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      In diesem Augenblick nahm Bettina sich ganz fest vor, in Zukunft niemals mehr solch verquere Gedanken zu haben.

      Jan van Dahlen und sie waren ein Paar, ein glückliches Paar, das sich in jeder Hinsicht wunderbar verstand, ergänzte und sich, und das war das Allerwichtigste überhaupt, liebte.

      Jan war bei ihr!

      Das machte sie so unbeschreiblich glücklich, ihr wurde aber auch bewusst, wie einsam sie ohne ihn war, wie sehr er ihr fehlte. Es taugte nichts, mit einem Mann liiert zu sein, der immer nur auf der Durchreise war und nur streckenweise das Leben mit ihr teilen konnte. Das war nicht genug für ein wirkliches Miteinander. Jan nahm an ihrem Leben teil, sie konnte mit ihm über alles reden, aber das tat sie dann ja doch nicht, weil sie die Zeit mit ihm anders nutzen wollte, sie wollte sich dann ihrer Liebe hingeben, all diese aufgestauten Gefühle, statt mit ihm beispielsweise über Kunden zu reden, die ihre Rechnungen nicht bezahlt hatten oder über den Ärger, den sie mit ihrer Schwester hatte oder ähnliches. Aber zu einem richtigen Zusammenleben gehörten halt auch solche Banalitäten, die schließlich auch einen Teil des gelebten Lebens ausmachten.

      Aber vielleicht würde sich ja bald etwas ändern. Jan hatte doch selbst gesagt, dass ihm sein Zigeunerleben nicht mehr so recht gefiel.

      Ganz bestimmt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Jan ganz auf den Fahrenbach-Hof kam, hier sesshaft wurde und dann … Bettinas Gedanken machten einen kühnen Sprung in die Zukunft – dann würde er sie auch heiraten wollen und ihr einen richtigen Antrag machen und nicht nur so ein erzwungenes Angebot, um sie bei Laune zu halten. Bettina van Dahlen …

      Das hörte sich doch ganz wunderbar an. Oder sollte sie nicht besser ihren Namen behalten? Das konnte man ja heutzutage.

      War sie eigentlich verrückt geworden?

      Wohin verirrten sich ihre Gedanken denn jetzt schon wieder?

      »Ich will dir ja nicht wieder mal einen Penny für deine Gedanken anbieten«, vernahm sie wie aus weiter Ferne seine Stimme. »Aber es würde mich schon brennend interessieren zu erfahren, was hinter deiner schönen Stirn so vor sich geht.«

      Bettina zuckte zusammen, spürte, wie sie rot wurde.

      Um Gottes willen! Das, was sie grade gedacht hatte, konnte sie ihm unmöglich verraten. Das würde ihn sofort wieder panisch machen.

      »Ach …, nichts Besonderes, ich dachte nur daran, wie schön es ist, dich wieder bei mir zu haben … und ich dachte daran, wie sehr ich dich doch liebe.«

      Das war nicht gelogen!

      »Und das nennst du nichts Besonderes?«, beschwerte er sich sofort. »Für mich ist es eine Offenbarung, und statt so etwas hinter deiner schönen Stirn verborgen zu halten, solltest du es in Zukunft immer aussprechen. Ich kann von solchen Worten nämlich nicht genug bekommen und sauge sie auf wie ein Verdurstender den ersten Tropfen Wasser, den man ihm nach einem Aufenthalt in der Wüste reicht.«

      Bettina kicherte. »Ich weiß, dass du exakt re­cherchierte Tatsachenberichte schreibst, mein Liebling … Du solltest es unbedingt mal mit einem Liebesroman versuchen, denn du kannst dich sehr blumenreich ausdrücken.«

      »So etwas fällt mir nur im Zusammenhang mit dir ein, meine Schöne.«

      Er strahlte sie an, und Bettina wurde ganz warm ums Herz.

      Sie holte frischen Kaffee. Sie waren nicht in Eile. Jan war gerade erst angekommen.

      Zeit für Zärtlichkeiten hatten sie genug …

      *

      Bettina ließ ihren Wagen neben dem kleinen hölzernen Eingangs­törchen ausrollen, das nur leicht angelehnt war.

      So typisch Jan, dachte sie lächelnd, der hatte irgendwie ein Problem damit, Türen zu schließen. Das war halt eine Marotte von ihm, doch solange er die Haustür abschloss, konnte man darüber leicht hinwegsehen.

      Sie stieß die kleine Holztür ganz auf, ging hindurch und schloss sie wieder. Das war nun wiederum ihr Knall, die Türen hinter sich zu schließen. Welch ein Glück, dass die Menschen verschieden waren.

