäft aufgeblüht und etwas Grundbesitz erworben war, erhöhte sie diese Konten auf je 10000M. In den Jahren, in denen ich außerhalb studierte und später ohne entsprechende Einnahmen wissenschaftlich arbeitete, bestritt ich meine Ausgaben von diesem Konto. Ich war erst in Göttingen, dann in Freiburg bei der Dresdner Bank akkreditiert; meine Abhebungen wurden mit unserer Firma verrechnet. Als ich einmal meine Schwester Frieda fragte, ob mein Vermögen nicht längst aufgebraucht sei, antwortete sie, eigentlich wäre es so, aber meine Mutter hätte bei jedem Jahresabschluß die zusammengeschmolzene Summe auf die alte Höhe ergänzt. Während des Krieges wurde zum erstenmal ein größeres Barkapital auf der Bank angesammelt. Unser Geschäft war besser als andere mit ausländischen Hölzern eingedeckt; so war der Absatz groß, und die eingehenden Summen konnten nicht wieder in Waren angelegt werden, weil nichts über die Grenzen hereinkam. Kriegsanleihen und Inflation haben dieses Vermögen aufgezehrt.

      3.

      Wenn ich auf alles das zurückblicke, was ich in meinen ersten Semestern trieb, dann frage ich mich selbst, wo ich die nötige Zeit zum Studium hernahm. Tatsächlich füllte es aber doch meine Tage aus. Die Privatstunden legte ich möglichst auf den frühen Morgen oder auf die Zeit vor dem Nachtessen. Die andern Veranstaltungen waren abends. So behielt ich den Tag frei, und ich nützte ihn gut aus. In den ersten Semestern war meine Hauptarbeitsgefährtin Kaethe Scholz. Als sie später nach Paris ging, trat an ihre Stelle Eduard Metis. Ich lernte ihn bei den sehr seltenen Sitzungen des Akademischen Humboldt-Vereins kennen, die er als Vorsitzender leitete. Ich schenkte ihm dabei ebenso wenig Beachtung wie den andern Anwesenden. Es wurden bei diesen Sitzungen nur geschäftliche Dinge – die Verteilung der Kurse u. dgl. – besprochen, und ich war froh, wenn sie vorbei waren. Am Ende des Sommersemesters 1912 wurde ein Sommerfest für die Kursteilnehmer und ihre Familien veranstaltet. Ich liebte solche Volksbelustigungen nicht, aber es war Anstandspflicht gegen die Hörerschaft mitzutun. So fuhr ich nachmittags mit hinaus ins Freie und suchte das Beste aus der Sache zu machen. Vor allem beteiligte ich mich an den Spielen der Kinder auf dem Rasen. Als es dunkel wurde, brachen Mütter und Kinder auf. Die Zurückbleibenden rüsteten sich zum Tanz.

      Das war auch für mich das Zeichen zum Aufbruch. Als ich sah, daß auch Herr Metis sich zurückziehen wollte, schlug ich ihm vor, den Weg zur Stadt zu Fuß zurückzulegen. Denn es strömten große Scharen zum Bahnhof, und ich hatte wenig Lust, mich jetzt in ein überfülltes Abteil zu setzen. Er willigte sehr gern ein. So wanderten wir allein durch den warmen, mondhellen Sommerabend. Ich weiß nicht, wovon wir sprachen. Ich empfand die Stille auf dem einsamen Feldweg wohltuend, und wir freuten uns beide wie die Kinder, als in der Ferne ein Zug, von dem man nur noch die Lichter sah, wie eine leuchtende Schlange durch die Nacht fuhr. An der Endstation der Straßenbahn stiegen wir in die Tram, da ich von dort noch einen weiten Weg hatte. Unterwegs bemerkte mein Begleiter, der Heimweg sei das Schönste an der ganzen Veranstaltung gewesen. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, weil mir Ruhe immer lieber war als große Menschenansammlungen. Ich behielt eine angenehme Erinnerung an den nächtlichen Spaziergang. Als etwas Außergewöhnliches war er mir nicht erschienen.

