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so auf­ge­fasst. Denn die Ju­gend sieht in al­len Din­gen Sym­bo­le. Ge­steht doch der stren­ge Rous­seau, dass er in jun­gen Jah­ren nicht den schöns­ten Mäd­chen hul­dig­te, son­dern de­nen, die den meis­ten Putz und Schmuck be­sa­ßen. Als ich mir ein­mal in ei­nem be­kann­ten Putz­ge­schäft un­ter all den wohl­rie­chen­den Ge­gen­stän­den ein wei­ßes Früh­lings­hüt­chen mit ei­nem tau­be­han­ge­nen Ver­giss­mein­nicht­kranz aus­su­chen durf­te, da ging ich mit ei­nem er­höh­ten Lenz­ge­fühl um­her, als trü­ge ich ein Ei­chen­dorff­sches Früh­lings­lied auf dem Haup­te. Mein Müt­ter­lein klag­te oft, dass ich seit der Freund­schaft mit Lili völ­lig ver­dummt sei und nichts mehr im Kopf hät­te als Back­fischei­tel­kei­ten. Es war auch wahr­lich kein klei­ner Sturz: vor kur­z­em noch auf den höchs­ten jam­bi­schen Stel­zen, mit ei­ner Grac­chen­tra­gö­die und ei­nem Epos über den Un­ter­gang Kar­tha­gos be­schäf­tigt und jetzt nur noch mit Schmuck und Tand. Ich muss­te man­ches Schelt­wort der Brü­der hö­ren, und als ei­nes Ta­ges in der Kin­der­schu­le, wo un­ser Jüngs­ter saß, bei den Sprü­chen Sa­lo­mo­nis im Krei­se her­um­ge­fragt wur­de: Was ist ei­tel? hob un­ser klei­ner Bal­de als ein­zi­ger sein Fin­ger­lein und sag­te: Mei­ne Schwes­ter! – – –

      Wie glänzt jetzt mein Ju­gend­land aus der Tie­fe der Zei­ten her­auf! Als ich dar­in wan­del­te, war es voll von Kampf und Not, von Angst und Pein. Mei­ne Brü­der füll­ten es zwar mit Reich­tum und Le­ben, aber nicht min­der mit zu­cken­der, im­mer bro­deln­der Un­ru­he. Die bei­den Gro­ßen ver­tru­gen sich noch im­mer nicht, und es sah aus, als ob ihr häus­li­cher Krieg, von dem wir an­dern mit­blu­te­ten, ei­ner tie­fen in­ne­ren Feind­se­lig­keit ent­sprän­ge. Am liebs­ten mach­ten sie den ge­deck­ten Mit­tags­tisch, dem lei­der der Va­ter sei­ner Ar­beit zu­lie­be fern­blieb (er kam über­haupt erst ge­gen Abend nach Hau­se) zum Zeu­gen ih­rer Kämp­fe. Kaum war die Sup­pe auf­ge­tra­gen, so be­gan­nen die Plän­ke­lei­en, dann fiel ein Stich­wort, und plötz­lich brach der Sturm los. Es war je­des Mal wie ein Na­tur­er­eig­nis, ge­gen das die Ver­nunft macht­los war. Mama warf sich da­zwi­schen, ich des­glei­chen, und am Ende gin­gen alle Tei­le mehr oder min­der auf­ge­löst aus dem Rin­gen