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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Gustave Flaubert
Год выпуска 0
isbn 9788027209903
Автор произведения Гюстав Флобер
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Wie geht es Ihnen?« erkundigte er sich.
»Schlecht!« antwortete Emma.
»Ja, ja! Ganz wie mir«, erwiderte der Priester. »Die ersten warmen Tage machen einen unglaublich matt, nicht wahr? Aber es ist nun einmal so! Wir sind zum Leiden geboren, wie Sankt Paulus sagt. Und wie denkt Herr Bovary darüber?«
»Ach der!« Sie machte eine verächtliche Gebärde.
»Was?« erwiderte der ehrwürdige Mann ganz erstaunt. »Verordnet er Ihnen denn nichts?«
»Ach,« meinte sie, »irdische Heilmittel, die nutzen mir nichts.« Trotzdem sich der Geistliche unterhielt, warf er seinen Blick doch hin und wieder in die Kirche, wo die Jungen, die niedergekniet waren, sich gegenseitig mit den Schultern anrempelten, so daß sie reihenweise wie die Kegel umpurzelten.
»Ich möchte gern wissen …«, fuhr Emma fort.
»Warte nur, Boudet, warte du nur!« unterbrach sie der Priester in zornigem Tone. »Ich werde dich gleich an den Ohren kriegen, du Schlingel, du!« Zu Emma gewandt, fügte er hinzu: »Das ist der Junge vom Zimmermann Boudet. Seine Eltern sind schwache Leute; sie lassen dem Jungen die größten Narrenpossen durch. Der Bengel könnte sehr wohl was lernen, wenn er nur wollte, denn er ist gar nicht dumm … Na, und wie gehts dem Herrn Gemahl?«
Emma tat, als ob sie die Frage überhört hätte. Der Geistliche fuhr fort:
»Immer tüchtig beschäftigt, nicht wahr? Ja, ja! Er und ich, wir beiden haben im Kirchspiel zweifellos am meisten zu tun….« Er lachte behäbig, »… er als Arzt des Leibes und ich der Seele.«
Emma schaute ihn flehentlich an.
»Sie! Ja!« sagte sie. »Sie heilen alle Wunden!«
»Oh! Sprechen Sie nicht so, Frau Bovary! Gerade heute vormittag, da bin ich nach Bas-Diauville gerufen worden, zu einer wassersüchtigen Kuh. Die Leute glaubten, das Tier sei verhext. Merkwürdig! Alle Kühe da … Verzeihen Sie mal! – Longuemarre und Boudet! Zum Donnerwetter! Wollt ihr stille sein!« Mit einem großen Satze war er drinnen in der Kirche.
Da flohen die Knaben hinter das Meßpult oder kletterten auf den Sitz des Vorsängers. Andre verkrochen sich in den Beichtstuhl. Aber der Pfarrer teilte behend rechts und links einen Hagel von Backpfeifen aus; einen der Jungen packte er am Rockkragen, hob ihn in die Luft und duckte ihn dann in die Knie, als ob er ihn mit aller Gewalt in die Steinfliese hineindrücken wollte.
»So!« sagte er zu Frau Bovary, als er wieder bei ihr war, während er sein großes Kattuntaschentuch entfaltete und sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Die Landleute sind recht zu bedauern….«
»Andre Leute auch«, meinte sie.
»Gewiß! Die Arbeiter in den Städten zum Beispiel.«
»Die meine ich nicht.«
»Erlauben Sie mir! Ich habe unter ihnen Familienmütter kennen lernen, ehrbare Frauen, ich sage Ihnen: wahre Heilige. Und sie hatten nicht einmal das tägliche Brot.«
»Ich meine solche,« fuhr Emma fort, und ihre Mundwinkel zitterten, während sie sprach, »solche, Herr Pfarrer, die zwar ihr täglich Brot haben, aber kein …«
»Kein Holz im Winter …«, ergänzte der Priester.
»Ach, was liegt daran?«
»Was daran liegt? Mich dünkt, wer gut zu essen hat und eine warme Stube … denn schließlich …«
»O du mein Gott!« seufzte Emma.
»Ist Ihnen nicht wohl?« fragte er, indem er sich ihr besorgt näherte. »Gewiß Magenbeschwerden? Sie müssen heimgehen, Frau Bovary, und eine Tasse Tee trinken! Das wird Sie kräftigen. Oder vielleicht lieber eine Limonade?«
»Wozu?«
Sie sah aus, als erwache sie aus einem Traume.
