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hob den Kopf mit einer jähen Bewegung.

      »Ja, adieu! Sie müssen gehen!«

      Sie kamen aufeinander zu. Er reichte ihr die Hand hin. Sie zögerte.

      «Sozusagen ein französischer Abschied!« meinte sie, indem sie ihm die Hand überließ. Dabei lächelte sie gezwungen.

      Leo fühlte ihre Finger in den seinen. Es kam ihm vor, als ströme ihr ganzes Ich in seine Haut. Als er seine Hand wieder öffnete, begegneten sich beider Augen noch einmal. Dann ging er.

      Als er unter den Hallen war, blieb er stehen, wobei er sich hinter einem Pfeiler verbarg. Er wollte ein letztes Mal ihr weißes Haus mit seinen vier grünen Fensterläden sehen. Da vermeinte er, ihren Schatten hinter der Gardine ihres Zimmers zu erblicken. Aber der Vorhang hatte sich wohl von selbst gebauscht und fiel nun wieder langsam in seine langen senkrechten Falten zurück, in denen er dann regungslos stehen blieb wie eine Mauer von Gips. Leo eilte von dannen.

      Von weitem sah er schon den Wagen seines Chefs auf der Straße halten. Ein Mann in leinenem Kittel stand daneben und hielt das Pferd. Der Apotheker und der Notar plauderten miteinander. Man wartete auf ihn.

      »Lassen Sie sich noch einmal umarmen!« sagte Homais, Tränen in den Augen. »Hier ist Ihr Mantel, mein lieber Freund! Erkälten Sie sich unterwegs nicht! Schonen Sie sich recht und nehmen Sie sich ordentlich in acht!«

      »Einsteigen, Herr Düpuis!« mahnte der Notar.

      Der Apotheker beugte sich über das Spritzleder und stammelte mit tränenerstickter Stimme nichts als die beiden wehmütigen Worte:

      »Glückliche Reise!«

      »Guten Abend, Herr Apotheker!« rief Guillaumin. »Los!«

      Die beiden fuhren weg, und Homais wandte sich heimwärts.

      Frau Bovary hatte das nach dem Garten gehende Fenster ihres Zimmers geöffnet und betrachtete die Wolken. In der Richtung nach Rouen, nach Westen zu, standen sie zusammengeballt. Leichteres finsteres Gewölk zog von daher im raschen Fluge heran, durchleuchtet von schrägen Sonnenstrahlen, die wie die goldnen Strahlenbündel einer aufgehängten Trophäe hervorschossen. Der übrige wolkenlose Teil des Himmelszeltes war weiß wie Porzellan. Ruckweise Windstöße beugten die Häupter der Pappeln; plötzlich rauschte Regen herab und prasselte durch das grünschimmernde Laubwerk. Bald kam die Sonne wieder heraus. Die Hennen gackerten. Die Spatzen schüttelten ihre Flügel auf dem nassen Gezweig, und in den Wasserrinnen auf dem sandigen Boden schwammmen rote Akazienblüten.

      »Wie weit mag er nun schon sein!« dachte sie.

      Halb sieben, beim Essen, erschien Homais gewohnterweise.

      »Na,« sagte er, indem er sich an den Tisch setzte, »unsern jungen Freund hätten wir glücklich verfrachtet!«

      »Wie man mir berichtet hat«, gab der Arzt zur Antwort. Sich auf seinem Stuhle nach ihm wendend, fuhr er fort: »Und was gibts bei Ihnen Neues?«

      »Nichts weiter. Meine Frau war heute nachmittag nur ein bißchen aufgeregt. Sie wissen, die Frauen sind immer gleich aus dem Häuschen. Und meine ganz besonders! Aber man soll ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Ihre Nerven sind eben zarter besaitet als unsre.«

      »Der arme Leo,« bemerkte Karl, »wie wirds ihm in Paris ergehen? Wird er sich dort einleben?«

      Frau Bovary seufzte.

      »Natürlich!« meinte der Apotheker und schnalzte mit der Zunge. »Feine Soupers! Maskenbälle! Sekt! Daran gewöhnt man sich schon, versichre ich Ihnen.«

      »Ich glaube nicht, daß er unsolid werden wird«, warf Bovary ein.

