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fol­gen­den Jah­re lern­te ich dann einen wirk­li­chen Preu­ßen ken­nen, und dazu einen der al­ler­merk­wür­digs­ten Men­schen, die mir je be­geg­net sind. Es war der Schrift­stel­ler und Po­pu­lär­phi­lo­soph Dr. Al­bert Dulk aus Kö­nigs­berg. Sein Le­ben ist ein Ro­man, den man nicht schrei­ben kann, weil er als Er­fin­dung viel zu un­wahr­schein­lich wäre. Er hat­te län­ge­re Zeit ganz ein­sam im stei­ni­gen Ara­bi­en ge­lebt, um dem Geis­te des Urchris­ten­tums nä­her­zu­kom­men und die land­schaft­li­chen Ein­drücke für sein Haupt­werk Der Irr­gang des Le­bens Jesu zu ge­win­nen. Küh­ne Aben­teu­er­lust und su­chen­de Phi­lo­so­phie la­gen in ihm bei­sam­men. Als au­ßer­or­dent­li­cher Schwim­mer und über­haupt kör­per­lich her­vor­ra­gend be­güns­tig­ter Mensch hat­te er den Bo­den­see durch­schwom­men und ähn­li­cher Stücke mehr ge­leis­tet. Jetzt leb­te er in Stutt­gart mit sei­nen drei Frau­en, die er gleich­zei­tig be­saß und mit de­nen er im üb­ri­gen ein ganz nor­ma­les Fa­mi­li­en­le­ben führ­te. Er hat­te sich im engs­ten Kreis einen klei­nen frei­re­li­gi­ösen An­hang ge­grün­det, für den er in sei­nem Hau­se das Pries­ter­amt ver­sah. So hat­te er sich auch nach selbst­ge­schaf­fe­nem Ri­tus mit sei­nen zwei spä­te­ren Frau­en sel­ber ge­traut. Er konn­te die­se drei­fa­che Ehe in Stutt­gart ganz öf­fent­lich und un­an­ge­foch­ten durch­füh­ren, denn es wohn­te da­mals in dem klei­nen Schwa­ben­land die weit­her­zigs­te Ro­man­tik Tür an Tür mit dem be­schränk­tes­ten Spie­ßer­tum. Trotz der un­ge­wöhn­li­chen Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se herrsch­te re­ger ge­sel­li­ger Ver­kehr im Dulk­schen Hau­se, und es war kei­nes­wegs Bohê­me, was dort ein- und aus­ging; Künst­ler­schaft, Schrift­stel­ler, Po­li­ti­ker lie­ßen sich durch die dor­ti­ge Ei­gen­art nicht ab­schre­cken. Noch weit mehr aber zeugt es von der zwin­gen­den Per­sön­lich­keit die­ses Man­nes, dass er die drei Frau­en, die glei­che Rech­te und glei­che An­re­de ge­nos­sen, in Lie­be und Ein­tracht zu­sam­men­hielt, so­weit in mensch­li­chen Ver­hält­nis­sen dau­ern­de Lie­be und Ein­tracht mög­lich sind. Sie gin­gen im­mer völ­lig gleich ge­klei­det, ver­tru­gen sich schwes­ter­lich und hin­gen mit schwär­me­ri­scher Ver­eh­rung an dem Man­ne. Mit der Zeit ver­schob sich das häus­li­che Gleich­ge­wicht ein we­nig zu­guns­ten der Zu­letzt­ge­kom­me­nen, de­ren Ehe kin­der­los blieb und die dar­um ihre gan­ze Zeit der die­nen­den Lie­be wid­men konn­te. Die­se Lie­be war eine Art Got­tes­dienst in im­mer­wäh­ren­der stil­ler Ver­zückung. Frau Else durf­te ihn auch auf sei­nen nächt­li­chen Spa­zier­gän­gen durch die nicht all­zu si­che­ren Wäl­der Stutt­garts be­glei­ten. Nach­dem sie ihm mo­na­te­lang auf den un­heim­li­chen Nacht­gän­gen, die er noch dazu un­be­waff­net mach­te, aus der Fer­ne nach­ge­schli­chen war, um im Fal­le der Not bei­zu­sprin­gen oder sein Los zu tei­len, wur­de sie, als er die treue Ge­folg­schaft ent­deck­te, zu sei­ner Ka­me­ra­din er­höht und ge­noss nun in die­sen stil­len Nacht­stun­den das sel­te­ne Glück, ihn un­ge­teilt zu be­sit­zen. Dulk hat­te eine An­zahl Dra­men ge­schrie­ben, die in der Öf­fent­lich­keit we­nig Glück mach­ten. Am be­kann­tes­ten wur­de Je­sus der Christ, sei­ne feu­rigs­te und pa­ckends­te Schöp­fung, worin die Ver­mäh­lung des Über­sinn­li­chen mit dem Ra­tio­na­lis­mus ver­sucht ist und Jo­seph von Ari­ma­thia im Lich­te ei­ner halb­mys­ti­schen Va­ter­schaft er­scheint. In der Auf­fas­sung Ju­das Is­cha­riots als des feu­ri­gen jü­di­schen Pa­trio­ten, der in Chris­tus den ir­di­schen Er­lö­ser sucht und sich ent­täuscht von ihm ab­kehrt, ist er an­de­ren Dich­tern, dar­un­ter auch Hey­se, vor­an­ge­gan­gen.

