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Sie konnte in seinen Augen die kleinen goldnen Kreislinien sehen, um die schwarzen Pupillen herum, und sie roch sogar das leise Parfüm in seinem Haar. Wollüstige Müdigkeit überfiel sie. Der Vicomte, mit dem sie im Schlosse Vaubyessard getanzt hatte, kam ihr in den Sinn. Sein Bart hatte genau so geduftet wie dieses Haar, nach Vanille und Zitronen. Unwillkürlich schloß sie die Augenlider, um den Geruch stärker zu spüren. Aber als sie sich in ihren Stuhl zurücklehnte, fiel ihr Blick gerade auf die alte Postkutsche, fern am Horizonte, die langsam die Höhe von Leux herabfuhr und eine lange Staubwolke nach sich zog. In derselben gelben Kutsche war Leo so oft zu ihr zurückgekommen, und auf dieser Straße da war er von ihr weggefahren auf immerdar! Sie glaubte sein Antlitz zu sehen, im Rahmen seines Fensters. Dann verschwamm alles, und Nebel zogen vorüber. Es kam ihr vor, als wirble sie wie damals im Walzer, in der Lichtflut des Ballsaales, im Arme des Vicomte. Und Leo wäre nicht weit weg, sondern käme wieder…. Dabei spürte sie in einem fort Rudolfs Haar dicht neben sich. Die süße Empfindung seiner Nähe vermählte sich mit den alten Gelüsten; und wie Staubkörner, die der Wind aufjagt, umtanzten sie diese Gefühle zusammen mit dem leisen Dufte und betäubten ihr die Seele. Ein paarmal öffnete sie weit die Nasenflügel, um – stoßweise – den frischen Geruch der Girlanden einzuatmen, die um die Säulen geschlungen waren.

      Sie streifte sich die Handschuhe ab und trocknete sich die feuchtgewordnen Hände; dann fächelte sie ihren Wangen mit dem Taschentuche Kühlung zu, wobei sie mitten durch das Hämmern des Blutes in ihren Schläfen das Gesumme der Menge und die immer noch Phrasen dreschende Stimme des Regierungsrates verworren vernahm.

      Er predigte:

      »Fahren Sie fort! Bleiben Sie auf Ihrem Wege! Lassen Sie sich nicht beirren, weder durch Hängenbleiben an veralteten Überlieferungen noch durch allzu hastige Annahme von kühnen Neuerungen! Richten Sie Ihren Eifer vor allem auf die Verbesserung des Bodens, auf eine gute Düngung, auf die Veredelung der Pferde-, Rinder-, Schafe-und Schweinezucht! Möge diese Versammlung für Sie eine Art friedlicher Kampfplatz sein, auf dem der Sieger beim Verlassen der Arena dem Besiegten die Hand drückt wie einem Bruder und ihm den gleichen Erfolg für die Zukunft wünscht! Und Ihr, Ihr würdigen Dienstboten, bescheidenes Hofgesinde, um deren mühevolle Arbeit sich bisher noch keine Regierung gekümmert hat, kommt her und empfangt den Lohn für Eure stille Tüchtigkeit und seid überzeugt, daß die Fürsorge des Staates fortan auch Euch gelten wird, daß er Euch ermutigt und beschützt, daß er Euch auf begründete Beschwerden hin recht geben wird und Euch, soweit es in seiner Macht steht, die Bürde Eurer opferfreudigen Arbeit erleichtern wird!«

      Darnach setzte sich der Regierungsrat. Jetzt erhob sich Herr Derozerays und begann eine zweite Rede. Sie war nicht so schwungvoll wie die Lieuvains, dafür war sie sachlicher, das heißt: sie verriet Fachkenntnisse und gab tiefergehenden Betrachtungen Raum. Das Lob auf die Regierung war kürzer gefaßt; die Rede beschäftigte sich mehr mit der Landwirtschaft und der Religion. Die Wechselbeziehungen zwischen beiden wurden beleuchtet. Beide hätten zu allen Zeiten die Zivilisation gefördert. Rudolf plauderte mit Frau Bovary über Träume, Vorahnungen und Suggestion. Der Redner ging auf die Anfänge der menschlichen Gesellschaft zurück und schilderte die barbarischen Zeiten, da sich der Mensch im Urwalde von Eicheln genährt hatte. Später hätte man die Tierfelle abgelegt und sich mit Tuch bekleidet, hätte Feldwirtschaft und Weinbau begonnen. War dies nun ein Vorteil oder brachten nicht die neuen Beschäftigungen ungleich mehr Mühen denn Nutzen? Über dieses Problem stellte Derozerays allerhand Betrachtungen an.

