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und seine Ellbogen. Es war Lestiboudois, der Totengräber, der ein Dutzend Kirchenstühle herbeischaffte. Findig, wie er immer war, wo es etwas zu verdienen gab, war er auf den Einfall gekommen, aus dem Bundestage seinen Vorteil zu schlagen. Und damit hatte er sich nicht verrechnet; er wußte gar nicht, wen er zuerst befriedigen sollte. Die Bauern, denen es heiß war, rissen sich förmlich um diese Stühle, deren Strohsitze nach Weihrauch dufteten. Sie lehnten sich mit wahrer Kirchenstimmung gegen die hohen wachsbeklecksten Stuhlrücken.

      Frau Bovary nahm Rudolfs Arm von neuem. Er fuhr fort, als spräche er mit sich selbst.

      »Ja, ja! Ich habe vieles entbehren müssen! Immer einsam! Ach, wenn mein Dasein einen Zweck gehabt hätte, wenn ich einer großen Leidenschaft begegnet wäre, wenn ich ein Herz gefunden hätte … Oh, alle meine Lebenskraft hätte ich daran gesetzt, ich wäre über alle Hindernisse hinweggestürmt, hätte alles überwunden…«

      »Mich dünkt, Sie seien gar nicht besonders beklagenswert«, wandte Emma ein.

      »So, finden Sie?«

      »Zum mindesten sind Sie frei…« Sie zögerte. »… und reich!«

      »Spotten Sie doch nicht über mich!« bat er.

      Sie beteuerte, es sei ihr Ernst. Da donnerte ein Böllerschuß. Alsbald wälzte und drängte sich alles der Ortschaft zu. Aber es war ein falscher Alarm gewesen. Der Landrat war noch gar nicht da. Der Festausschuß war nun in der größten Verlegenheit. Sollte der feierliche Akt beginnen, oder sollte man noch warten?

      Endlich tauchte an der Ecke des Marktes eine riesige Mietkutsche auf, von zwei mageren Gäulen gezogen, auf die ein Kutscher im Zylinderhut aus Leibeskräften mit der Peitsche loshieb.

      Binet, der Feuerwehrhauptmann, kommandierte in aller Hast:

      »An die Gewehre!«

      Und der Oberst der Bürgergarde brüllte das Echo dazu.

      Hals über Kopf stürzte man an die Gewehrpyramiden. Etliche der Bürgergardisten vergaßen in der Eile, sich den Kragen zuzuknöpfen. Aber der Landauer des Herrn Landrats schien die Verwirrung zum Glück zu ahnen. Die beiden Pferde kamen im langsamsten Zotteltrabe gerade in dem Moment vor der Vorhalle des Rathauses an, als sich Feuerwehr und Bürgergarde in Reih und Glied unter Trommelschlag davor aufgestellt hatten.

      »Stillgestanden! Präsentiert das Gewehr!« kommandierte Binet.

      »Stillgestanden! Präsentiert das Gewehr!« der Oberst auf der andern Seite.

      Die Trageringe rasselten in den Reihen, als ob ein Kupferkessel eine Treppe hinunterkollerte. Die Gewehre flogen nur so.

      Nun sah man einen Herrn aus der Karosse steigen, in einer silberbestickten Hofuniform. Er hatte eine große Glatze, ein Toupet auf dem Hinterhaupte, sah blaß im Gesicht aus und war offenbar sehr leutselig. Um die Menschenmenge besser zu sehen, kniff er seine Augen, die zwischen dicken Lidern hervorquollen, halb zusammen, wobei er gleichzeitig seine spitzige Nase hob und seinen eingefallenen Mund zum Lächeln verschob. Er erkannte den Bürgermeister an seiner Schärpe und teilte ihm mit, daß der Landrat verhindert sei, persönlich zu kommen. Er selber sei Regierungsrat. Es folgten noch ein paar verbindliche Redensarten.

      Tüvache, der Bürgermeister, begrüßte ihn ehrerbietig. Der Rat erklärte, er fühle sich beschämt. Die beiden standen sich dicht gegenüber, Angesicht zu Angesicht; um sie herum der Festausschuß, der Gemeinderat, die Honoratioren, die Bürgergarde und das Publikum. Der Regierungsrat schwenkte seinen kleinen schwarzen Dreimaster gegen die Brust und sagte ein paar Begrüßungsworte. Währenddem klappte Tüvache in einem fort wie ein Taschenmesser zusammen, lächelnd, stotternd, nach Worten suchend. Darauf beteuerte er die Königstreue der Yonviller und dankte für die ihnen widerfahrene große Ehre.

      Hippolyt, der Hausknecht aus dem Goldnen Löwen, nahm die Pferde der Kutsche an den Kandaren und zog das Gefährt humpelnd nach dem Gasthofe, an dessen Hoftor ein Schwarm von gaffenden Landleuten stand. Die Trommeln wirbelten, der Böller krachte.

