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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Gustave Flaubert
Год выпуска 0
isbn 9788027209903
Автор произведения Гюстав Флобер
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Je klarer sich Emma ihrer Leidenschaft bewußt ward, um so mehr drängte sie sie zurück. Ihre Liebe sollte unsichtbar und klein bleiben. Wohl war es ihr Sehnen, daß Leo die Wahrheit bemerke; sie erträumte sich Zufälle und Katastrophen, die dies herbeiführten. Aber ihre Passivität, die Angst vor der Entscheidung und auch ihr Schamgefühl hielten sie zurück. Sie bildete sich ein, sie hätte sich ihn bereits allzusehr entfremdet, es wäre nun zu spät und alles sei verloren. Und dann sagte sie sich voll Stolz und Freude: »Ich bin eine anständige Frau geblieben!« Sie stellte sich vor den Spiegel in der Pose der Resignation. Das tröstete sie ein wenig ob des Opfers, das sie zu bringen wähnte.
Ihre unbefriedigte Sinnlichkeit, ihre Lüsternheit nach Reichtum und Luxus und ihre schwermütige Liebe ergaben alles in allem ein einziges Weh. Statt aber ihre Gedanken andern Dingen zuzuwenden, verlor sie sich immer mehr in dieses Leid, gefiel sich darin und trug es in alle Einzelheiten ihres Lebens. Ein ungeschickt serviertes Gericht, eine offengelassene Türe brachte sie in Aufregung. Ein hübsches Kleid, das sie nicht haben konnte, ein Vergnügen, auf das sie verzichten mußte, machte sie unglücklich. Weil sich ihre kühnen Träume nicht erfüllten, ward ihr das Haus zu eng.
Daß Karl keine Dulderin in ihr sah, das empörte sie am allermeisten. Seine felsenfeste Überzeugung, daß er seine Frau glücklich mache, dünkte sie Beschränktheit, Beleidigung, Undankbarkeit. Für wen war sie denn so vernünftig? War es nicht gerade Karl, der sie von jedwedem Glück trennte? War nicht er der Anlaß all ihres Elends, das Schloß an der Tür ihres qualvollen Käfigs?
So häufte sie auf ihn alle Bitternisse ihres Herzens. Jeder Versuch, diese Verstimmungen zu bekämpfen, verschlimmerten sie nur. Denn die vergebliche Mühe machte sie noch mutloser und entfernte sie noch mehr von ihrem Manne. Gerade seine Gutmütigkeit reizte sie zur Rebellion. Die Spießerlichkeit ihrer Wohnung verlockte sie zu Utopien von Pracht und Herrlichkeit, und die ehelichen Freuden zu ehebrecherischen Gelüsten. Sie bedauerte es, daß Karl sie nicht schlecht behandelte; dann hätte sie gerechten Anlaß gehabt, sich an ihm zu rächen. Zuweilen freilich erschrak sie vor den Irrwegen, auf die sie in Gedanken geriet. Und immer mußte sie lächeln, wenn sie in einem fort hörte, daß sie glücklich sei, oder wenn sie sich gar selber noch Mühe gab, so zu tun und die Leute in ihrem Glauben zu lassen.
Manchmal hatte sie diese Komödie satt. Sie fühlte sich versucht, mit dem Geliebten auf und davon zu gehen, irgendwohin, weit, weit fort, wo ein andrer Stern ihrer harrte. Zugleich jedoch drohten ihr in Gedanken riefe, dunkle Abgründe.
»Er liebt mich ja gar nicht mehr!« sagte sie sich. »Was soll da aus mir werden? Welche Zuflucht, welcher Trost, welche Erleichterung bleibt mir noch?«
Gebrochen, fiebernd, halbtot schluchzte sie leise vor sich hin, unter endlosen Tränen.
»Warum sagt es die gnädige Frau nicht dem Herrn Doktor?« fragte das Dienstmädchen, als es einmal während eines solchen Anfalles ins Zimmer kam.
»Ach was! Ich bin nervös!« erklärte Emma. »Daß du ihm ja nichts davon erzählst! Du würdest ihn nur beunruhigen.«
»Ach Gott«, meinte Felicie. »Der Tochter des alten Fischers Guérin aus Pollet, einer Bekannten von mir in Dieppe, wo ich vorher gedient habe, der ging es ganz genau so. War die trübsinnig! Schrecklich trübsinnig! Und leichenblaß sah sie immer aus. Ihr Leiden war so was wie ein Nebel im Kopfe, und die Ärzte und sogar der Pfarrer wußten kein Mittel dagegen. Wenns ganz schlimm kam, dann lief sie immer ganz allein ans Meer. Der Zollaufseher hat sie auf seiner Patrouille oft gesehen, platt auf dem Bauche liegen und auf den Steinen weinen. Später, als sie einen Mann hatte, soll sichs gegeben haben….«
»Bei mir aber«, erwiderte Emma, »ist es erst nach der Hochzeit so gekommen.«
Sechstes Kapitel
Eines Abends saß Emma am offnen Fenster. Eben hatte sie noch Lestiboudois, dem Kirchendiener, zugesehen, wie er unten im Garten den Buchsbaum zugestutzt hatte. Plötzlich drang ihr das Ave-Maria-Läuten ins Ohr.