      Der Kies knirschte unter ihren Füßen und welkes Laub, das noch immer von den Bäumen fiel, raschelte, als sie den Weg zum Bootshaus entlangging, das einer ihrer Vorfahren an diesem wunderschönen Platz hatte errichten lassen.

      An der Eingangstür hielt sie inne, drehte sich um und lief den Bootssteg entlang, der weit in den See hineinragte.

      Es war zwar kalt, aber ein sonniger Nachmittag, und der See lag ruhig vor ihr. Nur winzige Wellen kräuselten das graublaue Wasser, über das kreischend einige Möwen flogen.

      Egal zu welcher Jahreszeit, dachte Bettina, es war einfach nur schön hier, und es war so leicht, seine Sorgen zu vergessen und die unberührte Natur zu genießen, die Stille, die schöne Landschaft in sich aufzunehmen, die selbst jetzt in der winterlichen Kargheit nichts von ihrem Charme und ihrer Schönheit eingebüßt hatte.

      Es war immer wieder schön, dem Geschnatter der Enten zu lauschen und den sich majestätisch dahinbewegenden Schwänen zuzusehen.

      Freilich, von Enten und Schwänen war im Augenblick nichts zu sehen, die hatten sich wohl in ihre Winterunterkunft am Ostufer des Sees zurückgezogen, und auch die kreischenden Möwen waren längst mit kraftvollen Flügelschlägen weitergezogen.

      Bettina wandte sich ab. Sie freute sich schon wieder auf den Frühling, wenn man sich im Freien aufhalten konnte, wenn die Boote auf das Wasser gelassen wurden, wenn die Natur zum Leben erwachte und die Spechte durch ihr monotones Tock-Tock-Tock verkündeten, dass sie auch noch da waren.

      Ihr Blick fiel auf die leicht verwitterte Bank am Ende des Bootssteges. Das war einer ihrer Lieblingsplätze, hier konnte sie stundenlang sitzen, auf das Wasser starren, träumen, lesen …

      Sie musste Arno bitten, die Bank wieder mal zu streichen. Es wunderte sie, dass das noch nicht geschehen war, denn Arno achtete eigentlich ganz penibel auf solche Dinge. Aber er hatte oben auf dem Hof so viel zu tun mit dem Renovieren, Restaurieren, da konnte einem eine Bank am See durchaus mal durchgehen. Arno musste das ja auch nicht selbst machen, er konnte jemanden damit beauftragen. Aber Bettina kannte ihn, niemand machte es ihm gut genug.

      Fast automatisch blickte sie auf das ebenfalls leicht verwitterte eingeritzte Herz mit den Buchstaben T + B.

      Thomas und Bettina …

      Ja, mit Thomas war sie auch oft hier unten gewesen. Hier hatten sie sich zum ersten Mal geküsst, und hier hatten sie sich ewige Liebe geschworen.

      Du lieber Himmel, wie lange das schon her war. Dennoch – das Herz und die Anfangsbuchstaben ihrer Namen waren noch immer deutlich erkennbar, und das würde auch so bleiben, solange es die Bank hier gab. Es war eingeritzt wie für die Ewigkeit bestimmt, aber das hatte ihre Liebe ja auch sein sollen.

      Wie gehetzt rannte Bettina zum Bootshaus.

      Jan wartete dort auf sie, ihm würde sie gleich in die Arme fallen!

      Und mit Jan würde sie gleich nach Bad Helmbach fahren, zum Kaffeetrinken, und er würde versuchen, ein Ersatzteil für eine seiner Kameras zu besorgen.

      Bettina freute sich auf den Nachmittag mit dem Mann, den sie liebte und würde sich ihre gute Laune nicht verderben lassen, indem sie an Thomas Sibelius dachte!

      Mit einem kraftvollen Schwung stieß sie die massive Eichentür auf und polterte in den gemütlich eingerichteten, anheimelnd warmen Raum, den Jan als sein Refugium benutzte, um ungestört arbeiten zu können.

      Überrascht blickte er hoch.

      »Oh, ist es schon so weit? Ich habe so intensiv gearbeitet, dass ich darüber Zeit und Raum vergaß. Dieses Bootshaus hier ist ein ganz wunderbarer Ort, in dieser paradiesischen Stille fließen die Gedanken nur so dahin wie ein munter dahinplätschernder Gebirgsbach.«

      »Solche Worte aus deinem Mund?«, lachte Bettina. »Ein munter dahinplätschernder Gebirgsbach …«

      »Du

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