      Von der Suggestion war Rudolf unterdessen allmählich auf die Wahlverwandtschaft gekommen, und während der Redner unten vom Pfluge des Cincinnatus sprach, von Diocletian und seinen Kohlplantagen und von den chinesischen Kaisern, die zu Neujahr eigenhändig säen, setzte der junge Mann der jungen Frau auseinander, daß die Ursache einer solchen unwiderstehlichen gegenseitigen Anziehung in einer früheren Existenz zu suchen sei.

      »Nehmen Sie beispielsweise uns beide!« sagte er. »Warum haben wir uns kennen gelernt? Hat dies allein der Zufall gefügt? War es nicht vielmehr in beiden ein geheimer Drang, der uns gegenseitig einander zuführte, wie zwei Ströme ineinander fließen, jeder von weiter Ferne her?«

      Er ergriff wiederum ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht.

      »Preis für gute Bewirtschaftung …«, rief unten der Redner.

      »Denken Sie doch daran, wie ich zum ersten Male in Ihr Haus kam….«

      »Herrn Bizet aus Quincampoix!«

      »Wußte ich damals, daß wir so bald gute Freunde werden sollten?«

      »Siebzig Franken….«

      »Hundertmal habe ich reisen wollen, aber ich bin immer wieder zu Ihnen gekommen und hier geblieben….«

      »Für Erfolge im Düngen.«

      »… heute und morgen, alle Tage, mein ganzes Leben …«

      »Herrn Caron aus Argueil eine goldene Medaille!«

      »… denn noch keines Menschen Gesellschaft hat mich so völlig bezaubert …«

      »Herrn Bain aus Givry-Saint-Martin …«

      »… und so werde ich Ihr Bild in mir tragen….«

      »… für einen Merino-Schafbock …«

      »Sie aber werden mich vergessen! Ich bin an Ihnen vorübergewandelt wie ein Schatten!«

      »Herrn Belot aus Notre-Dame….«

      »Aber nein, nicht wahr? Manchmal werden Sie sich doch meiner erinnern?«

      »Für Schweinezucht ein Preis geteilt, je achtzig Franken, den Herren Lehérissé und Eüllembourg!«

      Rudolf drückte Emmas Hand. Sie fühlte sich ganz heiß an und zitterte wie eine gefangene Taube, die fortfliegen möchte. Sei es nun, daß Emma versuchte, ihre Hand zu befreien, oder daß sie Rudolfs Druck wirklich erwidern wollte: sie machte mit ihren Fingern eine Bewegung. Da rief er aus:

      »Ach, ich danke Ihnen! Sie stoßen mich nicht zurück! Sie sind so gut! Sie fühlen, daß ich Ihnen gehöre! Ich will Sie ja nur sehen, nur anschauen!«

      Ein Windstoß, der durch die Fenster fuhr, bauschte die Tischdecke des Tisches im Saal, und unten auf dem Markte flatterten die mächtigen Haubenschleifen der Bäuerinnen wie weiße Schmetterlingsflügel auf.

      »Für die Herstellung von Ölkuchen….«

      Der Vorsitzende fing an sich zu beeilen.

      »Für Mastversuche nach flandrischer Art … Weinbau … Feldbewässerung … langjährigen Pacht … treue Dienste….«

      Rudolf sprach nicht mehr. Sie sahen sich beide an. Emmas trockne Lippen bebten in heißestem Begehren. Weich und ganz von selbst verschlangen sich ihre Hände.

      »Katharine Nikasia Elisabeth Leroux aus Sassetot-la-Guerrière für vierundfünfzigjährigen Dienst auf ein und demselben Gute eine silberne Medaille im Werte von fünfundzwanzig Franken!«

      Nach einer Weile hört man: »Wo ist Katharine Leroux?«

      Sie erschien nicht, aber man vernahm flüsternde Stimmen.

      »Geh doch!«

      »Ach nein!«

      »Brauchst keine Angst zu haben!«

      »Nee, ist die dumm!«

      »Hier! Hier steckt sie!«

      »So mag sie doch vorkommen!« rief der Bürgermeister dazwischen.

      Da begann eine kleine alte Frau mit ängstlicher Gebärde zur Estrade hinzulaufen. In ihren Lumpen sah sie selber wie zerfallen aus. Sie hatte die Füße in derben Holzschuhen und um die Hüften eine große blaue Schürze. Ihr mageres Gesicht, von einer schlichten Haube umrahmt, war runzeliger als ein verschrumpfelter Apfel, und aus den Ärmeln ihrer roten Jacke langten zwei dürre Hände mit knochigen Gelenken heraus. Vom Staub der Scheunen, der Lauge der Wäsche und dem Fett der Schafwolle waren sie so hornig, hart und rissig, daß sie wie schmutzig aussahen, und doch waren sie in reinem Wasser tüchtig gewaschen worden.

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