      Jetzt kam Dulk nach Tü­bin­gen, um mei­nem Va­ter, den er bis da­hin nicht ge­kannt hat­te, ein neu­ver­fass­tes Lust­spiel vor­zu­le­sen. Er brach­te eine sei­ner Frau­en und sei­ne Toch­ter Anna mit, die mei­ne Al­ters­ge­nos­sin war und sich schnell an mich an­schloss. Dulk war ein hoch­ge­wach­se­ner schö­ner Mann mit schwar­zem Haar und Bart bei blau­en Au­gen und klar­ge­schnit­te­nen Zü­gen. Auf­fal­lend wirk­ten in der süd­deut­schen Luft sein schar­fer ost­preu­ßi­scher Ak­zent und die straf­fen nord­deut­schen Be­we­gun­gen. Auch sein gan­zes We­sen war nord­deutsch ernst­haft und im­mer­zu fei­er­lich pa­the­tisch; der Schwa­ben­hu­mor blieb ihm und er dem Schwa­ben­hu­mor un­ver­ständ­lich. So hat­te auch sei­ne An­knüp­fung mit mei­nem Va­ter kein er­sprieß­li­ches Er­geb­nis. Es war da­mals im Schwa­ben­lan­de üb­lich, dass die Män­ner alle ihre be­son­de­ren An­ge­le­gen­hei­ten beim Gla­se ab­ma­ch­ten, dar­um »streb­ten« auch die bei­den an je­nem war­men Som­mer­nach­mit­tag nach ei­nem klei­nen Wirts­gärt­lein in dem na­he­ge­le­ge­nen Dor­fe De­ren­din­gen. Al­lein mein Va­ter konn­te der er­zwun­ge­nen Lau­ne des Dulk­schen Stückes kei­nen Ge­schmack ab­ge­win­nen und kam ziem­lich an­ge­grif­fen von der Sit­zung nach Hau­se. Auf die Fra­ge des Ver­fas­sers, was er da­von hal­te, hat­te er geant­wor­tet: Ich weiß nicht, was ich dazu sa­gen soll. Ent­we­der hat das Stück kei­nen Hu­mor oder ich habe kei­nen. Je­ner aber ver­stand die Mei­nung nicht und sag­te beim Nach­hau­se­kom­men zu mei­ner Mut­ter: Ich kann nicht her­aus­brin­gen, was Ihr Ge­mahl von dem Stücke hält, su­chen Sie es doch zu er­grün­den. – Es fehl­te sei­ner im­mer­wa­chen Geis­tig­keit an dem er­gän­zen­den Ge­gen­stück der Na­tur­haf­tig­keit, aus wel­cher ge­gen­sätz­li­chen Ver­bin­dung erst der Hu­mor ent­springt; der rei­ne Geis­tes­mensch hat kei­nen und der rei­ne Na­tur­mensch eben­so­we­nig. Dulks Dich­tungs­art hat­te durch­gän­gig et­was prin­zi­pi­en­mä­ßig Ge­dank­li­ches, denn sei­ne Be­ga­bung war nicht trieb-, son­dern wil­len­haft. Er ge­hör­te zu den stärks­ten Wil­lens­men­schen, die mir be­geg­net sind. Die­ser star­ke Wil­le, auf das ge­rich­tet, was ei­gent­lich au­ßer­halb der Wil­lens­sphä­re liegt, mach­te ihn den Schwa­ben, de­nen die Poe­sie ein in­ne­res Blü­hen des Men­schen, fast mehr nur einen Zu­stand als eine Tä­tig­keit be­deu­te­te, ei­ni­ger­ma­ßen un­heim­lich, und er blieb im­mer ein Frem­der un­ter ih­nen, ob­wohl er würt­tem­ber­gi­scher Staats­bür­ger ge­wor­den war.

      Die zar­te, hoch­auf­ge­schos­se­ne Anna durf­te ein paar Tage bei mir blei­ben, wor­aus sich eine dau­ern­de Freund­schaft ent­spann. Sie wur­de je­des Jahr auf ein paar Wo­chen un­ser Gast, und auch ich durf­te sie in Stutt­gart be­su­chen. Ein­mal – es war wäh­rend des 70er Krie­ges – wohn­te ich auch ei­ner Sonn­tags­fei­er im Dulk­schen Hau­se bei, die mit wech­seln­den Ge­sän­gen und An­ru­fun­gen an die Welt­see­le einen ganz lithur­gi­schen Cha­rak­ter hat­te.

      Wenn ich mein Le­bens­buch zu­rück­blät­te­re, so kann ich selt­sa­mer­wei­se kei­ne in­ne­ren Wand­lun­gen fin­den, viel­mehr scheint es mir, als hät­te ich von der Stun­de mei­ner Ge­burt an im­mer im glei­chen geis­ti­gen Luft­kreis ge­lebt. Die­sen Um­stand weiß ich mir nur aus un­se­rer häus­li­chen Ver­fas­sung zu er­klä­ren. Eine ab­ge­son­der­te Kin­der­stu­be hat­te es bei uns nicht ge­ge­ben, wir wa­ren zwi­schen den Fü­ßen der Gro­ßen und un­ter ih­ren Ge­sprä­chen her­an­ge­wach­sen, ohne mit Be­wusst­sein auf­zu­mer­ken. Spä­ter schi­en es mir dann, als käme ich über­all in be­kann­te Ge­gen­den, die ich mir jetzt nur et­was ge­nau­er an­zu­schau­en brauch­te. Eben­so stand mir die el­ter­li­che Bü­che­rei un­be­schränkt zu Ge­bo­te. Nie­mand frag­te, was ich las. Die El­tern dach­ten je­den­falls, da man uns so frü­he das Reich des Höchs­ten und Schöns­ten im Schrift­tum al­ler Zei­ten er­schlos­sen hat­te, da Goe­the und Schil­ler,

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