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Laub­baum von un­be­kann­ter Fa­mi­li­en­zu­ge­hö­rig­keit auf die Rück­wand un­se­res Klei­der­schranks. Es wa­ren köst­li­che Tage der ge­spann­tes­ten Er­war­tung. Aber schon bei der Pro­be er­eig­ne­te sich ein stö­ren­der Zwi­schen­fall. Ed­gar hat­te den Her­zog über­nom­men, ich spiel­te den ge­henk­ten Rit­ter, und in der ers­ten Sze­ne ging al­les leid­lich, als aber der be­wuss­te Fuß­fall an die Rei­he kom­men soll­te, wei­ger­te sich der Dar­stel­ler des Ul­rich und fand die vor­ge­schrie­be­ne Hand­lung un­ter sei­ner Wür­de. Wer ihn da­mals kann­te, den selt­sa­men, je­dem Ge­fühls­aus­druck wi­der­stre­ben­den, gänz­lich sprö­den Kna­ben, der muss­te ein­se­hen, dass er nicht zum Schau­spie­ler ge­bo­ren war und dass man ihm nicht zu­mu­ten durf­te, vor der Schwes­ter zu kni­en, auch nicht, wenn sie in Rit­ter­tracht steck­te. Merk­wür­dig war nur, dass er sich nicht schon beim Le­sen ver­wahrt hat­te. Lei­der war die Ver­fas­se­rin die­ser Ein­sicht noch nicht fä­hig; vom Feu­er ih­rer Schmie­de glü­hend, woll­te sie die Än­de­run­gen, die er vor­schlug, nicht zu­ge­ste­hen, sie schie­nen ihr nicht nur ge­gen die ge­schicht­li­che Echt­heit, son­dern auch ge­gen die Psy­cho­lo­gie zu strei­ten, denn wenn der Her­zog kei­nen Fuß­fall ge­tan hat­te, so brauch­te er auch kei­ne Selbs­t­er­nied­ri­gung an dem Va­sal­len zu rä­chen, die­ser konn­te kei­nen Ver­trau­ens­bruch be­gan­gen ha­ben, und da­mit fiel zu­gleich sein ver­häng­nis­vol­ler Leicht­sinn weg, dem be­lei­dig­ten Herrn al­lein ins Ge­höl­ze zu fol­gen. Da ich nicht nach­ge­ben zu kön­nen glaub­te, bat er sich aus, we­nigs­tens jetzt in der Pro­be ver­schont zu blei­ben; her­nach bei der Auf­füh­rung wol­le er schon al­les recht ma­chen.

      Der große Tag kam her­an, vor dem Vor­hang sa­ßen er­war­tungs­voll die Zu­hö­rer, dar­un­ter mit be­denk­li­cher Mie­ne so­gar das sonst bei un­se­ren Spie­len sel­ten an­we­sen­de Fa­mi­li­en­haupt, au­gen­schein­lich mit ei­ner ban­gen Ah­nung kämp­fend. Nicht ohne Grund, denn als der Vor­hang auf­ge­hen soll­te, er­hob sich hin­ter der Sze­ne ein Wort­wech­sel, der nicht zum Stück ge­hör­te und der bald in Wei­nen und Schluch­zen über­ging. Ed­gar hat­te mir näm­lich vor dem Heraustre­ten zu­ge­flüs­tert: Dass du’s weißt: ich tue den Fuß­fall doch nicht. Ich war in Verzweif­lung; ich fleh­te ihn an, mein Stück nicht durch sei­ne Hals­star­rig­keit zu Fall zu brin­gen, ich woll­te ja gern zehn Fuß­fäl­le vor ihm tun für die­sen einen; um­sonst, er blieb bei sei­ner Wei­ge­rung. Die Auf­füh­rung muss­te ab­ge­sagt wer­den; die Ku­lis­sen wur­den weg­ge­räumt, und die El­tern hat­ten alle Mühe, zwei fas­sungs­lo­se Kin­der zu trös­ten, in­dem der Va­ter sein schluch­zen­des Töch­ter­lein, die Mut­ter den tief er­schüt­ter­ten Sohn in die Arme nahm.

      Aber die tra­gi­sche Muse, die nun ein­mal her­ab­ge­stie­gen war, ließ sich so leicht nicht wie­der ver­scheu­chen, sie nahm viel­mehr einen hö­he­ren Schwung, in­dem sie die Pro­sa­re­de und den Stil des Kas­perl­thea­ters auf­gab, um sich den klas­si­schen Stof­fen und dem he­ro­i­schen Jam­bus zu­zu­wen­den. Zu­nächst mach­te ich Mama die Freu­de, Vol­tai­res »Me­ro­pe«, die ihr un­ter sei­nen Dra­men am bes­ten ge­fiel, zu ih­rem Ge­burts­tag in deut­sche Blank­ver­se zu über­set­zen. Als ich mit der Ar­beit fer­tig war, gab mir die da­bei er­wor­be­ne me­tri­sche Ge­len­kig­keit die Lust zu ei­nem ei­ge­nen Ver­su­che ein, denn warum soll­te im­mer Mr. de Vol­taire zwi­schen mir und mei­nen Hel­den ste­hen? Dem ers­ten Mes­se­ni­schen Krieg, der ge­ra­de in der Ge­schichts­stun­de an der Rei­he war, ent­nahm ich mei­nen Stoff: Die Toch­ter des Ari­sto­demus. Frei­lich ein et­was heik­ler Ge­gen­stand für ein zwölf­jäh­ri­ges Mäd­chen. Aber ich führ­te das Stück durch alle fünf Akte hin­durch glück­lich zum Schluss, wo­bei ich über den ver­fäng­li­chen Punkt glatt hin­weg­kam, ver­mut­lich hat­te ich ihn sel­ber nicht ganz ver­stan­den.