her­vor. Wenn die Schlacht auf ih­rem Hö­he­punkt war, so er­schi­en Jo­se­phi­ne mit dem Koch­löf­fel un­ter der Tür, das schö­ne, erns­te Ge­sicht in tra­gi­sche Fal­ten ge­legt, und sag­te mit dump­fem Ton: Jetzt hat es wie­der den höchs­ten Grad er­reicht. – Aber nie konn­te ich sie be­we­gen, mir im Stur­me bei­zu­ste­hen. Sie er­schi­en mir in ih­rer ed­len, schmerz­vol­len Hal­tung wie der Chor in der grie­chi­schen Tra­gö­die, der die Ge­schi­cke des Kö­nigs­hau­ses mit sei­nen Kla­gen be­glei­tet, ohne je­mals han­delnd ein­zu­grei­fen. Hat­ten sich die Kämp­fer end­lich mit dem letz­ten grol­len­den, aber schon nicht mehr ernst ge­mein­ten: Wart, ich soll dich vor dem Gym­na­si­um tref­fen! ge­trennt, so blie­ben Jo­se­phi­ne und ich zu­rück, die tiefer­reg­te Mut­ter zu trös­ten und zu be­schwich­ti­gen. Es war ja an sich ge­wiss nichts Un­er­hör­tes, dass zwei halb­wüch­si­ge Jun­gen, de­nen die Auf­sicht des Va­ters fehl­te, sich in den Haa­ren la­gen. Aber Mama war sel­ber ohne Brü­der auf­ge­wach­sen und wuss­te nicht, dass das Rau­fen zum Kna­ben­le­ben mit­ge­hört, wenn auch sonst nicht ge­ra­de das Ess­zim­mer der üb­li­che Schau­platz da­für ist. Ich glau­be, sie stand mit ih­rer ge­wal­ti­gen Fan­ta­sie im Bann der at­ti­schen Tra­gö­die und bil­de­te sich ein, das the­ba­ni­sche Brü­der­paar ge­bo­ren zu ha­ben. Jo­se­phi­ne, statt ihr die Über­trei­bun­gen der Angst aus­zu­re­den, ver­fiel selbst dar­ein und wie­der­hol­te nur im­mer mit Gra­bes­s­tim­me: O, es wird schreck­lich en­den! Und ich mit mei­ner nicht min­der er­reg­ba­ren Fan­ta­sie sah den tra­gi­schen Aus­gang, den bei­de weis­sag­ten, als schon ein­ge­tre­ten an. Hät­te mein Müt­ter­lein da­mals in die Zu­kunft bli­cken kön­nen, wie viel qual­vol­le Stun­den wä­ren ihr, wie vie­le Angst­träu­me mir er­spart ge­blie­ben. Sie hät­te nach dem kna­ben­haf­ten Zwist ihre zwei Feu­er­brän­de die Spit­zen ge­gen­ein­an­der nei­gen und ver­eint als eine schö­ne stil­le Fa­ckel der Bru­der­lie­be fort­bren­nen se­hen, wo­bei die in­ne­ren Ver­schie­den­hei­ten nur die Nei­gung nähr­ten. Die­se schö­ne Lö­sung war lei­der noch tief im Scho­ße der Zu­kunft ver­bor­gen. Und ich grüß­te je­den ers­ten Mor­gen­strahl mit dem stil­len Seuf­zer: Wäre nur auch die­ser Tag schon glück­lich vor­über und wir wie­der alle heil in un­se­ren Bet­ten.

