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Er wollte nur genau angeben, wer er war. Die Húchette war nämlich ein Rittergut in der Nähe von Yonville, das er samt zwei Meiereien unlängst gekauft hatte. Er bewirtschaftete es selber, jedoch ohne sich allzusehr dabei anzustrengen. Er war Junggeselle und hatte »so mindestens seine fünfzehntausend Franken« im Jahr zu verzehren.

      Karl begab sich in sein Sprechzimmer hinunter. Boulanger überwies ihm seinen Knecht, der einen Aderlaß wünsche, weil er am ganzen Körper ein Kribbeln wie von Ameisen habe.

      »Das wird mich erleichtern«, wiederholte der Bursche auf alle Einwände. Bovary ließ sich nunmehr eine Leinwandbinde und eine Schüssel bringen. Er bat Justin, behilflich zu sein.

      Dann wandte er sich an den Knecht, der schon ganz blaß geworden war.

      »Nur keine Angst, mein Lieber!«

      »Ach nee, Herr Doktor, machen Sie nur los!« erwiderte er.

      Dabei hielt er mit prahlerischer Gebärde seinen dicken Arm hin. Unter dem Stich der Lanzette sprang das Blut hervor und spritzte bis zum Spiegel hin.

      »Die Schüssel!« rief Karl.

      »Donnerwetter!« meinte der Knecht. »Das ist ja der reine Springbrunnen! Und wie rot das Blut ist! Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?«

      Bei diesen Worten sank der Mann mit einem Ruck in den Sessel zurück, daß die Lehne krachte.

      »Das hab ich mir gleich gedacht!« bemerkte Bovary, indem er mit den Fingern die angestochne Ader zudrückte. »Erst gehts ganz gut, dann kommt die Ohnmacht, gerade bei solchen robusten Kerlen wie der da!«

      Die Schüssel in Justins Händen geriet ins Schwanken. Die Knie schlotterten ihm; er wurde leichenfahl.

      »Emma! Emma!« rief der Arzt.

      Mit einem Satze war sie die Treppe hinunter.

      »Essig!« rief ihr Karl zu. »Ach du mein Gott! Gleich zweie auf einmal!«

      In seiner Aufregung konnte er kaum den Verband anlegen.

      »‘s ist weiter nichts!« meinte Boulanger gelassen, der Justin aufgefangen hatte. Er setzte ihn auf die Tischplatte und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Wand.

      Frau Bovary machte sich daran, dem Ohnmächtigen das Halstuch aufzuknüpfen. Der Knoten wollte sich nicht gleich lösen, und so berührte sie ein paar Minuten lang leise mit ihren Fingern den Hals des jungen Burschen. Dann goß sie Essig auf ihr Batisttaschentuch, betupfte ihm ein paarmal behutsam die Schläfen und blies dann ein wenig darauf.

      Der Knecht war bereits wieder munter, aber Justins Ohnmacht dauerte an. Seine Augäpfel verschwammen in ihrem bleichen Gallert wie blaue Blumen in Milch.

      »Er darf das da nicht sehen!« ordnete Karl an.

      Frau Bovary ergriff die Schüssel und setzte sie unter den Tisch. Bei diesem Sichbücken bauschte sich ihr Rock (ein weiter gelber Rock mit vier Falbeln) um sie herum und stand wie steif auf der Diele, und je nach der Bewegung Emmas, die sich neigte, die Arme ausstreckte und sich dabei in den Hüften ein wenig hin und her drehte, wogte der Stoff auf und nieder. Dann nahm sie eine Wasserflasche und löste ein paar Stück Zucker in einem Glase.

      In diesem Augenblicke trat der Apotheker ein. Das Mädchen hatte ihn vor Schreck herbeigeholt. Als er seinen Gehilfen wieder bei Bewußtsein sah, atmete er auf. Dann ging er um ihn herum und betrachtete sich ihn von oben bis unten.

      »Dummkopf!« brummte er. »Ein Dummkopf, wie er im Buche steht! Als obs wer weiß was wäre! Ein bißchen Aderlaß! Weiter nichts! Und das will ein forscher Kerl sein! Ja, wenn es gilt, von den höchsten Bäumen die Nüsse herunterzuholen, da klettert er wie ein Eichhörnchen … Na, tu deinen Mund auf und zeig dich mal in deiner Gloria! Das sind ja nette Eigenschaften für einen, der mal Apotheker werden will! Ich sage dir: als Apotheker kommt man in die schwierigsten Lagen. So zum Beispiel vor Gericht als Sachverständiger. Da heißt es kaltblütig sein, hübsch ruhig überlegen und ein ganzer Mann sein! Sonst gilt man als Schwachmatikus….«

      Justin sagte kein Wort. Der Apotheker fuhr fort:

      »Wer hat dir denn übrigens gesagt, daß du hierher gehen sollst? In einem fort belästigst du Herrn und Frau Doktor! Noch dazu an den Markttagen, wo du drüben so notwendig gebraucht wirst! Es warten zurzeit zwanzig Kunden im Laden. Deinetwegen habe ich alles stehn und liegen lassen. Marsch! Hinüber! Trab! Gib auf die Arzneien acht! Ich komme gleich nach!«

      Als Justin seine Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte und fort war, plauderte man noch ein wenig über Ohnmachtanfälle. Frau Bovary sagte, sie hätte noch nie einen gehabt.