      Mama, die ich zur Ver­trau­ten mach­te, ju­bel­te über die­se Leis­tung. Mein mes­se­ni­scher Pa­trio­tis­mus und der ge­gen Spar­ta ge­rich­te­te Groll, in dem sie so et­was wie eine an­ti­preu­ßi­sche Spit­ze zu füh­len glaub­te, ent­zück­ten sie. Aber nun war es mit mei­nem See­len­frie­den vor­bei. Tem­pe­ra­ment­voll, wie sie in al­lem war, be­mäch­tig­te sie sich mei­nes Schat­zes und ließ ihn von Hand zu Hand ge­hen, ohne nach mei­ner Emp­fin­dung zu fra­gen. Ich be­saß kei­ne ver­schließ­ba­re Lade, in die ich ihn hät­te ret­ten kön­nen, wie der glück­li­che­re Ed­gar, an des­sen heim­lich ge­schmie­de­ten Ver­sen sich nie­mand ver­griff. Es ging mir mit der Tra­gö­die wie mit den Ge­dich­ten. In wel­che Schub­la­de ich das Heft ver­ste­cken moch­te, es wur­de im­mer wie­der aus­ge­gra­ben, und der ge­schmei­chel­te Mut­ter­stolz, die Ne­cke­rei­en der Brü­der, die neu­gie­ri­gen Fra­gen frem­der Be­su­cher schu­fen mir mein ei­ge­nes Mach­werk zum Pla­ge­dä­mon um. Denn, ob Lob oder Ta­del, man konn­te mich nicht tiefer krän­ken, als in­dem man über­haupt von sei­nem Da­sein wuss­te. Und kei­ne See­le be­trat das Haus, die nicht da­von er­fuhr. Ich stand wie in ei­nem Re­gen­guss, der mich bis auf die Haut durch­näß­te. Es gab dann Trä­nen und Vor­wür­fe, die nicht das ge­rings­te fruch­te­ten. Nur der Va­ter ver­stand mich, er fuhr mir lä­chelnd mit der Hand über die Stirn und sag­te nichts; wie war ich ihm für sein Zart­ge­fühl dank­bar! Noch nach Jah­res­frist – man weiß, was die Län­ge ei­nes Kin­der­jah­res be­sa­gen will – war die un­glück­li­che Mes­se­nie­rin nicht ver­ges­sen. Ich er­in­ne­re mich ei­nes Vor­mit­tags, wo ein frem­des Ehe­paar nach mei­nen El­tern frag­te. Gleich dar­auf kam mein Müt­ter­lein her­ge­flo­gen (ihr Ge­hen war im­mer wie ein Flie­gen) und rief tri­um­phie­rend zur Tür her­ein: Mo­ritz Hart­mann ist da! Wir hat­ten die­sen Na­men oft von ihr ge­hört als den ei­nes Dich­ters und Frei­heits­man­nes, dem sie in ih­rem Her­zen einen Al­tar er­rich­tet hat­te. Die Reim­chro­nik des Pfaf­fen Mau­ri­zi­us führ­te sie häu­fig im Mun­de. Auch von der sprich­wört­li­chen Lie­bens­wür­dig­keit des ös­ter­rei­chi­schen Poe­ten war schon die Rede ge­we­sen. Alle teil­ten ihre Freu­de, dass er so un­er­war­tet nach Tü­bin­gen ge­kom­men war. Nur mir mit mei­ner grie­chi­schen Tra­gö­die auf dem Ge­wis­sen schwan­te Ar­ges. Und rich­tig war noch kei­ne Vier­tel­stun­de ver­gan­gen, so wur­de ich ins Be­suchs­zim­mer ge­ru­fen. Da stand der be­rühm­te Gast schon im Auf­bruch vor dem Kana­pee, ein Mann von we­nig an­sehn­li­chem Wuchs – an der Sei­te mei­nes hoch­ge­wach­se­nen Va­ters er­schi­en er fast klein –, aber edel­ge­schnit­te­nem Ge­sicht mit schwar­zem Bart und Haar; ne­ben ihm eine lä­cheln­de Frau, de­ren Er­schei­nung einen Ein­druck von stil­ler Har­mo­nie und Güte hin­ter­ließ. Und rich­tig galt sein ers­tes Be­grü­ßungs­wort mei­nem Trau­er­spiel. Er hat­te aber nichts von der schul­meis­ter­li­chen oder iro­ni­schem Über­le­gen­heit, mit der sonst Er­wach­se­ne in sol­chen Fäl­len Kin­der be­han­deln; nur ein ganz klei­ner Schalk ging durch sei­ne Mie­ne, als er frag­te:

      Was ist denn der Ti­tel des Stücks? Darf ich ra­ten? Es heißt ge­wiss: Der ge­mor­de­te Back­fisch.

      Mein Müt­ter­lein, das die Ant­wort nie ab­war­ten konn­te, rief schnell da­zwi­schen: Es heißt Die Toch­ter des Ari­sto­demus.

      Da ging ein lie­bens­wür­di­ges Lä­cheln über das Ge­sicht des Dich­ters, dass ich mit ei­nem Ruck um Jah­re ge­schei­ter ward und ohne al­len Un­mut sa­gen konn­te: Sie ha­ben es ge­trof­fen, es ist wirk­lich der ge­mor­de­te Back­fisch.

      Da­ge­gen griff es mei­ner Mut­ter ans Herz, dass ihr Par­tei­freund Lud­wig Pfau mir beim Le­sen mei­ner Ver­su­che kopf­schüt­telnd das Schick­sal der Wun­der­kin­der pro­phe­zei­te,

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