      Es lag in den Er­zie­hungs­grund­sät­zen mei­ner Mut­ter ein ed­ler Irr­tum, der auch in der neue­ren Päd­ago­gik da und dort auf­taucht, aber gleich­wohl ein Irr­tum ist und bleibt. Sie woll­te al­les der ei­ge­nen Ein­sicht des Kin­des und dem gu­ten Bei­spiel über­las­sen. Aber die Selbs­t­ent­äu­ße­rung, wie sie sie pfleg­te, die schwei­gen­de, als selbst­ver­ständ­lich ge­üb­te Zu­rück­set­zung des ei­ge­nen Ichs wird nur in den sel­tens­ten Fäl­len un­rei­fe See­len zur Nach­ei­fe­rung an­spor­nen. Und durch die blo­ße Ein­sicht, wie klar sie bei gut­be­gab­ten Kin­dern sei, wer­den wil­de Jun­gen nicht da­hin ge­bracht, die Ur­ge­walt der Trie­be, vor al­lem den Zorn, zu bän­di­gen, be­vor die Hem­mungs­vor­rich­tung aus­ge­bil­det ist. Hie­rin hat­te es ihre Er­zie­hung feh­len las­sen. Dem Va­ter aber wur­den alle auf­re­gen­den Vor­gän­ge in der Fa­mi­lie nach Kräf­ten ver­heim­licht. So stemm­ten sich die weib­li­chen Schul­tern al­lein und nutz­los ge­gen das Tem­pe­ra­ment der Kna­ben und ihre Ent­wick­lungs­stür­me. Eine glück­li­che Ablen­kung brach­ten von Zeit zu Zeit die Wohn­gäs­te, vor de­nen die feind­li­chen Brü­der sich in ei­ner an­ge­bo­re­nen Rit­ter­lich­keit zu­sam­men­nah­men, wie sie auch öf­fent­lich nie ent­zweit und ha­dernd ge­se­hen wur­den. Ein wei­te­rer Grund für mich, je­den Gast mit Freu­den zu be­grü­ßen. Ich woll­te gern mein Bett op­fern, da­mit das Sor­gen­ge­spenst mir eine Zeit lang fern­blieb. Nach­träg­lich muss ich mich wun­dern, wie doch über all der Not die Ju­gend­lust mit so breit­ge­stell­tem Fit­tich schweb­te. Vi­el­leicht lern­te ich es ge­ra­de des­halb so gut, die Freu­de zu lie­ben und jede schö­ne Stun­de als Ge­schenk zu be­trach­ten, weil nach dem tra­gi­schen Emp­fin­den, das sich mir im un­ters­ten Grund der See­le fest­setz­te, je­der Tag der letz­te sein konn­te. Denn eine stil­le Angst ließ mich nie­mals los. Der Bru­der­krieg war nicht der ein­zi­ge An­lass. Die wie­der­keh­ren­den An­fäl­le von Ge­len­krheu­ma­tis­mus, die un­sern Jüngs­ten in ih­ren Fol­gen zum frü­hen Tode füh­ren soll­ten, wa­ren in ih­rer Schwe­re da­mals noch nicht er­kannt, aber die Mut­ter­sor­ge lief der ärzt­li­chen Pro­gno­se weit vor­aus, und die Lei­den­schaft, mit der sie an ih­ren Kin­dern hing, ließ für den Fall, dass ihr ei­nes ent­ris­sen wür­de, das Schlimms­te fürch­ten. Oh­ne­hin re­de­te sie im­mer mit mir von ih­rem Tode, denn schon in jun­gen Jah­ren glaub­te sie nun­mehr so alt zu sein, dass es An­ma­ßung wäre, noch auf ein viel län­ge­res Le­ben zäh­len zu wol­len. Da­rum hat­te mir die Vor­stel­lung von dem schau­ri­gen Frost, der die Her­zen der Wai­sen­kin­der um­gibt, schon die frü­hen Kin­der­jah­re ver­düs­tert. Am Vora­bend ih­res vier­zigs­ten Ge­burts­tags, der ihr als die Schwel­le des Grei­sen­al­ters er­schi­en, schrieb sie einen Ab­schieds­brief an ihre Kin­der, des­sen An­fang ich über ihre Schul­ter las und der mir fort­an in alle Ju­gend­freu­den einen tie­fen Schat­ten warf. Ich glaub­te nun gleich­falls, dass man mit vier­zig nicht mehr lan­ge le­ben kön­ne. Sie ver­barg ihn im Dop­pel­bo­den ih­rer Scha­tul­le, aber von dem schwar­zen Fa­den, wo­mit er ge­bun­den war, hing ein End­chen her­aus, und da­nach muss­te ich im­mer blin­zeln, wenn ich vor­über­ging. So feu­rig sie das Le­ben lieb­te,

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