»Sie faßten mit der Hand nach Ihrer Stirn, und da glaubte ich, es sei Ihnen schwindlig.« Er besann sich. »Aber wollten Sie mich nicht etwas fragen? Mir ist es so. Was war es denn?«
»Ich? Nichts … oh, nichts!« stammelte Emma.
Ihr Blick, der in der Ferne verweilt hatte, fiel müd auf den alten Mann in der Soutane. Sie sahen sich beide in die Augen, ohne etwas zu sagen.
»Dann entschuldigen Sie, Frau Bovary«, sagte er nach einer Weile. »Die Pflicht ruft mich. Ich muß zu meinen Taugenichtsen da. Die erste Kommunion rückt heran. Ich fürchte, sie überrumpelt uns. Seit Himmelfahrt behalte ich die Kinder alle Mittwoch eine Stunde länger hier. Die armen Kleinen! Man kann sie nicht früh genug auf den Weg des Herrn leiten, wie es Gottes Sohn uns ja anbefohlen hat … Recht gute Besserung, Frau Doktor! Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrem Herrn Gemahl!«
Damit trat er in die Kirche, nachdem er an der Schwelle das Knie gebeugt hatte. Emma sah ihm nach, bis er zwischen den Bänken verschwand. Er ging schwerfällig, den Kopf ein wenig eingezogen, die beiden Hände in segnender Haltung.
Sie wandte sich um, mit einem kurzen Ruck. wie eine Figur auf einer Drehscheibe, und schickte sich an, nach Hause zu gehen. Eine Weile hörte sie hinter sich noch die rauhe Stimme des Geistlichen und die hellen Antworten der Knaben….
»Bist du ein Christ?«
»Ja, ich bin ein Christ.«
»Wer ist ein Christ?«
»Wer getauft ist und …«
Zu Haus stieg sie die Treppe hinauf, wobei sie sich am Geländer festhielt. In ihrem Zimmer angekommen, sank sie in ihren Lehnstuhl.
Das Licht des hellen Abends draußen flutete weich durch die Scheiben herein. Die Möbel schlummerten still auf ihren Plätzen, halb versunken in den Schatten der Dämmerung wie in einen schwarzen Weiher. Im Kamin war die Glut erloschen, und eintönig tickte die Uhr immerzu. Diese Ruhe der Dinge hier um sich herum empfand Emma als einen wunderlichen Kontrast zu dem wilden Sturm in ihrem Innern….
Vom Nähtischfenster her tappte die kleine Berta in ihren gewirkten Schuhchen und versuchte zu ihrer Mutter zu gelangen. Sie haschte nach den Bändern ihrer Schürze.
»Laß mich!« sagte Emma und wehrte das Kind mit der Hand ab.
Aber die Kleine kam noch näher und schmiegte sich an ihre Knie. Sie umfaßte sie mit ihren Ärmchen und schaute mit ihren großen blauen Augen zur Mutter auf. Dabei liefen ein paar Tropfen Speichel aus dem Munde des Kindes auf Emmas seidne Schürze.
»Laß mich!« wiederholte die junge Mutter sehr unwillig.
Ihr Gesichtsausdruck erschreckte das Kind. Es begann zu schreien.
»Aber so laß mich doch!« sagte Emma barsch und stieß ihr Kind mit dem Ellenbogen zurück.
Berta fiel gegen die Kommode, gerade auf den Messingbeschlag, der ihr die Wange ritzte, so daß sie blutete. Frau Bovary stürzte auf das Kind zu und hob es auf. Dann riß sie heftig am Klingelzug und rief das Dienstmädchen herbei. Sie war nahe daran, sich Vorwürfe zu machen, da erschien Karl. Es war um die Essenszeit. Er kam von seiner Praxis heim.
»Sieh, mein Lieber,« sagte sie ruhigen Tones, »die Kleine ist beim Spielen gefallen und hat sich ein bißchen geschunden.«
Karl beruhigte sie; es sei nicht schlimm. Er holte Heftpflaster.
Frau Bovary ging zum Essen nicht hinunter. Sie wollte ihr Kind allein pflegen. Als sie dann aber sah, wie es ruhig schlief, verging ihr bißchen Beunruhigung, und sie kam sich selber recht töricht und schlapp vor, weil sie sich wegen einer Geringfügigkeit gleich so aufgeregt habe. In der Tat klagte die Kleine nicht mehr. Ihre Atemzüge hoben und senkten die wollene Bettdecke kaum merkbar. Ein paar dicke Tränen hingen ihr in den halbgeschlossenen