      Die Herren vom Festausschuß begaben sich nun auf die vor dem Rathause errichtete Estrade und setzten sich in die roten Plüschsessel, die von der Frau Bürgermeisterin zur Verfügung gestellt worden waren.

      Alle die Männer glichen einander. Alle hatten sie ausdruckslose blonde, apfelweinfarbene Gesichter, die von der Sonne etwas gebräunt waren, buschige Backenbärte, die sich unter hohen steifen Halskragen verloren, und weiße, sorglich gebundene Krawatten. Die Samtweste fehlte keinem, ebensowenig an den Uhrketten das ovale Petschaft aus Karneol. Alle stemmten sie die Arme auf die Schenkel, nachdem sie die Falten des Beinkleides sorgsam zurechtgestrichen hatten. Das nicht dekatierte Hosentuch glänzte mehr als das Leder ihrer derben Stiefel.

      Die Damen der Gesellschaft hielten sich hinter der Estrade auf, unter der Vorhalle zwischen den Säulen, während die große Menge dem Rathause gegenüber stand oder teilweise auf Stühlen saß. Der Kirchendiener hatte die erst nach der Wiese getragenen Stühle rasch wieder hierhergeschleppt und brachte immer noch mehr aus der Kirche herzu. Durch seinen Handel entstand ein derartiges Gedränge, daß man nur mit Mühe und Not zu der kleinen Treppe der Estrade dringen konnte.

      »Ich finde,« sagte Lheureux zu dem Apotheker, der sich nach der Estrade durchdrängelte und gerade an ihm vorüberkam, »man hätte zwei venezianische Maste aufpflanzen und sie mit irgendeinem schweren kostbaren Stoff drapieren sollen, mit einer Nouveauté. Das würde sehr hübsch ausgesehen haben!«

      »Gewiß!« meinte Homais. »Aber Sie wissen ja! Der Bürgermeister macht alles bloß nach seinem eignen Kopfe. Er hat nicht viel Geschmack, der gute Tüvache, und künstlerischen Sinn nun gleich gar nicht!«

      Mittlerweile waren Rudolf und Emma in den ersten Stock des Rathauses gestiegen, in den Sitzungssaal. Da dieser leer war, erklärte Boulanger, das wäre so recht der Ort, das Schauspiel bequem zu genießen. Er nahm zwei Stühle von dem ovalen Tisch, der unter der Büste von Majestät stand, und trug sie an eins der Fenster.

      Die beiden setzten sich nebeneinander hin.

      Unten auf der Estrade ging es lebhaft her. Alles plauderte und tuschelte. Da erhob sich der Regierungsrat von seinem Sitze. Man hatte inzwischen erfahren, daß er Lieuvain hieß, und nun lief sein Name von Mund zu Mund durch die Menge. Nachdem er ein paar Zettel geordnet und sich dicht vor die Augen gehalten hatte, begann er:

      »Meine Herren!

      Ehe ich auf den eigentlichen Zweck der heutigen Versammlung eingehe, sei es mir zunächst gestattet, – und ich bin überzeugt, Sie sind insgesamt damit einverstanden! – sei es mir gestattet, sage ich, der Behörden und der Regierung zu gedenken, vor allem, meine Herren, Seiner Majestät, unsers allergnädigsten und allverehrten Landesherrn, dem jedes Gebiet der öffentlichen und privaten Wohlfahrt am Herzen liegt, der mit sicherer und kluger Hand das Staatsschiff durch die unaufhörlichen Gefahren eines stürmischen Ozeans lenkt und dabei jedem sein Recht läßt, dem Frieden wie dem Kriege, der Industrie, dem Handel, der Landwirtschaft, den Künsten und Wissenschaften….«

      »Vielleicht setze ich mich ein wenig weiter zurück«, sagte Rudolf.

      »Warum?« fragte Emma.

      In diesem Augenblicke bekam die Stimme des Regierungsrates besonderen Schwung. Er deklamierte:

      »Die Zeiten sind vorüber, meine Herren, wo die Zwietracht der Bürger unsre öffentlichen Plätze mit Blut besudelte, wo der Grundbesitzer, der Kaufmann, ja selbst der Arbeiter, wenn er abends friedlich schlafen ging, befürchten mußte, durch das Stürmen der Brandglocken jäh wieder aufgeschreckt zu werden, wo Umsturzideen frech an den Grundfesten rüttelten….«

      »Nur weil man mich von unten bemerken könnte«, gab Rudolf zur Antwort. »Dann müßte ich mich vierzehn Tage lang entschuldigen. Und bei meinem schlechten Rufe …«

      »Sie verleumden sich«, warf Emma ein.

      »I wo! Der ist unter aller Kritik! Das schwör ich Ihnen.«

      »Meine Herren!« fuhr der Redner fort. »Wenn wir unsre Blicke von diesen düstern Bildern der Vergangenheit abwenden und auf den gegenwärtigen

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