      Bald darauf machten wir unsere Ferienreise nach Grunwald. Nach unserer Rückkehr erhielt ich eines Tages ein kurzes Briefchen von Herrn Metis, in dem er mich bat, an einem bestimmten Tage, wenn ich gerade in der Universität zu tun hätte, ins Germanistische Seminar hineinzusehen; er hätte mir etwas zu sagen, und ich würde ihn dort treffen. Ich nahm an, daß es sich um die Arbeiterkurse handle, und ging im Vorbeigehen ins Germanistische Seminar, wo ich mich sonst nicht viel aufhielt. Die geschäftlichen Mitteilungen, die mir Herr Metis machte, waren unbedeutend. Als sie erledigt waren, fragte er, ob ich jetzt mit ihm in den Scheitniger Park hinausfahren wolle. Ich merkte, daß er sich dazu innerlich einen Ruck gab und sich sehr kühn vorkam. Das amüsierte mich. Was war denn das Großes, in den Ferien einen kleinen Spaziergang zu machen? Ich ließ mir aber nichts anmerken und sagte leichthin zu. Auf diesem Spaziergang lernte ich den guten Jungen erst richtig kennen. Er war das einzige Kind seiner Eltern, von seiner zärtlichen Mutter übersorgfältig gehütet und bisher von jedem weiblichen Verkehr ängstlich ferngehalten. Auch unter einer Studentin stellte sie sich offenbar etwas sehr Gefährliches vor, und jener nächtliche Spaziergang hatte sie wohl sehr erschreckt. Tatsächlich hatte er auf das empfängliche Gemüt des unschuldigen jungen Menschen einen tiefen Eindruck gemacht; die Erinnerung hatte ihn die ganzen Wochen seither nicht losgelassen. Als ich das merkte, wurde mir klar, daß ich jetzt vorsichtig sein müsse. Kurz darauf schlug mir Metis – wieder schriftlich – den gemeinsamen Besuch einer Stadtverordnetensitzung vor, in der über Theaterfragen verhandelt werden sollte. Diesmal ging ich nicht hin. Ich sagte ab und benützte den Brief, um ihm meinen »Standpunkt« klar zu machen: An einen kameradschaftlichen Verkehr mit Kommilitonen sei ich gewöhnt und auch ihm gegenüber dazu bereit; jeden andern Gedanken aber müsse er aufgeben. Dieser Vorschlag wurde angenommen, und erstaunlicherweise glückte es dem neuen Freunde, die aufkeimende Neigung zu unterdrücken, obwohl wir uns nun fast täglich in der Universität trafen und viel zusammen arbeiteten. Ich habe nie etwas abzuwehren brauchen.

      Noch in den Ferien fingen wir an, zusammen sehr energisch Gotisch zu treiben, da wir zu Beginn des Wintersemesters in die Oberstufe des Germanistischen Seminars aufgenommen werden wollten und in der Aufnahmeprüfung gründliche Kenntnis des Gotischen nachweisen mußten. Wir lasen den ganzen Evangelientext des Ulfila durch; um das Übersetzen ins Gotische zu üben, machten wir uns gegenseitig Texte zurecht. Außer Deutsch hatten wir kein Fach gemeinsam. Er hatte daneben neue Sprachen, das Thema für die Doktorarbeit ließ er sich aus der deutschen Literatur geben (über Gutzkows Dramen). Nach Semesteranfang schlug er mir vor, daß wir uns jede Woche einmal auf einem Spaziergang Rechenschaft über unsere Vorlesungen geben sollten. Allerdings war er dann immer beschämt, weil er mir nur einige trockene philologische Daten zu bringen hatte, während ich die interessantesten philosophischen und historischen Vorträge halten konnte und immer viel mehr Stoff hatte, als sich in unserer Zeit unterbringen ließ. Er prophezeite mir damals schon ein glänzendes Examen. Auch Herr Dr. Popp hatte das schon getan; er stützte sich dabei allerdings weniger auf den Nachweis meiner Kenntnisse als auf sein psychologisches Urteil, das mir die geeignete Examensnatur zusprach.

      Eduard Metis betätigte sich neben dem Studium schon etwas als Journalist. Er hatte feste Verbindungen zur Breslauer Zeitung, dem alten liberalen Blatt, das in fast allen jüdischen Familien gelesen wurde. Die Sonntagsnummer brachte regelmäßig eine Literaturbeilage, und darin fanden sich meist einige Buchbesprechungen, die E.M. gezeichnet waren. Natürlich las ich sie jetzt mit doppeltem Interesse, seit ich den Verfasser kannte. Es war ihm auch immer sehr wichtig, mein Urteil über diese ersten literarischen Versuche zu hören. Einmal fand ich in der Besprechung eines Novellenbandes erotische Dinge in etwas frivolem Tone behandelt. Das regte mich sehr auf. Ich hatte diesen freundschaftlichen Verkehr aufgenommen in dem festen Vertrauen, es mit einem ganz reinen Menschen zu tun zu haben. Sollte ich mich getäuscht haben? Dann wäre es mit der Freundschaft aus. Ich wollte nicht mit Leuten umgehen, die in diesem Punkte nicht ganz sauber wären. Erna hatte mit Hans Biberstein einmal eine Aussprache über solche Fragen gehabt, und wir waren hinterher beide sehr glücklich, daß wir uns auf ihn verlassen konnten. Ich wollte auch jetzt der Sache auf den Grund gehen. Als wir uns am nächsten Tage in einer Freistunde trafen, mußte der Arme eine gehörige Predigt über sich ergehen lassen. Er hörte sie ganz still an und war vielleicht noch erregter als ich. Als ich fertig war, erklärte er mir, es sei ihm äußerst peinlich gewesen, solche Dinge berühren zu müssen, und er hätte möglichst schnell darüber hinwegkommen wollen. Dazu hatte er den üblichen leichten Journalistenton

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