      »Gott bewahre!« entgegnete Homais lebhaft. »Aber mit den Wölfen wird er halt heulen müssen. Sonst wird er als Duckmäuser verschrien. Sie haben keine Ahnung, was diese Kerlchens im Studentenviertel für ein flottes Leben führen! Mit ihren kleinen Mädchen! Übrigens sind die Studenten in Paris überall gern gesehen. Wenn einer nur ein bißchen gesellige Talente hat, stehen ihm die allerbesten Kreise offen. Und es gibt sogar in der Vorstadt Saint-Germain feine Damen, die sich Studenten zu Liebsten nehmen, und das gibt ihnen dann die beste Gelegenheit, sich reich zu verheiraten.«

      »Das mag schon sein,« sagte der Arzt, »ich habe nur Angst, er … wird … dort …«

      »Sehr richtig,« unterbrach ihn der Apotheker, »das ist die Kehrseite der Medaille! In Paris, da muß man sich fortwährend die Taschen zuhalten. Zum Beispiel, Sie sitzen in einer öffentlichen Anlage. Nimmt da jemand neben Ihnen Platz, anständig angezogen, womöglich ein Ordensbändchen im Knopfloch. Man könnte ihn für einen Diplomaten halten. Er spricht Sie an. Sie kommen ins Plaudern. Er bietet Ihnen eine Prise an oder hebt Ihnen den Hut auf. So wird man intimer. Er nimmt Sie mit ins Café, ladet Sie in sein Landhaus ein, macht Sie bei einem Glas Wein mit Tod und Teufel bekannt – und das Ende vom Liede: er pumpt Sie an oder verstrickt Sie in gefährliche Abenteuer.«

      »So ist es!« gab Karl zu. »Aber ich dachte vor allem an die Krankheiten, die dem Studenten aus der Provinz in der Großstadt drohen. Zum Beispiel … der Typhus.«

      Emma zuckte zusammen.

      »Der kommt von der gänzlich veränderten Lebensweise«, fuhr derApotheker fort, »und der dadurch hervorgebrachten Umwälzung des ganzen Organismus. Und dann denken Sie an das Pariser Wasser! An das Essen in den Restaurants! Diese starkgewürzten Speisen verderben schließlich das Blut. Man mag sagen, was man will, mit einer guten Hausmannskost sind sie nicht zu vergleichen. Ich für meinen Teil, ich schätze von jeher die bürgerliche Küche. Die ist am gesündesten. Als ich stud pharm. in Rouen war, da habe ich deshalb regelmäßig in einer Pension gegessen. Die Herren Professoren aßen auch da….«

      In dieser Weise fuhr er fort, sich über seine Ansichten im allgemeinen und seinen persönlichen Geschmack im besondern auszulassen, bis Justin kam und ihn zur Bereitung einer bestellten Arznei holte.

      »Man hat aber auch keinen Augenblick seine Ruhe!« schimpfte er. »Immer liegt man an der Kette! Keine Minute kann man fort. Ein Arbeitstier bin ich, das Blut schwitzen muß. Das ist ein Hundedasein!«

      In der Tür sagte er noch:

      »Übrigens, wissen Sie schon das Neueste?«

      »Was denn?«

      Homais zog die Brauen hoch und machte eine hochwichtige Miene.

      »Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Versammlung der Landwirte unsers Departements heuer in Yonville stattfindet. Man munkelt wenigstens. In der heutigen Zeitung steht auch schon eine Andeutung. Das wäre für die hiesige Gegend von großer Bedeutung! Aber darüber reden wir noch einmal! Danke, ich sehe schon. Justin hat die Laterne mit….«

      Siebentes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der nächste Tag war für Emma ein Tag der Betrübnis. Alles um sie herum erschien ihr wie von lichtlosem Nebel umflort, verschwommen, zerrissen. Der Schmerz strich durch ihre Seele mit leisen Klagen wie der Winterwind um ein einsames Schloß. Sie verfiel in die Träumerei, die den Menschen umspinnt, wenn er etwas auf immerdar verloren hat. Sie empfand die Müdigkeit, die ihn der vollendeten Tatsache gegenüber übermannt, den Schmerz, der ihn überkommt, wenn eine ihm zur Gewohnheit gewordne Bewegung plötzlich stockt, wenn Schwingungen jäh aufhören, die lange in ihm vibriert haben.

      Wie damals nach der Rückkehr vom Schlosse Vaubyessard, als die wirbelnden Walzermelodien ihr nicht aus dem Sinne wollten, war sie voll düsterer Schwermut, in dumpfer Lebensunlust. Leo stand vor ihrer Phantasie immer größer, schöner, verführerischer. Wie ein Ideal. Wenn er auch fern von ihr war, so hatte er sie doch nicht verlassen. Er war da, und an den Wänden ihres Hauses schien sein Schatten noch zu haften. Immer wieder schaute sie auf den Teppich, über den er so oft gegangen, auf die leeren Stühle, wo er gesessen. Draußen kroch das Flüßlein noch immer vorbei mit seinen niedlichen Wellen, zwischen

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