      »Ja, bei Damen kommt so was sehr selten vor!« behauptete Boulanger. »Es gibt aber auch Leute, die allzu zimperlich sind. Da hab ich gelegentlich eines Duells erlebt, daß ein Zeuge ohnmächtig wurde, als die Pistolen beim Laden knackten.«

      »Was mich anbelangt,« erklärte der Apotheker, »mich stört der Anblick fremden Blutes ganz und gar nicht. Aber der bloße Gedanke, ich selber könne bluten, der macht mich schwindlig, wenn ich nicht schnell an was andres denke.«

      Inzwischen hatte Boulanger seinen Knecht fortgeschickt, nachdem er ihn ermahnt, sich nun zu beruhigen.

      »Nun ists aber alle mit der Einbildung!« sagte er ihm. »Die hat mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschafft«, fügte er hinzu. Bei dieser Phrase blickte er Emma an. Dann legte er einen Taler auf die Tischecke, grüßte flüchtig und verschwand.

      Bald darauf erschien er drüben auf dem andern Ufer des Baches. Das war sein Weg nach der Hüchette. Emma sah ihm von einem der Hinterfenster nach, wie er über die Wiesen ging, die Pappeln entlang, langsam wie einer, der über etwas nachdenkt.

      »Allerliebst!« sagte er bei sich. »Wirklich allerliebst, diese Doktorsfrau. Schöne Zähne, schwarze Augen, niedliche Füße und schick wie eine Pariserin! Zum Teufel, wo mag sie her sein? Wo mag sie dieser Schlot nur aufgegabelt haben?«

      Rudolf Boulanger war vierunddreißig Jahre alt von roher Gemütsart und scharfem Verstand. Er hatte sich viel mit Weibern abgegeben und war Kenner auf diesem Gebiete. Die da gefiel ihm. Somit beschäftigte sie ihn in Gedanken, ebenso ihr Mann.

      »Ich glaube, er ist mordsblöde. Sie hat ihn satt, zweifelsohne. Er hat dreckige Fingernägel und rasiert sich nur aller drei Tage. Wenn er seine Patienten abzurennen hat, sitzt sie daheim und stopft Strümpfe. Und langweilt sich. Sehnt sich nach der großen Stadt und möchte am liebsten alle Abende auf den Ball. Arme kleine Frau! So was schnappt nach Liebe wie ein Karpfen auf dem Küchentisch nach Wasser! Drei nette Worte, und sie ist futsch! Sicherlich! Das wär was fürs Herze! Scharmant! Aber wie kriegt man sie hinterher wieder los?«

      Diese Einschränkung des in der Ferne stehenden Genusses erinnerte ihn – zum Kontrast – an seine Geliebte, eine Schauspielerin in Rouen, die er aushielt. Er vergegenwärtigte sich ihren Körper, dessen er sogar in der Vorstellung überdrüssig war.

      »Ja, diese Frau Bovary,« dachte er bei sich, »die ist viel hübscher, vor allem frischer. Virginie wird entschieden zu fett. Sie zu haben, ist langweilig. Dazu ihre alberne Leidenschaft für Krebse!«

      Die Fluren waren menschenleer. Rudolf hörte nichts als das taktmäßige Rascheln der Halme, die er beim Gehen streifte, und das ferne Gezirpe der Grillen im Hafer. Er schaute Emma vor sich, in ihrer Umgebung, angezogen, wie er sie gesehen hatte. Und in der Phantasie entkleidete er sie.

      »Oh, ich werde sie haben!« rief er aus und zerschlug mit einem Schlage seines Spazierstockes eine Erdscholle, die im Wege lag.

      Sodann überlegte er sich den taktischen Teil der Unternehmung. Er fragte sich:

      »Wie kann ich mit ihr zusammenkommen? Wie bring ich das zustande? Sie wird egal ihr Baby im Arme haben. Und dann das Dienstmädel, die Nachbarn, der Mann und der unvermeidliche Klatsch! Ach was! Unnütze Zeitvergeudung!«

      Nach einer Weile begann er von neuem:

      »Sie hat Augen, die einem wie Bohrer in das Herz dringen! Und wie blaß sie ist … Blasse Frauen sind meine Schwärmerei!«

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