Es war Anfang April. Die Primeln blühten, und ein lauer Wind hüpfte über die aufgeharkten Beete. Der Garten putzte sich für die Festtage des Sommers. Durch die Latten der Laube und weiterhin leuchtete der Bach, der sich in schnörkeligen Windungen in den flachen Wiesen hinwand. Der Abenddunst schwebte um die noch kahlen Pappeln und löste die Linien ihrer Aste zu weichem Violett auf, duftig und durchsichtig wie ein feiner Schleier. In der Ferne zogen Herden heim, aber ihr Huftritt und ihr Brüllen verklangen. Nur die Abendglocke läutete immerfort und füllte die Luft mit wehmütigem Frieden.
Bei diesen gleichförmigen Tönen verloren sich die Gedanken der jungen Frau in alte Jugend-und Klostererinnerungen. Sie dachte an die hohen Leuchter auf dem Hochaltar, die sich über die blumenreichen Vasen und über das Tabernakel mit seinen Säulchen emporgereckt hatten. Wie einst hätte sie wieder knien mögen in der langen Reihe der weißen Schleier, die sich grell abhoben von den schwarzen steifen Kapuzen der in ihren Betstühlen hingesunkenen Schwestern. Sonntags während der Messe, wenn sie aufschaute und in das von bläulichem Weihrauch umwobene holde Antlitz der Madonna blickte, dann war sie immer tief ergriffen und ganz weich gestimmt gewesen, leicht und ohne Last wie eine Flaumfeder, die der Sturmwind wegweht….
Mit einem Male, ohne daß sie sich über den Vorgang klar ward, fand sie sich auf dem Wege zur Kirche. Ein Drang nach Andacht hatte sie ergriffen: ihre Seele sehnte sich, darin aufzugehen und alles Irdische zu vergessen.
Auf dem Marktplatze begegnete ihr Lestiboudois, der bereits wieder aus der Kirche kam, um zu seiner unterbrochenen Arbeit zurückzukehren. Die war ihm immer die Hauptsache, und das Läuten der Glocke besorgte er, wie es ihm gerade paßte. Übrigens war das Läuten ein Zeichen für die Kinder im Dorfe, daß es Zeit zur Katechismusstunde war.
Ein paar Jungen waren schon da und spielten Ball auf den Friedhofssteinen. Andre saßen rittlings auf der Mauer, baumelten mit den Beinen und köpften mit ihren Schuhspitzen die hohen Brennesseln, die zwischen der letzten Gräberreihe und der niedrigen Umfassungsmauer aufgeschossen waren. Das war das einzige bißchen Grün, denn die Grabmäler standen ganz dicht aneinander, und über ihnen lag beständig feiner Staub, der dem reinigenden Besen trotzte. Die Kinder liefen in Strümpfen darüber wie über einen eigens für sie hingebreiteten Teppich, und ihre aufjauchzenden Stimmen mischten sich in das letzte Ausklingen der Glocken. Das Summen verstummte, und der Strang der großen Glocke, der vom Kirchturm herabhing und mit dem Ende auf dem Erdboden hin und her geschleift war, beruhigte sich allmählich. Schwalben schossen pfeilschnell durch die Luft; kurze Schreie ausstoßend, und flogen zurück in ihre gelben Nester unter dem Turmdache. Im Chor der Kirche brannte eine Lampe oder vielmehr ein Nachtlicht unter einer hängenden Glasglocke. Von weitem sah die Flamme wie ein über dem Öl schwimmender zittriger weißer Fleck aus. Ein langer Sonnenstrahl durchquerte das Hauptschiff; in um so tieferem Dunkel lagen die Nebenschiffe und Nischen.
»Wo ist der Pfarrer?« fragte Frau Bovary einen Knaben, der sich damit belustigte, die bereits lockere Klinke der Friedhofspforte völlig abzuwürgen.
»Der wird gleich kommen!« war die Antwort.
Wirklich knarrte die Tür des Pfarrhauses, und der Abbé Bournisien erschien. Die Kinder rannten eiligst in die Kirche hinein.
»Rasselbande!« murmelte der Priester. »Einen wie alle Tage!« Er hob einen zerflederten Katechismus auf, an den sein Fuß gestoßen war. »Nichts wird respektiert!« Da bemerkte er Frau Bovary.
»Verzeihung!« sagte er. »Ich hatte Sie nicht erkannt.«
Er steckte den Katechismus in die Tasche und blieb stehen, indem er den schweren Sakristeischlüssel auf zwei Fingern balancierte.